Kapitel 26

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Woche um Woche verstreicht. Die Tage werden kürzer, die Temperaturen kälter, die Blätter brauner und jeder stellt sich auf den Winter ein. Die dicken Anziehsachen werden rausgeholt, ausgebessert und mit Fett wieder geschmeidig gemacht. Früchte und Beeren werden getrocknet und es werden Vorräte angelegt, sowohl pflanzliche, als auch tierische. Der Kapitän ist warscheinlich tot, eines Morgens war er weg und Winnetou hat nie wieder ein Wort über ihn verloren. Noch immer träume ich manchmal schlecht, doch immer ist Winnetou bei mir und gibt mir Sicherheit, bis ich wieder einschlafe. Jeden Tag hoffe ich, dass William auf seiner Reise nichts passiert ist und er wohlbehalten in England angekommen ist. Falls er überhaupt schon angekommen ist und nicht immernoch auf dem Schiff festsitzt.

Auf Maka reite ich gemütlich durch die Gegend. Der Herbst ist so wunderschön, er hat mich schon immer fasziniert. Das herbe Wetter bin ich sowieso aus England gewöhnt. Und gerade das ist so schön. Der herrliche Duft von Regen liegt jeden Tag in der Luft, ein Geruch der mich schon mein ganzes Leben begleitet. Ich komme an Winnetous Lieblingsplatz an, welchen ich zu meinem Zweitlieblingsplatz gewählt habe. Der erste ist eindeutig der Wasserfall. Ich steige ab und setze mich vorne an die Spitze des Felsens.

Erst als dunkle Wolken am Himmel erscheinen stehe ich auf, um mich auf den Rückweg zu machen. Hoffentlich fängt es nicht an zu regnen. Im flotten Schritt läuft Maka vorwärts, sichtlich erfreut über unseren kleinen Ausflug. Gerade mal die Hälfte der Strecke haben wir bewältigt, als die ersten Tropfen auf den Boden fallen. Ich drücke sanft meine Schenkel in Makas Flanken und bringe ihn so dazu, schneller zu laufen. Der Regen wird stärker, doch sowohl Maka, als auch ich genießen die kleine Abkühlung.

Das Wasser rinnt von meinen Haaren über meine Kleidung bis es schließlich auf den Boden tropft. Das Lager ist komplett leer, alle Apachen sind in ihren Pueblos, außer ich. Ich stehe vor Winnetous Pueblo und traue nich nicht reinzugehen. Laut tönt Tohons Stimme bis nach draußen. ,,Du bist töricht, Winnetou. Warum lässt du ihr so viele Freiheiten. Sie hatte die Chance zu gehen und wollte es nicht. Nun behandelst du sie wie eine Unseresgleichen." ,,Wage es nicht so über sie zu reden. Sie hat gerade achtzehn Sommer erlebt und hat mehr durchgemacht als du es jemals tun wirst, Bruder. Sie braucht die Freiheit und ich gebe sie ihr. Ich habe sie freigelassen, sie entschied sich zu bleiben. Warum sollte ich sie weiterhin als mein Eigentum betrachten?" ,,Sie würden es auch mit dir machen. Die Bleichgesichter rauben unser Land, töten unsere Tiere. Bald versklaven sie uns. Sie ist ein Bleichgesicht und wird es immer bleiben." ,,Stelle sie nicht mit den Bastarden gleich. Ruby hat ein gutes Herz. Ich vertraue ihr", knurrt Winnetou wütend. ,,Du bist dumm, Bruder. Sie kann nicht ewig hier bleiben. Was ist wenn du heiratest? Wo soll sie dann hin?" ,,Das dauert noch. Hör auf sie schlecht zureden Tohon. Sie redet auch nicht schlecht über uns." ,,Nein sie kann ja nicht mal reden. Ein erbärmliches Weib. Sie hätte mit auf das Schiff gehen sollen, hier ist sie nicht erwünscht." ,,Verlass sofort das Pueblo." Winnetous Stimme nimmt einen gefährlichen Ton an, während ich fassunglos vor dem Eingang stehe. Alles konnte ich nicht verstehen, jedoch genug um zu wissen, worum es geht. ,,Ich habe dich gewarnt, Winnetou. Klekih-Petra hat dir fürchterliche Flausen in den Kopf gesetzt." Ich höre wie Schritte zum Eingang kommen. Hastig gehe ich etwas zurück, so als wäre ich jetzt erst gekommen. Das Leder wird zur Seite gerissen. Als Tohon mich sieht wird seine Miene noch finsterer, doch er hält sich zurück und verschwindet wortlos im Regen. Schnell trete ich in das warme Pueblo. ,,Ruby. Du musst frieren", empfängt Winnetou mich, immer noch sichtlich gereizt von Tohon, doch er hält sich zurück. Lächelnd schüttel ich den Kopf und wringe meine Haare etwas aus. Ich friere nicht so schnell. Den Regen bin ich aus England gewohnt. William hat immer gesagt, dass Engländer nicht frieren. Und außerdem ist es noch ein verhältnismäßig warmer Regen. Besorgt mustert Winnetou mich und reicht mir dann einen Stapel Ersatzkleidung. Höflich dreht er mir den Rücken zu und ich verkrieche mich in eine dunkle Ecke. Schnell ziehe ich mir sie trockene Kleidung an und lege die Nasse in die Nähe des Feuers, damit sie trocknen kann. Winnetou reicht mir eine Schale mit Suppe. Hat er sie etwa selber gekocht? Eigentlich hatte ich nicht vor so lange wegzubleiben, doch durch den Regen hat Maka länger gebraucht als gedacht. Winnetou muss mein Zögern wohl gemerkt haben. ,,Es ist nicht schlimm, dass du so spät bist. Du hast mir gegenüber nun keine Verpflichtungen mehr, Ruby. Meine Mutter hat das gekocht." Etwas erleichtert nicke ich und fange an zu essen. Still sieht der junge Apache mir dabei zu. Und mit jeder Minute, die verstreicht, wird seine Miene wieder weicher und seine Wut nimmt ab.

,,Du hast eine sehr schöne Stimme", sagt er auf einmal, aus dem Nichts. Ruckartig hebe ich den Kopf und lasse den Löffel zurück in die fast leere Schale fallen. Wie kann er das wissen? Das einzige Wort, welches ich zu ihm gesagt habe, war mehr ein hilfloses Krächzen. Ein kleines Lächeln breitet sich auf seinen Lippen aus, so eins, welches er immer hat, wenn er glücklich ist. ,,Du redest im Schlaf. Es ist erstaunlich. Manchmal wache ich auf und höre deiner wunderschönen Stimme zu." Er macht eine kleine Pause. ,,Und wenn du von bösen Traumen heimgesucht wirst, werde ich immer für dich da sein." Ich mache die Handbewegung, welche für das Wort Danke steht und mache schnell meine Schale leer. ,,Entschuldige, wenn ich dich etwas überrumpelt habe. Doch ich konnte es nicht länger für mich behalten." Lächelnd blicke ich zu Winnetou. Natürlich, war es ein kleiner Schock für mich. Und ich hoffe doch sehr, dass es beim Kapitän nicht so war. Und ebenso freue ich mich, dass Winnetou sich nicht daran stört.

Stolen from Britain, brought to AmericaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt