Kapitel 14

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,,Ruby, wach auf. Wir müssen weiter." Schlagartig öffne ich meine Augen. Ich bin wirklich hier eingeschlafen. Sofort stehe ich auf und gehe zu Maka. Winnetou hat das Gepäck bereits wieder auf Chephe festgeschnürt. Schneller als ich gucken kann sitzt er schon wieder auf seinem Hengst. Verzweifelt schaue ich mich nach einer Aufstiegshilfe um, doch hier gibt es nur kleine Sträucher und den glatten Fels. Dann muss ich es wohl so probieren. Mit einem Schritt Anlauf springe ich ab und versuche mich hochzuziehen. Allerdings mangelt es mir an Kraft und so rutsche ich von Makas glattem Rücken zurück auf den Boden. Winnetou lässt sich nichts anmerken, doch ich weiß, dass er es lustig findet. Jemand, der nicht reiten kann und nicht mal auf ein Pferd kommt. Ich würde es auch lustig finden, wenn er beim bügeln verzweifeln würde. Nach ein paar weiteren Versuchen wird es Maka zu bunt und geht schnauben in die Knie. Kurz darauf liegt er komplett auf dem Boden. ,,Steig auf", weist Winnetou mich freundlich auf, keine Spur der Verhöhnung in der Stimme. Also setze ich mich auf Makas Rücken. Kaum sitze ich, steht er vorsichtig wieder auf und läuft los. Dankbar streiche ich dem guten Tier über den Hals. Ich weiß wirklich nicht, was ich sonst gemacht hätte. ,,Maka mag dich sehr. Das macht er nur bei besonderen Menschen." Ein glückliches Gefühl durchströmt mich. Das Tier hat Vertrauen zu mir gefasst und ich vertraue Maka ebenfalls. Auch, wenn es nur die Gewissheit ist, dass er mich nicht ohne Grund abwerfen wird. Zu mehr Vertrauen war noch zu wenig Zeit, doch es reicht um sich auf Makas Rücken sicher genug zu fühlen.

Den ganzen Tag reiten wir, bis die Sonne schon sehr tief steht und die Dämmerung uns bereits einhüllt. ,,Der Ort ist gut. Hier verbringen wir die Nacht", bestimmt Winnetou und rutscht von Chephe. Wieder steige ich so wie eben ab und lande auf dem trockenem Boden. Ich vergewisser mich, dass der beschriebene Papierbogen immer noch ordentlich in der Tasche ist und nicht auf unserem Weg raus gefallen ist. Wir sind gut geschützt in dem Schatten eines Berges. Winnetou reicht mir eine Decke und sucht dann ein paar Stöcke und Gräser für ein Feuer zusammen. Ich hoffe die Nacht wird nicht kalt. Nach der ständigen Hitze würde ich zu schnell auskühlen, und mich warscheinlich die gesamte Nacht frierend auf dem Boden wälzen. Er gibt mir ein Stück Trockenfleisch, welches ich langsam anfange zu kauen. Das Feuer strahlt eine angenehme Wärme aus und durch Winnetous Anwesenheit wiege ich mich in Sicherheit. Die Atmosphäre erinnert mich an die vielen Abende mit Tante Anne vor dem Kamin. Das vertraute Knistern des Feuers dringt an meine Ohren und der Geruch des Rauches in meine Nase. Durch die Anstrengung des Reitens schlafe ich zum Glück auch recht schnell ein.

Ein leises Schnauben weckt mich aus meinem Schlaf. Ich richte mich auf und sehe mich um. An der Feuerstelle glimmt nur noch eine schwache Glut, die Pferde stehe dösend am Baum und Winnetou schläft noch. Vorsichtig stemme ich mich hoch und spüre sofort ein schmerzhaftes Ziehen in meinem Beinen. Es schmerzt beim gehen und ich frage mich wie ich einen weiteren Tag auf Makas Rücken aushalten soll, wenn ich nicht mal ohne Schmerz stehen kann. Ich lösche schon mal die Glut und packe meine Sachen zusammen. Kaum bin ich fertig, wacht Winnetou auf und macht sich direkt an die Arbeit. ,,Hast du Schmerzen?", fragt er stirnrunzelnd, als ich mich keuchend aufrichte. Leicht nicke ich und deute auf meine Beine. ,,Ist es sehr schlimm?" Ich schüttel meinen Kopf und binde mein weniges Gepäck an Maka fest. ,,Gut. Dann reiten wir weiter", bestimmt Winnetou und schwingt sich auf Chephes Rücken. Gütig wie Maka ist, knicken seine Vorderbeine ein und er legt sich hin. Dankbar streiche ich ihm über den Hals. Er ist wirklich ein treues Tier. Kaum sitze ich, als er schon wieder aufsteht und losläuft.

Die Sonne steht schon wieder tief, als die ersten Umrisse der Häuser am Horizont zu erkennen sind. Es sind einfache Hütten, aus Holz zusammen gezimmert. Es sieht ganz anders als die Kolonie aus. Am Eingang hängt ein Schild mit der Aufschrift Silvertown. Die wenigen Menschen auf der Straße, falls man den Weg so bezeichnen kann, begrüßen uns freundlich. Vor einem großen Haus hält Winnetou Chephe an und steigt ab. Ich folge ihm und nehme den Papierbogen aus meinem Gepäck. Laut klopft der Apache an die Tür, welche kurz darauf von einem blonden Mann mittleren Alters geöffnet wird. ,,Winnetou. Was verschafft mir die Ehre? Ihr wart doch vor kurzem erst hier." Winnetou tritt etwas auf Seite und gibt somit den Blick auf mich frei. ,,Das ist Ruby." Freundlich nickt der Mann. ,,Guten Tag, junge Dame. Wie kann ich behilflich sein?" Ich reiche ihm den Bogen. ,,Ah, einen Brief den ich aufgeben soll?" Ich nicke. ,,Kommt doch rein, dann klären wir drinnen alles weitere." Der Mann macht eine einladende Handbewegung ins Innere des Hauses, welcher wir nachkommen. Die Stube ist gemütlich eingerichtet. ,,Wie unhöflich von mir, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Mr. Carter." Er holt einen Briefumschlag, Feder und ein kleines Tintenfass hervor. ,,Dann bitte ich darum, den Umschlag zu beschriften", sagt Mr. Carter freundlich und überlasst mir die Utensilien. Ich setze ich auf den Stuhl, welchen er mir anbietet und schreibe die Adresse von Tante Anne auf den Umschlag. ,,Nach England also? Eure Heimat?" Ich nicke, falte den Papierbogen und stecke ihn in den Umschlag. Mr. Carter schreibt noch den Absender auf den Brief und versiegelt ihn dann mit Wachs und seinem Ring. ,,Der nächste Trupp zur Küste fährt in einer Woche los. Dann werde ich diesen Brief mitschicken." Er wendet sich am den Apachen. ,,Winnetou, hast du etwas zum Tausch der Marke dabei?" Das hatte ich ja ganz vergessen. Natürlich ist es nicht kostenlos einen Brief zu verschicken. Oh, wie dumm ich doch bin. Jetzt wird der Brief nicht verschickt. Doch zu meinem Erstaunen nickt Winnetou und holt eine kleine Holzfigur aus seiner Tasche. ,,Oh wie wunderbar. Ein weiteres Tier für meine Sammlung." Mr. Carter betrachtet die Schnitzerei. ,,Ein Wolf, richtig?" Winnetou nickt. Mr. Carter stellt die Figur auf das Fensterbrett, wo schon viele dieser Figuren stehen. ,,Darf ich euch bitten eine Nacht bei mir zu bleiben? Es ist schon dunkel, ich hätte ein schlechtes Gewissen euch wieder zurück zu schicken. Seid meine Gäste." ,,Gerne bleiben wir", bestimmt Winnetou. ,,Ruby, würdest du das Gepäck holen?", bittet der Apache mich freundlich. Sofort nicke ich und stehe auf. Ich bin Winnetou so unendlich dankbar. Er hat mich vor dem Tod bewahrt und ermöglicht mir jetzt auch noch den Brief nach Hause zu schicken. Nun stehe ich endgültig ewig in seiner Schuld. Doch bei den Apachen bin ich gut aufgehoben.

Stolen from Britain, brought to AmericaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt