Kapitel 25

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,,Ruby." Verwirrt drehe ich mich im Kreis. ,,Wer ist da?", rufe ich laut. Meine Stimme klingt so fremd. Es ist komplett dunkel. Ab und zu zuckt ein heller Blitz über den Himmel und allmählich erkenne ich, wo ich bin. Ich stehe auf einem Acker, es regnet in Strömen und meine Füße versinken im Schlamm. ,,Ruby", ertönt wieder diese geisterhafte Stimme. ,,Wer bist du? Was willst du?" Verzweifelt drehe ich mich in alle Richtungen, doch ich kann nichts außer den Blitzen erkennen. ,,Es ist deine Schuld." Ich beginne zu zittern. ,,Was ist meine Schuld?" Auf einmal erscheint eine Gestalt. Nur ganz kurz, dann ist sie wieder weg. ,,Du bist Schuld." ,,Was bin ich Schuld?", schreie ich aufgebracht. Ich will hier raus, raus aus diesem Alptraum. Zurück in die Realität. Auf einmal erscheint die Gestalt direkt vor mir. Ich zucke zusammen und spüre wie das Adrenalin durch meinen Körper schießt. Endlich erkenne ich wer vor mir steht. Der Kapitän, doch er sieht nicht aus wie sonst. Er ist blass, schimmert weiß und seine Augen blicken mir tot entgegen. ,,Wegen dir werde ich sterben. Du bist an allem Schuld, Ruby." ,,Nein, nein.",,Ruby."
,,Nein.",,Ruby." ,,Lass mich."

,,Ruby." Zitternd schlage ich die Augen auf und blicke wieder in Winnetous Gesicht. ,,Nur ein Traum." Ich schließe meine Augen und wische mir Tränen und Haare aus meinem Gesicht. Winnetou setzt sich neben mich und zieht mich etwas auf seinen Schoß. Wie immer beruhigt mich schon seine bloße Anwesenheit. ,,Nur ein Traum", murmelt er immer wieder mit seiner dunklen Stimme. Noch nie hatte ich so häufig Alpträume. Natürlich hatte ich mal welche, doch da bin ich höchstens aufgeschreckt aufgewacht. Doch diese Träume haben es in sich. ,,Wein nicht. Er hat es nicht verdient", flüstert der Apache und streicht mir sanft die Tränen aus dem Gesicht. ,,Ich schwöre dir, er wird seine gerechte Strafe bekommen." Woher weiß Winnetou um wen es ging? Habe ich etwa im Schlaf geredet? Vorsichtig befreie ich mich aus seinem Griff und setze mich auf. ,,Komm." Er steht auf und zieht mich ebenfalls hoch. Dann bringt er mich zu seinem Bett. Möchte er etwa, dass ich darauf schlafe? Das kann ich doch nicht annehmen. Leicht schüttel ich den Kopf und gehe einen Schritt zurück. ,,Es macht mir nichts. Hier ist genug Platz. Ich möchte nicht, dass du mit Angst schläfst." Zögernd setze ich mich auf die weiche Liege. Ich weiß, dass Winnetou nicht nachgeben wird. Und vielleicht schlafe ich wirklich besser, wenn er direkt neben mir liegt. Schließlich schafft er es auch mich zu beruhigen und zu verstehen. Langsam hebe ich meine Beine und rutsche durch, bis ich an der Wand ankomme. Winnetou legt sich ebenfalls hin und zieht die Decke über uns. Zwischen uns ist noch ein bisschen Platz, doch trotzdem spüre ich deutlich die angenehme Wärme, welche von dem jungen Mann ausgeht. Ziemlich schnell fallen mir wieder die Augen zu und ich falle zurück in die erholende Schwärze.

Neugierig schaue ich mich um. Nachdem wir einige Zeit über die Prärie, wie Winnetou es nannte, geritten sind, befinden wir uns nun mitten im Wald. Geschickt bahnen sich die Pferde einen Weg durch das Unterholz, als würden sie nie etwas anderes machen. Eindrucksvolle Bäume ragen neben uns auf, eine Größe und Dicke, welche ich noch nie gesehen habe. In einiger Entfernung rauscht ein Fluss, die Waldgeräusche verschwimmen zu einem angenehmen Geräusch, welcher von dem regelmäßigen Hufklang begleitet wird. ,,Gleich sind wir da", meint Winnetou. Das Rauschen wird lauter und die Bäume lichten sich etwas. Der Boden wandelt sich zu Fels und dann sehe ich den Fluss. Doch nicht nur den Fluss. Rechts von uns liegt ein mächtiger Wasserfall, aus welchem die Wassermassen laut rauschend in die Tiefe fallen. Da wir oberhalb des Wasserfalls sind, haben wir einen atemberaubenden Überblick, über das Naturschauspiel und den mächtigen Wald. Es ist unglaublich. Niemals hätte ich gedacht, dass ein Land so schön sein kann. Und ich kann mich gar nicht satt sehen, an dem schönen grün der Blätter, dem klaren Wasser, welches nur ein paar Meter neben mir in die Tiefe stürzt. Ich verstehe Winnetou. Er liebt sein Land, seine Heimat und bei dieser Schönheit ist das kein Wunder. ,,Es ist wunderschön nicht wahr?" Zustimmend nicke ich. ,,Komm mit." Winnetou steigt von Chephe und ich ebenfalls von Maka. Wir gehen zu einer kleinen Felswand, welche grob gebrochen ist, sodass es schon beinahe wie eine Treppe ist. Schnell folge ich Winnetou, welcher sich flink und wendig an den Steinen hochzieht. Oben angekommen staune ich noch mehr. Es ist ein doppelter Wasserfall, erst fällt das Wasser eine kleine Strecke hinunter und fließt dann weiter, um wieder in die Tiefe zu stürzen. Ich sehe zu Winnetou, welche mir geschlossenen Augen still steht und den frischen Wind auf seiner Haut genießt. Seine schwarzen Haare werden in sein Gesicht geweht, doch das scheint ihn nicht zu stören. Ein einsamer Greifvogel schwebt über unseren Köpfen und fliegt in den endlos blauen Himmel hinein. Selten habe ich mich so frei und unbeschwert gefühlt wie in diesen Augenblicken.

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