Kapitel 19

5K 209 7
                                    

Tag für Tag quäle ich mir durch die Arbeit. Tag für Tag rede ich mir ein, dass bald alles besser wird. Doch was soll passieren? William ist tot, Tante Anne wird meinen Brief niemals erreichen und Winnetou hat mich freigelassen, noch dazu ist er verletzt. Wer sollte mich also aus dieser Hölle rausholen? Tag für Tag wird der Kapitän aufdringlicher. Besonders schlimm ist es, wenn er Whisky getrunken hat. Bis jetzt konnte er sich rechtzeitig zügeln, doch wenn er es wirklich möchte, habe ich keine Möglichkeit zu entkommen. Mit einem lauten Knall geht die Tür auf. ,,Ruby", tönt die angetrunkene Stimme des Kapitäns durch das kleine Haus. Sofort stehe ich auf und gehe zu ihm. Wenn ich eins in den letzten acht Tagen gelernt habe, dann, dass es nicht klug ist, sich dem Kapitän zu widersetzen. Egal bei was. Und mein Sturkopf hat mir schon die ein oder andere Ohrfeige eingebracht. Mit gesenkten Kopf stehe ich vor dem furchteinflößenden Mann. Wie immer bringt mich der Geruch von Whisky, Tabak und Schweiß zum würgen. ,,Du lernst dazu. Das gefällt mir." Grob packt er mein Gesicht und zieht mich zu sich. ,,Heute werde ich dich ganz zu meinem machen. Gefällt dir das du kleine Schlampe?", grinst er und fährt mit seinem Daumen über meine Lippen. Nein. Das darf er nicht. Das kann er nicht machen. ,,Keine Angst. Früher oder später kriege ich alles, was ich will." Fest umgreift er meinen Arm und zieht mich ins Schlafzimmer. Mit viel Kraft unterdrücke ich meine Tränen. Er soll mich nicht weinen sehen. Das macht mich nur noch schwächer. Er hat es nicht verdient mich so zu sehen. Mit einer Wucht, welche ich nicht erwartet hätte, schmeißt er mich grob auf das Bett. Langsam beugt er sich über mich. Wie immer starre ich an die Wand, um ihm nicht ins Gesicht blicken zu müssen. Ich spüre seine Hände unter meinem Kleid und merke wie sich eine angeekelte Gänsehaut auf meinem Körper ausbreitet. Doch bevor der Kapitän weitere Sachen machen kann, ertönen von draußen laute Unruhen und kurz darauf pocht jemand an die Schlafzimmertür. ,,Ich hoffe es ist wichtig", knurrt der Kapitän sichtlich genervt. ,,Sir, wir werden von Rothäuten angegriffen", ertönt die aufgeregte Stimme von der anderen Seite. Apachen, schießt es mir direkt durch den Kopf. ,,Macht euch kampfbereit. Ich komme sofort", ruft der Kapitän, welcher immer noch auf mir hockt und seine Hände unter meinem Kleid hat. ,,Und du...", beginnt er und holt ein Seil aus dem kleinem Regal neben dem Bett. ,,...wirst schön hier auf mich warten", vollendet er seinen Satz und bindet meine Hände schmerzhaft an das Bett. Entsetzt muss ich mit ansehen, wie er den Raum verlässt und mich hier hängen lässt. Egal was ich versuche, die Seile sind zu stark und ich hab keine Möglichkeit zu entkommen.

Das Gebrüll draußen wird lauter und ich frage mich, ob der Kampf schon begonnen hat. Und ich kann nicht im geringsten etwas unternehmen. Leise Schritte ertönen im Haus und nähern sich der Tür, welche ins Schlafzimmer führt. Inständig hoffe ich, dass es nicht der Kapitän ist. Bevor ich weiter nachdenken kann, öffnet sich die Tür. Ungläubig starre ich zu der Person, welche sie hinter sich schließt. Er ist es. Er ist wirklich gekommen. ,,Keine Angst", spricht Winnetou leise und kommt auf das Bett zu. Erleichterung und Glücksgefühle durchströmen mich. Mit seinem Messer schneidet Winnetou die Seile durch und hilft mir auf. Überschwänglich lege ich meine Arme um seinen Oberkörper und drücke ihn an mich. So sehr habe ich ihn vermisst und ich habe mir schreckliche Sorgen und Vorwürfe gemacht. Behutsam streicht er mir über die Haare. ,,Wir müssen hier raus. Bist du verletzt?" Ich schüttel den Kopf und gehe einen Schritt nach hinten. ,,Komm mit", flüstert er und schleicht zurück in den Wohnraum. Vorsichtig öffnet er die Tür und sieht sich um. Draußen herrscht Chaos, ähnlich als wir Sklaven geflohen sind, aber die Apachen sind eindeutig in der Überzahl. Langsam schleiche ich hinter Winnetou her, zum Tor, welches nicht beachtet wird. Dicht am Zaun drücken wir uns an der Außenseite lang, bis wir die Hinterseite der Kolonie erreicht haben. Dort steht Chephe, etwas versteckt hinter einem Hügel. Mit Winnetous Hilfe steige ich auf seinen Rücken und der junge Apache kommt hinter mir zum sitzen. Sanft legt er seine starken Arme um meine Hüfte und bewahrt mich so vor einem Sturz, als Chephe anfängt zu traben. Nicht ein einziges Mal blicke ich zurück zur Kolonie, wo immer noch Kampfgerräusche zu mir dringen, aber mit jedem Schritt von Chephe leiser werden und schließlich ganz verklingen. Nur das Trommeln der Hufe ist zu hören. Leicht lehne ich mich an den Mann hinter mich, welcher mir gerade ein weiteres Mal das Leben gerettet hat. Wie soll ich ihm das nur jemals zurückgeben? Er gibt mir Sicherheit, sorgt für mich und beschützt mich. Und ich erledige dagegen nur etwas plumpe Arbeit, welche jedes Kleinkind in England erledigt. Ich bin Winnetou so unendlich dankbar.

Stolen from Britain, brought to AmericaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt