Ich bin froh als es endlich wieder wärmer wird, der Schnee schmilzt und der Frühling kommt. Denn somit kommt auch die Ankunft von Tante Anne immer näher. Die letzten Wochen habe ich mich Dank Tohon immer wieder zurückgezogen. So oft wie möglich unternehme ich alleine kleinere Spaziergänge, mal mit und mal ohne Maka. Winnetou ist immer noch höflich und freundlich zu mir, versucht mich zu beschützen, oder ist einfach nur für mich da, wenn ich ihn brauche. Mit Klekih-Petra rede ich noch, aber deutlich weniger. Auch er macht sich Sorgen. Ich hoffe, dass es mit dem Besuch von Tante Anne wieder besser wird. Sie kenne ich schon ewig, mit ihr kann ich ohne Probleme reden und vielleicht schaffe ich es dann auch endlich, dass mir die Worte und Blicke von Tohon gleichgültig sind. Er hasst mich, das merkt man in jeder Sekunde, in der wir zusammen sind, uns begegnen oder er mich einfach nur mit Blicken durchbohrt. Doch nach dem Vorfall in Winnetous Pueblo hat er stricktes Annäherungsverbot von seinem Vater bekommen. Sollte er sich auch an dieses nicht halten, dann bekommt er eine stärkere Strafe. Und ich möchte wirklich nicht dran Schuld sein, wenn ihm etwas passieren sollte.
Voller Aufregung sitze ich auf Maka und sehe, wie die Dächer von Silvertown immer näher kommen. Heute Abend oder spätestens morgen Abend sollte Tante Anne mit dem Planwagentrupp ankommen. Die letzten Wochen sind wie im Flug vergangen und ehe ich mich versehen habe, war der Schnee geschmolzen, die Blumen blühten und das Gras wuchs in einem Grün, welches ich noch nie zuvor gesehen hatte.
Mr. Carter sitzt gemütlich auf seiner Veranda, als wir ankommen. ,,Winnetou, Ruby, es freut mich euch begrüßen zu dürfen", lächelt er und kommt die wenigen Stufen zu uns runter. ,,Nun der Trupp ist noch nicht da, doch ich lade euch gerne ein, die Wartezeit in meinem Haus zu verbringen. Ihr hattet einen langen Weg und seid bestimmt hungrig." Ich folge Winnetou in das Haus und sehe, dass der kleine Tisch bereits gedeckt ist. ,,Setzt euch, setzt euch. Das Essen ist so gut wie fertig." Etwas unwissend, ob ich in die Küche gehen soll, um zu helfen, oder hier bleiben soll, stehe ich im Raum herum, während Winnetou und Mr. Carter sich bereits setzen. ,,Nimm Platz, Ruby. Du bist der Gast, meine Frau schafft das Essen auch alleine", meint Mr. Carter. Winnetou nickt mir leicht zu und somit setze ich mich neben den Apachen. Schnell sind die zwei Männer in ein Gespräch verwickelt. Ich schweife stattdessen zu meiner Tante ab. Fest hoffe ich, dass es ihr gut geht und auf der Reise hierher nichts passiert ist. Es kann so viel passieren. Stürme, Piraten, Tierangriffe, daran mag ich überhaupt nicht denken.
Gemeinsam sitzen wir draußen auf der Veranda und sehen uns den Sonnenuntergang über dem kleinen Dorf an. Mr. Carter raucht dabei ein paar Zigarren und nimmt ab und zu ein Schluck Whiskey. Zu beiden konnte er Winnetou jedoch nicht begeistern. Das Feuerwasser, wie sie den widerlichen Alkohol nennen, rühren sie nicht an und das einzige, was Winnetou raucht, ist seine Pfeife, welche er sich bei besonderen Anlässen mit seinen Freunden oder seiner Familie anzündet.
Es ist noch früher Morgen, als auf einmal das Läuten der Glocke durch die Stadt hallt. Die Planwagen. Ohne auf Winnetou zu warten, welcher auch gerade wach wird, stehe ich auf und mache mich innerhalb weniger Sekunden fertig. ,,Was ist das?", fragt mein Begleiter alamiert und sieht sich um. In schnellen Schritten geht er zu dem Fenster und sieht nach draußen. ,,Die Wagen?", fragt er mich. Hastig nicke ich und verlasse dann auch schon das Zimmer. Kaum bin ich die Treppe runter, höre ich, wie Winnetou mir folgt. Mit einem Satz springe ich die wenigen Stufen der Veranda herunter und folge dann den Menschen, welche ebenfalls aus ihren Häusern kommen. In weiter Entfernung ist eine große Staubwolke zu sehen, welche immer größer wird. Nach und nach erkenne ich auch einzelne Wagen. Angespannt stehe ich neben Winnetou, welcher sich zwischen den ganzen Menschen nicht wirklich wohl fühlt. Doch ich bin viel zu aufgeregt, um mich darum zu kümmern. Die Planwagen kommen auf dem großen Platz zum stehen. Nach und nach springen immer mehr Menschen aus den Wagen und ich halte neugierig nach Tante Anne Ausschau. ,,Endlich hat diese schreckliche Fahrt ein Ende", schimpft eine bekannte Stimme. Lächelnd drehe ich mich zu Tante Anne, welche alles neugierig mustert. Ohne noch länger zu warten, renne ich los. ,,Oh Ruby", ruft sie überrascht aus und breitet die Arme aus. Glücklich umarme ich meine Tante, welche sich ein paar Freundentränen nicht verkneifen kann. ,,Ich habe dich so vermisst. Lass dich ansehen." Lächelnd betracht sie mich. Danach sieht sie sich um. ,,Hier ist es wirklich schön. Wo wohnst du denn?", fragt sie. Grinsend schüttel ich den Kopf. Wenn sie wüsste, dass uns noch ein zwei Tages Ritt bevorsteht. Winnetou kommt zu uns. ,,Ich bin Winnetou. Der Sohn des Häuptlings der Apachen", stellt er sich vor. ,,Miss Conlon, sehr erfreut", antwortet Tante Anne, mustert Winnetou etwas skeptisch, reicht ihm dann aber die Hand. Verwirrt starrt der Apache die Hand an und weiß nicht so recht, was er machen soll. Sanft lege ich meine Hand auf Tante Annes Arm und senke ihn. ,,Schön", überspielt sie das Ganze und wendet sich wieder an mich. ,,Nun, ich würde mich gerne etwas frisch machen und ausruhen." ,,Es ist nur noch ein zwei Tage Ritt, bis zu unseren Lager", erklärt Winnetou selbstverständlich und hebt den Koffer von Tante Anne hoch. Klekih-Petra hat ihm ein wenig von unseren Sitten beigebracht. Das Händeschütteln hat er wohl vergessen. ,,Zwei Tage? Ruby soll das ein Scherz sein?" Ich schüttel den Kopf und folge Winnetou zu unseren Pferden. Wir haben extra noch ein drittes für Tante Anne mitgenommen. Die kleine Scheckstute ist ideal für Tante Anne. Nicht zu groß und genauso lieb und treu wie Maka. ,,Warte. Wir reiten jetzt noch zwei Tage durch die Gegend?" ,,Keine Angst. Weeko ist sehr lieb", versucht Winnetou sie zu beruhigen und streichelt seiner Stute über den Rücken. ,,Na schön. Eine andere Wahl habe ich wohl nicht. Wo ist denn der Sattel?" Winnetou schnallt den Koffer an Chephe fest. ,,Apachen reiten ohne alles", antwortet er schlicht und zieht sich auf seine Hengst. Ich lege Weeko noch ein Seil um den Hals, damit Tante Anne ich wenigstens etwas besser festhalten kann. ,,Und wie soll ich dort hinaufkommen?" Oh Mist, dass hatte ich ja komplett vergessen. Mit dem Kleid zu reiten ist sowieso nicht bequem, aber es gibt keine Möglichkeit für sie auf das Pferd zu steigen. Ich sehe mich um und sehe die Treppe, welche zur Veranda von Mr. Carter führt. Also nehme ich Weeko am Seil und führe sie zur Treppe. ,,Danke Ruby. Würdest du sie festhalten?" Ich nicke. Ganz langsam steigt Tante Anne die Stufen hinauf. Mutig schwingt sie ihr Bein über den Rücken und lässt sich auf Weeko gleiten. ,,Ach du liebe Güte, hoffentlich bleibe ich oben", lacht sie und richtet ihr Kleid. Brav bleibt die Stute stehen und wartet auf Anweisungen ihrer Reiterin. Schnell laufe ich zurück zu Winnetou, welcher bereits fertig auf Chephe sitzt. Mit einem kräftigen Sprung sitze auch ich auf meinem Pferd und wir können los. ,,Das ich noch so ein Abendteuer in meinen Jahren erlebe, hätte ich nicht gedacht", seufzt Tante Anne und streicht ihrer Stute über die Mähne. ,,William hatte recht. Dieses Land ist wirklich sehr schön. Fast bin ich schon etwas neidisch." Lächelnd blicke ich mich um. Jetzt im Frühjahr ist es eindeutig am schönsten. Die Prärie strahlt in einem satten grün, zwischendruch sieht man bunte Blumen, die Büsche und Bäume tragen schöne grüne Blätter. Winnetou reitet vor uns, während Tante Anne mir den neusten Tratsch aus Brighton erzählt. ,,Stell dir vor, Marie ist mit Stefan durchgebrannt." Tante Anne kichert. ,,Du glaubst ja nicht, was Maries Eltern für einen Aufstand gemacht haben." Oh doch, dass kann ich mir sehr gut vorstellen. Marie, die Tochter aus Adelshaus brennt mit dem Bauersjungen durch. Das war bestimmt wochenlang Gesprächsthema Nummer eins in Brighton.
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Stolen from Britain, brought to America
Ficción históricaRuby lebt ihr einfaches Leben in Brighton. Sie wohnt bei ihrer Tante, seit ihre Eltern nach einem Tagesausflug spurlos verschwanden. Eines Tages wird Ruby jedoch entführt und mit anderen auf ein Schiff gebracht. Sie erfährt, dass sie nach Amerika ge...