Der Tag beginnt wie jeder andere. Ich wache vor Winnetou auf und verlasse leise das Pueblo. Draußen ist es noch schön kühl, doch schon bald wird die Sonne höher steigen und unermüdlich auf die Erde niederbrennen. Aber es ist nicht mein erster Sommer hier, also habe ich bereits an die Hitze gewöhnt. Wie jeden Morgen nehme ich mir einen großen Krug und gehe damit hinunter zum Fluss. Der Fluss es nicht weit entfernt und an einer seichten Stelle kann man sich wunderbar waschen oder Wasser holen. So früh am Morgen ist noch nicht viel los. Auf meinem Weg zum Fluss schaue ich einmal kurz bei den Pferden vorbei, ob es ihnen gut geht.
,,Ruby, da bist du ja. Ich soll dir von Winnetou ausrichten, dass du zu ihm kommen sollst. Er ist in seinem Pueblo", sagt Klekih-Petra und streicht Maka einmal über die Nüstern. Ich nicke und mache mich auf den Weg, während der alte Mann bei den Pferden bleibt und seine schöne Schimmelstute zu sich ruft. Aus Winnetous Pueblo höre ich bereits Tohons Stimme. Da ich nicht unhöflich sein möchte, warte ich geduldig, bis die beiden fertig mit reden sind. ,,Was willst du mit ihr machen, wenn du verheiratest bist?" ,,Niemand weiß, ob wir wirklich heiraten. Vater möchte es, doch ich weiß nicht ob ich es möchte." ,,Sag bloß du hast dich in dieses weiße Mädchen verliebt", höhnt Tohon. ,,Nein. Wie kannst du es wagen", knurrt Winnetou. ,,Du weißt, dass sie hier nicht wohnen bleiben kann." ,,Dann wohnt sie eben bei Klekih-Petra. Aber du wirst sie nicht bekommen." ,,Warum nicht?" ,,Damit du sie wie eine Sklavin ausnutzt? Ihre Menschenwürde missachtest? Nein, Tohon. Ruby gehört nach Gesetz unseres Stammes immer noch mir und somit entscheide ich, was mit ihr passieren wird." ,,Aber du hast sie freigelassen." ,,Und doch ist sie nicht gegangen. Geh Tohon." Winnetou klingt sehr wütend und aufgebracht. So habe ich ihn selten erlebt. Und ich verstehe nicht wirklich etwas. Wieso soll ich bei Winnetou ausziehen? Wen soll er überhaupt heiraten? Und warum möchte Tohon unbedingt, dass ich bei ihm wohne? Tohon kommt aus dem Pueblo, sieht mich wie immer finster an und geht davon. Vorsichtig gehe ich in das kleine Haus, in dem Winnetou gedankenlos in die Glut schaut. Als ich mich neben ihn setze, blickt er kurz auf. ,,Du hast das Gespräch gehört, nehme ich an." Zögernd nicke ich. ,,Bitte entschuldige, ich wollte es dir früher sagen. Doch mein Vater wollte in der letzten Zeit sehr viel von mir, da habe ich es vergessen. Morgen wird ein befreundeter Stamm der Lakota zu uns kommen. Die Tochter des Häuptlings ist genauso wie ich in einem heiratsfähigen Alter. Unsere Väter beschlossen schon früh, dass wir einmal heiraten werden, um die Freundschaft des Stammes aufrecht zu erhalten. Dir ist bestimmt auch klar, dass du deswegen nicht mehr hier wohnen kannst. Tohon wollte dich haben, aber keine Sorge, das tue ich dir nicht an. Du hast genug schlimme Sachen erlebt. Klekih-Petra ist damit einverstanden, dass du zu ihm gehst." Während Winnetou das alles erzählt, wirkt er bedrückt, fast traurig. Sollte man sich auf eine Hochzeit nicht freuen? Mit der Person, die man liebt, bis in alle Ewigkeiten verbunden zu sein? ,,Pack deine Sachen. Und wenn du jetzt doch zurück in deine Heimat möchtest, werde ich das respektieren." Ich schüttel den Kopf und gehe zu meinen wenigen Sachen. Ich werde hier bleiben. Egal was passiert.
Der nächste Tag kommt schnell und der ganze Stamm ist in heller Aufregung über den Besuch. Die letzten Vorbereitungen werden getroffen, da der Stamm schon bald ankommen wird. Ich habe bereits meine Arbeit erledigt und sitze nun mit Klekih-Petra vor meinem neuen Pueblo und betrachte das Gewusel auf dem Platz. Auf einmal laufen alle Kinder aufgeregt in eine Richtung. Dort wo der Weg hinunter in die Prärie geht. ,,Es sieht so aus, als wäre der andere Stamm da", meint Klekih-Petra und erhebt sich. Alle Apachen haben sich mittlerweile versammelt, um den Stamm zu begrüßen. Sie sehen ähnlich aus wie die Apachen mit ihren langen schwarzen Haaren. Die Kleidung hat ein anderes Muster und die Waffen sind anders geschnitzt. ,,Ich begrüße Häuptling Okemos und seinen Stamm herzlich in unserem Lager. Das hier sind meine Söhne Winnetou und Tohon. Und meine geliebte Frau Salali." Die beiden Häuptlinge reichen sich feierlich die Hand. ,,Ich bin sehr dankbar für eure Großzügigkeit. Das hier ist mein ältester Sohn Notaku, meine schöne Tochter Mapiya und meine Frau Rayen." Die beiden Familien begrüßen sich. Danach werden ihnen die Schlafstätten gezeigt und allmählich leert sich der Platz wieder. ,,Kaum zu glauben, dass Winnetou schon heiraten soll. Jahrelang hat man ihn großgezogen und Sachen gelehrt und dann heiratet er." Klekih-Petra seufzt einmal tief und zündet sich dann seine Pfeife an. Auf einmal stehen Winnetou und Mapiya vor uns. ,,Dies ist mein weißer Vater, Klekih-Petra. Und das ist Ruby. Sie wurde gegen ihren Willen von ihresgleichen hier her verschleppt und nun lebt sie als Stammesmitglied bei uns", stellt Winnetou uns vor. Mapiya nickt lächelnd. Sie ist wirklich eine Schönheit. Ihr langes Haar fällt in zwei dicken Zöpfen, glänzend bis zu ihrer Hüfte herab. Sie ist so groß wie ich und ihre Haut hat einen wunderschönen dunklen Ton. ,,Du hast sehr schönes Haar", sagt Mapiya und lässt eine Strähne zwischen ihren Fingern hindurch gleiten. Ich mache eine Handbewegung für Danke und lächel sie an. ,,Ruby kann nicht reden", erklärt Winnetou ihr schnell, nachdem sie etwas verunsichert geguckt hat. ,,Wir sehen uns später", sagt Winnetou und die zwei ziehen weiter. ,,Ein sehr schönes Mädchen. Doch Winnetou scheint nicht glücklich zu sein", meint Klekih-Petra und zieht an seiner Pfeife. Falls Winnetou wirklich nicht glücklich ist, kann er es sehr gut überspielen.
DU LIEST GERADE
Stolen from Britain, brought to America
Historical FictionRuby lebt ihr einfaches Leben in Brighton. Sie wohnt bei ihrer Tante, seit ihre Eltern nach einem Tagesausflug spurlos verschwanden. Eines Tages wird Ruby jedoch entführt und mit anderen auf ein Schiff gebracht. Sie erfährt, dass sie nach Amerika ge...