Wandschrank himmelblau

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Währenddessen flogen die wein- und zinnoberrote Fee los, um die anderen Königskinder zu holen. Genau wie die moosgrüne Fee, schlichen sie sich mit einem Traumzauber in die Schlafkammern und kamen mit den schlummernden Thronerben zurück. Die weizengelbe Fee flog unterdessen in Königin Belle's Heimat. In einem schnuckeligen, mit wildem Wein bewachsenen Backsteinhäuschen, außerhalb des malerischen Dörfchens, lebte Maurice, Belle's Vater. Er war inzwischen mit einigen seiner Erfindungen bekannt geworden und verdiente mit ihnen seinen Lebensunterhalt. Seine Freizeit verbrachte er damit, seine Enkelin und ihre Eltern im Schloss zu besuchen. Einige Hühner und ein Kaltblut-Apfelschimmel, die im angrenzenden Stall friedlich zusammen lebten, leisteten ihm Gesellschaft. Der weiße Araber-Hengst Philipp war mit Belle gegangen und in die königlichen Stallungen umgezogen.
Nun lag das Dörfchen - bis auf zwei Hühner, die leise vor sich hin gackerten - in tiefem Schlaf.
Die weizengelbe Fee trat lautlos die drei Stufen bis vor die hölzerne Eingangstür zu Maurice's Haus nach oben und klopfte mit dem schweren Türklopfer laut an die Tür. Sie trat zurück und wartete.
"Wer ist denn da?" lallte Belle's Vater müde in seinem Bett und richtete sich auf. Schlaftrunken schlurfte er in seinen bequemen Pantoffeln zur Tür und öffnete dem unbekannten Störenfried, der ihm den erholsamen Schlaf raubte.
"Wie kann ich Euch um diese Uhrzeit behilflich...." Das "sein" blieb ihm im Hals stecken und er hustete. Sein Kopf verfärbte sich tomatenrot. Wann passierte es auch einmal, dass mitten in der Nacht eine Fee vor seiner Tür stand? Ihre Flügel schimmerten golden und schlugen im Takt aufeinander.
"Maurice." , sagte die weizengelbe Fee mit sanfter, aber bestimmter Stimme, die keinen Widerspruch duldete. "Schnell, pack ein paar Sachen zum Anziehen zusammen. Du wirst eine lange Reise antreten." Maurice runzelte die Stirn und rieb sich verwundert die Augen. "Was, wie wohin?" murmelte er und starrte die Fee vor ihm erstaunt an.
"Komm schnell, uns bleibt keine Zeit!" Erst jetzt erfasste Mauric'e verschlafenes Gehirn die Lage. Fieberhaft suchte er einige Hemden, zwei Hosen und Unterwäsche zusammen und stopfte alles in einen Lederbeutel. "Aber was ist mit meinen Tieren?" , fragte er besorgt. "Wer wird für sie sorgen, während ich weg bin?"
Die weizengelbe Fee blickte ihn beruhigend an. "Ich habe für alles gesorgt. Dein Nachbar wird sich gut um sie kümmern, bis du zurückkehrst." Noch etwas wackelig auf den Beinen, aber voller Neugier, wohin ihn die nächtliche Reise führen würde, folgte Maurice seinem geheimnisvollen Besuch nach draußen und stieß einen überraschten Schrei aus als sich die Fee mit ihm in die Luft erhob und über die Wälder hinweg flog.

Die lindgrüne Fee hob die Hände und löschte das knisternde Feuer, das auf Rumpelstilzchens Lichtung brannte. Niemand sollte auf sie aufmerksam werden!
Unter den verschlungenen Wurzeln einer alten knorrigen Eiche, verschloss ein kleines, nicht für jedermann erkennbares Türchen, Rumpelstilzchens winziges Heim.
Es gab nur einen einzigen Raum, in dem das kleine Männlein lebte. Dort schlief, aß und..... sponn er. In einer dusteren Ecke des Kämmerchens, stand ein glänzendes braunes Spinnrad. Die perlweiße Spule bedeckte ein goldener Faden, der magisch schimmerte.
Rumpelstilzchen und die weiße Fee standen in der Mitte des Zimmers und hatten ihre Hände erhoben. Um sie herum schwebte roter Glanz, der immer schneller um sie herum wirbelte, sich dann zu einem einzigen Strudel vor beiden zusammen fand und noch an Schnelligkeit zulegte. Das Kämmerchen schien zu beben.
Als sich der Strudel schließlich wieder verlangsamte und auflöste, stand in Rumpelstilzchens Heim ein wunderschöner himmelblauer Schrank, der aus demselben Holz gebaut war, aus dem auch der Baum über dem Häuschen bestand. Die Flügeltüren öffneten sich und gaben den Blick auf seinen einzigen Schatz frei: ein wunderschönes gelbes Ballkleid, das auf einem hölzernen Bügel hin und her schaukelte.
Die weiße Fee trat vor und berührte es. Im gleichen Augenblick traten ihre Kräfte in den Stoff über und ein überirdischer Schimmer überzog das Kleid, was ihm ein mysteriöses Aussehen verlieh.
Daraufhin entglitt es den Händen der weißen Fee und sie dank kraftlos zu Boden. Plötzlich pochte es leise an der Tür. Rumpelstilzchens Augen wanderten zum Eingang. Schützend sprang das Männlein vor die weiße Fee und versuchte sie - trotz seiner geringen Größe - zu decken. Dankbar und erstaunt sah die weiße Fee zu ihm auf. Die Tür öffnete sich und die weiße Fee erkannte die leuchtenden Flügel der moosgrünen Fee, die sich durch den Eingang schob, gefolgt von der zinnober- und weinroten Fee. Alle drei hielten je ein Bündel in ihren Armen.
"Wir haben Euren Auftrag erfüllt, weiße Fee. Hier sind die Königskinder von Schneewittchen." , die weinrote Fee trat vor und überreichte Rumpelstilzchen das schwarzhaarige Kind. "Dornröschen." , die moosgrüne Fee trat vor und gab Rumpelstilzchen das blond gelockte Mädchen. "und Belle." die zinnoberrote Fee legte das letzte Kind in die Arme der am Boden liegenden Fee. Das Mädchen besaß braun gelockte Haare, durch das sich blonde Strähnen zogen. Die drei Kinder schliefen tief und fest. Die weiße Fee erhob sich und nickte Rumpelstilzchen zu, der das gelbe Kleid vom Bügel löste und ihr überreichte. Sanft wickelte sie den gelben Stoff um das Kind in ihren Armen und legte es zu den zwei anderen in den Schrank.
Atemlos traf die weizengelbe Fee mit einem alten Mann im Schlepptau ein. "Wo bin ich? Was geschieht hier?" fragte er ängstlich und besah mit aufgerissenen Augen die anderen Feen und Rumpelstilzchen.
"Weiße Fee, was habt Ihr vor?" fragte die weizengelbe Fee. Schlagartig wurde es so still, dass man eine Stecknadel fallen hätte hören können. Die weizengelbe Fee hatte die zentrale Frage gestellt, die die anderen Feen ebenfalls bewegte. Alle starrten auf die weißen Fee. Der Blick ihrer eisblauen Augen war unergründlich und traurig. "Ich danke euch für das, was Ihr getan habt, meine Schwestern, doch das, was nun geschieht und seine Bedeutung, kann ich euch nicht sagen. Es wäre zu gefährlich! Und nun verlasst diesen Wald und entfernt euch soweit es geht! Nehmt eure anderen Schwestern ebenfalls mit! Macht schnell und schaut nicht zurück!"
Bestürzt sahen die drei Feen einander an. Was um alles in der Welt hatte das zu bedeuten? Dem Befehl ihrer Anführerin Folge leistend, bewegten sie sich nach draußen. So schnell sie konnten, fanden sich die elf Feen zusammen und flogen in Windeseile davon. Jede kehrte in ihren Palast zurück. Sie sahen sich nicht um und bemerkten so nicht die rabenschwarzen Schwingen ihrer dreizehnten Schwester, die nun vor Rumpelstilzchens Baum landete und mit lautem Pochen Einlass begehrte.

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