Der Mann im Spiegel

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Zusammen gekauert hockte Tassilo in dem kleinen Käfig aus Glas.
Er besaß kein Zeitgefühl mehr, wusste nicht, welcher Tag oder welche Stunde gerade verging.
Es müssten bereits mehrere Jahre vergangen sein...

Mechanisch griff er nach dem trockenen Krumen Brot in einer vetdreckten Schüssel, die vor ihm stand.

Da erschütterte ein kreischendes Lachen die Wände.

Sofort presste sich Tassilo die Hände auf die Ohren.
"Aufhören! Aufhören!" schrie er, voller Angst, seine Ohren könnten der Lautstärke nicht mehr standhalten.

"Du wirst jetzt genau das tun, was ich dir sage!"
drang die Stimme der schwarzen Fee durch das Glas, so deutlich als stünde sie direkt vor ihm.

"Nein, das werde ich nicht!"
schrie Tassilo zornig und heiser zurück.

"Oh, ich bin sicher, das wirst du!" ,
lachte die schwarze Fee wieder.
"Es sei denn, du willst, dass ich deiner Mutter etwas schreckliches antue oder sie womöglich..... töte?"

Da erschien vor Tassilo ein Bild an der Wand und er erkannte darauf seine Mutter.
Sie stand weinend am Fenster und hielt eine kleine Teetasse in ihren Händen.

Wie ein spitzer Pfeil bohrte sich die Sehnsucht nach ihr in Tassilos Herz und seine Augen füllten sich mit Tränen.

Im nächsten Augenblick krümmte sich Madame Pottille.
Heftige Krämpfe erschütterten ihren Körper.

"Nein, bitte hört auf!
Ich... ich werde alles tun, was Ihr verlangt!
Nur lasst meine Mutter in Frieden!" kreischte Tasdilo.
Die angesammelten Tränen stürzten über seine Wangen.

"Na also!" , zirpte die schwarze Fee.
"Und nun sag mir, was du siehst!"
"Ich sehe gar...." wollte Tassilo bereits entgegnen.

Doch da erschien ein neues Bild an der gegenüber liegenden Wand.
Darauf erkannte er weiße Wände.
Auf dem blauen Boden waren beige-farbene Teppiche ausgebreitet.

Ein Mädchen stand ihm zugewandt auf einem der Teppiche und hielt eine kleine Bürste in ihren Händen.
Nun spuckte sie und Tassilo schreckte angewidert zurück.
Weißer Schaum lief aus ihrem Mund.

Er schilderte, was er sah.
"Gut!" , triumphierte die schwarze Fee.
"Jetzt höre genau zu:
Ich werde dir nun etwas vorsprechen und du wirst mir dasselbe nachsprechen.
Hast du das verstanden?"

Tassilo nickte beklommen.
Die schwarze Fee begann zu sprechen:

"Alina. Alina."

Tassilo wiederholte es.
Das Mädchen blickte auf.
Seine roten Augen schimmerten ängstlich.

Ängstlich und irritiert blickte Alina in den Spiegel vor ihr.
Gerade war sie noch dabei gewesen, sich wie jeden Abend die Zähne zu putzen, bis eben etwas Unerklärliches geschehen war:

Im Spiegel war ein junger Mann aufgetaucht, der ihren Namen geflüstert hatte!

"Das ist doch nur ein Hirngespinst!" ,
versuchte sich Alina einzureden.
"Es wird Zeit, dass ich ins Bett gehe, mein Verstand spielt mir schon Streiche!"
Sie wandte sich um und griff zur Türklinke.
Dann jedoch erstarrte sie erneut...

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