Die Rückkehr der Königskinder

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Louise stand in ihrem Zimmer und probierte wie schon so oft, das gelbe Kleid.
Sanft strich sie über den seidenen gelben Stoff und bewunderte die sonnenfarbene Rose in ihrem Dekolleté.

Plötzlich trat Klara herein.

"Hattest du auch diesen seltsamen Traum mit dem schwarzen Drachen, Louise?"

Louise sah verwirrt zu ihrer Schwester.

"Nein, von einem Drachen habe ich nicht geträumt.
Aber von einem Mann.
Es war seltsam, ich hatte das Gefühl, als würde ich ihn kennen..."

"Oh, vielleicht träumst du von einem heimlichen Verehrer, Louise?" vermutete Klara schelmisch kichernd.

"Ach nein, er war viel älter als ich..."

Nun würde Klara wieder ernst.

"Der Drache in meinem Traum lässt mich nicht mehr los.
Es war als würde er direkt vor mir stehen mit seinen rot glühenden Augen und den pechschwarz glänzenden Schuppen."

Im gleichen Moment öffnete sich die Zimmertür mit einem Knarzend und Alina kam zu ihnen.

In der Hand hielt sie ein spitzes Rasiermesser.

Ihre rötlichen Augen besaßen einen eigenartigen Ausdruck.

Entsetzt schreckten die anderen beiden Schwestern zurück.

"Alina um Gottes Willen, was hast du vor?" rief Louise verstört.
Unbändige Angst keimte in ihr auf.
Instinktiv zog sie ihre blonde Schwester hinter sich.

"Alina, bist du von allen guten Geistern verlassen?
Lass die Scherze!

Was hast du vor?!"

schrie nun auch Klara, während sich die dritte Schwester unaufhaltsam näherte.

Sie wirkte beunruhigend entschlossen und zielstrebig.
Jedoch nicht wie sie selbst.

"Alina, hör auf!" schrie Louise befehlend und streckte eine Hand von sich.

Im nächsten Wimpernschlag verwandelte sich der mysteriöse Ausdruck in Alinas Augen.
Ungläubig bemerkte sie die Waffe in ihrer Hand.

"Was...was habe ich getan?"

fragte sie mit zittriger Stimme.
Heftig schwankend schmiss sie das Rasiermesser in eine Ecke des Zimmers.

Klara sprang vor, um Alina zu stützen.

"Was ist los, Alina?
Was wolltest du bloß mit Großvaters Rasiermesser?"

Alina entwich ein Schluchzen und kurz darauf weinte sie hemmungslos in Klaras Arme, die sie tröstend hielt.

Louise umarmte ihre beiden Schwestern liebevoll.

"Alina, sag uns was los ist!
Du kannst uns doch auch alles sagen!"

versuchten Louise und Klara ihre Schwester aufzumuntern.

"Nein...ich...ich kann es euch nicht sagen!"
wisperte Alina.

Klara und Louise richteten sich wieder auf und sahen Alina eindringlich in die Augen.
"Bitte!"

"Ich...ich soll dich töten, Louise!" , flüsterte Alina fassungslos und starrte die beiden mit vor Furcht geweiteten Augen an.

"Seit mehreren Tagen sehe ich im Spiegel immer wieder diesen seltsamen Mann, der mir sagt, dass ich dich töten soll!
Ich...ich würde das doch niemals tun!"

Wieder brach sie in verzweifeltes Schluchzen aus.

Louise kniff nachdenklich die Augen zusammen.

"Klara, seit ich dieses Kleid gefunden habe, passieren lauter seltsame Dinge!
Du und ich träumen von seltsamen Personen und Kreaturen und Alina bekommt den Auftrag, mich zu töten!
Wieso?"

Louise war sich auf unerklärliche Weise sicher, dass sie alle drei die Wahrheit sprachen.
Warum sollten sie lügen?
Und weshalb sollte Alina sie töten wollen? Das war doch absurd!

"Ich weiß es nicht, Louise." ,

antwortete Klara.

"Aber du hast Recht: Irgendetwas geht hier vor!"

Da tauchte ihre Großmutter auf.
"Was ist denn hier los?"

Ihr Blick erfasste die Rasierklinge im hinteren Teil des Raumes und ein energisches "Maurice!" ließ den Großvater schnaufend in der Tür erscheinen.

"Was ist denn? Wieso schreist du?"
fragte er genervt.

"Was tut deine Rasierklinge hier in diesem Zimmer?"
fragte sie ihn mit hochgezogenen Augenbrauen und wies mit dem Finger auf das Messer.

Maurice musste zweimal hinsehen, bevor er begriff, dass dort in der Ecke wirklich sein Rasiermesser lag.

"Was in aller Welt..." begann er, würde jedoch unterbrochen.

Ein jäh einsetzender Wind brauste durch das kleine Zimmer, der immer stärker wurde.
Die großen Flügeltüren des himmelblauen Wandschranks schwangen in einem Zug auf.
Die Kleiderstapel verschwanden und eine starke Böe erfasste die drei Schwestern, die sich sofort aneinander klammerten.

Schnell ergriff Melina auf der einen Seite Maurice und auf der anderen Klaras Hand.

Dann zog der Sog alle mit sich in den Schrank hinein, noch ehe irgendjemand etwas sagen konnte.

Das gelbe Kleid, das Louise trug, fing an zu schimmern und plötzlich fühlte Louise, wie eine ungewöhnliche Kraft sie in Besitz nahm.

Der Schrank mit den fünf Personen dehte sich immer schneller.
Raum und Zeit verschwanden.

Das Blütenblatt einer Rose fiel herab und verwehte im Wind.
Das Spinnrad in dem kleinen Häuschen im Wald, begann sich zu drehen und sponn weiter.
Der rote Apfel inmitten der gelben Äpfel fiel herab und rollte über den Boden.

Die Prophezeiung stand im Begriff, sich zu erfüllen...


Adam lag reglos in seinem Bett.
Was war nur passiert?
Wo befand er sich?

Dieses Mädchen in seinem Traum war ihm irgendwie bekannt vorgekommen als wäre es ihm schon einmal begegnet.

Mit einem Mal fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.

"Louise!
Sie kommt zurück!
Sie kommen zurück!
Belle!"

Ein Diener, der gerade nach dem kranken König sehen wollte, ließ vor Schreck das Tablett mit dem Krug Wasser fallen.
Diesen hatte er an das Bett des Patienten stellen wollen, falls dieser tatsächlich erwachte.

Dumpf knallend stürzte der massive Tonkrug zu Boden und zerbrach in dicke Scherben.

Völlig entgeistert beboachtete der Diener den kerngesunden König, der wie von Sinnen durch die große Schlosstür hinaus auf den Hof lief.

"Rote Fee! Rote Fee!
Kommt schnell, er ist aufgewacht!"

schrie der Diener, der dem König hinterher eilte.

Das MärchenkleidWo Geschichten leben. Entdecke jetzt