Chapter 33

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Am nächsten Morgen ließen sich meine Augen nur schwer öffnen.

Gereizt and angeschwollen von den vielen Tränen kam es mir so vor, als würden betonschwere Gewichte von meinen Augenlider herunterhängen.

Mühsam richtete ich mich in meinem warmen Bett auf und wurde augenblicklich von einem kalten Windzug in Empfang genommen.

Mit schleppenden Schritten stieg ich über den Berg von Taschentüchern und ging auf das geöffnete Fenster zu, um es zu schließen.
Ein Blick nach draußen unterstrichen meine miese Laune. Regen, Sturm, Kälte.

Stöhnend wand ich mich wieder ab und steuerte das Badezimmer an. Wenn ich noch pünktlich zum Unterricht kommen wollte, sollte ich langsam Gas geben.

Wie beinahe jeden Morgen stellte ich mich vor den großen Spiegel und musterte mein Gegenüber. Ich musste mich erstmal daran gewöhnen, dass ich mich nie wieder verändern würde. Dass ich von nun an für immer so aussehen würde wie jetzt.

Meine Finger strichen über meine schlanken Gesichtszüge, bis hin zu meinen vollen Lippen.

Aber was hieß schon für immer?
Vielleicht war in fünf Tagen alles vorbei.
Jede Veränderung und Umstellung die ich durchmachen musste, wäre für nichts gewesen. Der Umzug, die Schmerzen, die Fragen. Alles umsonst!

So hatte ich mir meinen Tod nicht vorgestellt. Vielleicht in 70 Jahren, wenn ich in einem Bett lag. In einem ruhigen Raum. An meiner Hand den Mann, den ich seit vielen Jahren so sehr liebte. Neben mir ein frischer Strauß Blumen und bevor ich meinen letzten Atemzug machen würde, würde ich meinem Mann sagen, wie dankbar ich ihm für dieses Leben war und wie sehr ich ihn liebte.

Aber nicht so. So hatte ich mir es niemals vorgestellt.

Nicht in einem so gut wie fremden Internat. Nicht in Folge eines Befehls.
Nicht so weit entfernt von meinen Eltern.
Nicht mit 17 Jahren.
Und erstrecht nicht voller Angst.

Stumm blickte ich in die leeren Augen meines Spiegelbildes.

Und genau in der Sekunde, in der ich sah, wie das letzte Fünkchen Hoffnung in dem sonst so strahlenden Braun verblasste, schluckte ich die Angst und die Gedanken an mein Schicksal tapfer herunter und schwor mir eine Sache.

Ich würde mir von dieser Frau nicht mein Leben ruinieren lassen. Auch wenn es nur noch sechs Tage lang halten sollte, musste ich versuchen das Beste daraus zu machen und jeden einzelnen Moment zu genießen!

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Da ich mich anscheinend ein wenig zu sehr beeilt hatte, saß ich zehn Minuten zu früh in dem kahlen Klassenraum und beobachtete meine Mitschüler, wie sie mit verschlafenen Gesichtern in den Unterricht taumelten.

Verwirrt zog ich meine Augenbrauen zusammen, als ich meine Lehrerin sah, wie sie mit einigen Schülern der 12. Stufe im Schlepptau den Raum betrat.

"So meine Lieben. Ich habe uns heute ein paar Leute aus meinem anderen Biologiekurs mitgebracht, da in beiden Kursen das Thema Bienen ausführlich durchgenommen wurde. In einer Weiterbildung für Lehrer letzte Woche wurde eine Lernmethoden vorgestellt, bei der man erfahrene und noch etwas unerfahrene Schüler in dem spezifischen Bereich in eine Diskussion verwickelt. So kann jeder etwas von jedem lernen und man lernt neue Leute kennen, wodurch sich das soziale Umfeld vergrößert.", stellte uns Mrs. Brow stolz ihre neue Lernmethode vor.

Aus einigen Ecken kamen gequälte Stöhner, aus den anderen drangen freudige Quitscher hervor.

Ich konnte mir schon genau denken, von wem welche Reaktion kam, auch ohne mich umzudrehen.

The angel's featherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt