"Und? Hast du was gefunden?", hörte ich Jasmin's Stimme auf der anderen Seite des Regals fragen, während ich die Bücher nach ihren Titeln durchging.
"Ne und du?"
"Leider nicht. Hier sind lauter Schulbücher, aber nichts zum Internat.", antwortete sie enttäuscht.
"Wie heißt das Internat nochmal bei vollem Namen?", fragte ich und stoppte bei einem bestimmten Buch.
"Black Sea Academy, warum?"
"Dann habe ich denke ich mal was gefunden.", entgegnete ich und zwei Sekunden später stand Jas neugierig neben mir.
Vorsichtig zog ich das Buch mit dickem, aber schon veralteten Verband aus dem Regal heraus. In goldener, geschwungener Schrift stand 'Black Sea Academy' auf dem schwarzen Hintergrund.
"Komm wir gehen nach da hinten auf die Couch in der Ecke.", murmelte Jasmin leise und zog mich an meinem Ärmel mit sich.
Die Couch war von Regalen umgeben und man konnte die Treppe und den Bereich des oberen Stockwerks, mit den besonderen Büchern, überblicken. In der ganzen Bibliothek war es totenstill und wir vergewisserten uns vorher nochmal, dass wir alleine waren, bevor wir in normaler Lautstärke weiterredeten.
"Na dann lass mal sehen.", sagte Jas und nahm mir das Buch aus der Hand, um es vorsichtig aufzuschlagen und die einzelnen Seiten zu überfliegen.
Ich versuchte über ihre Schulter herüber irgendwie etwas mitzukommen, aber die Schrift war so klein, dass ich nichts erkennen konnte.
"Hier steht was über die Geschichte.", sagte sie plötzlich aufgeregt und rammte mir ihren Ellenbogen in die Seite.
"Autsch. Ließ es am besten laut vor, ich kann so nichts lesen."
"Okay. Also hier steht, dass das Internat früher, im Jahr 764 nach Christus, also im Mittelalter, eine Akademie für Künstler war. Hier wurden die Schüler gelehrt und danach in die Welt rausgeschickt, um so ihr Geld zu verdienen. Hauptsächlich waren es nur Kinder aus reichen Verhältnissen, da es hier sehr teuer gewesen sein soll. 783 wurde ein Mann, als er die Turmglocke reparieren wollte, vom Blitz erschlagen. Die Menschen waren noch sehr abergläubisch und wussten nicht, dass Blitze normale Naturphänomene sind. Sie dachten der Ort hier wäre verflucht und wollten so schnell wie möglich verschwinden. Um dem Toten einen würdigen Abgang zu gewähren, versammelten sich alle an den Klippen und warfen die Leiche, begleitet von Gebeten in das tief schwarze Meer. Zu ehren dieses Mannes wurde die Academy von Art School Academy zu Black Sea Academy ungenannt. Gerade als die Menschen ihre Sachen packen und von diesen Ort verschwinden wollten, öffnete sich eine Lücke in den Wolken aus denen ein weißes Licht drang, dass heller als die Sonne zu sein schien. Sie waren geblendet, doch sie hatten keine Angst, denn als sich die Wolken wieder schlossen, sahen sie-"
"Was sahen sie?", fragte ich gespannt.
"Ich weiß es nicht. Der nächste Satz geht über etwas anderes. Hier wurde glaube ich eine Seite rausgerissen.", entgegnte sie und nahm das Buch genauer unter die Lupe."Ja guck! Hier sieht man noch eine ganz feine Rissspur."
Enttäuscht legte sie das Buch auf Seite.
"Glaubst du, dass das in dem Buch überhaupt stimmt? Ich meine, jeder kann sich irgend so eine Geschichte ausdenken und sie zu Papier bringen.", murmelte ich schulterzuckend.
"Ja kann schon sein. Aber so unrealistisch hört sich das gar nicht an. Ich habe Mal früher mit dem Professor für Geschichte geredet und er hat mir auch erzählt, dass das Internat einst anders hieß und später umbenannt wurde.", überlegte sie laut. "Och man ich hätte so gerne gewusst, was auf der nächsten Seite gestanden hätte.
"Lass uns später nochmal wiederkommen. Vielleicht finden wir dann mehr. ", schlug ich vor als mein Magen zu knurren begann.
"Warum nehmen wir das Buch nicht einfach mit."
"Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Falls mit diesem Ort wirklich etwas nicht stimmt und jemand mitbekommt mit, wie wir nachschnüffeln, weiß ich nicht, was das für Konsequenzen haben wird."
"Du hast Recht. Später finden wir vie-", wollte Jasmin sagen, aber ich unterbrach sie mit einer klaren Handbewegung.
Ich spürte das warme Kribbeln in meiner Brust, noch bevor ich die Schritte hinter den Regalen wahrnehmen konnte.Als ich durch den Schlitz im Regal lugte um zu sehen, wer das war, sah ich gerade noch einen kräftig gebauten Jungen mit braunen Haaren durch die Tür gehen.
"Wer war das?", flüsterte Jas verwirrt.
"Aiden.", murmelte ich nachdenklich.
"Bist du dir sicher?"
"Ja. Er war auch auf dem Balkon, als wir draußen saßen und es kam mir so vor, als hätte er uns beobachtet."
"Seltsam. Aber er wird uns bestimmt nicht verpetzen, falls er etwas gehört hat. Was ich bezweifle.", sagte sie und legte das Buch an seinen Platz zurück.
Gedankenverloren nickte ich und dachte darüber nach, warum er immer da auftauchte wo wir waren und dann plötzlich verschwand.
"Kommst du?", hörte ich Jasmin fragen und realisierte erst jetzt, dass sie schon an der Tür stand. Schnell riss ich mich zusammen und folgte ihr aus der Bibliothek heraus.
"Ich hab jetzt noch eine Doppelstunde Mathe.", jammerte sie kläglich.
"Du schaffst das schon. Während du im Unterricht bist, gehe ich Mal zu den Klippen und Guck mir die genauer an.", schlug ich vor und bekam von ihr ein zustimmendes Nicken zurück.
Nachdem wir uns verabschiedet hatten, trennten sich unsere Wege und ich steuerte die Tür zum Außenbereich an.
Kalter Wind empfing mich, als ich nach draußen ging, weswegen ich meine Jacke enger an mich drückte.
Als ich die Bänke und die große Eiche hinter mir gelassen hatte, tastete ich mich vorsichtig zu den Klippen hervor.
In einen dichten Dornenbusch erkannte ich eine Lücke und zwängte mich durch die spitzen Dornen.
Meine Augen begannen zu brennen, als zwei Dornen, die ich nicht gesehen hatte, sich meine Wange und meine Schläfe entlangzogen.
Tapfer schluckte ich die aufkommenden Tränenflüssigkeit herunter und kämpfte mich weiter durch.
Als ich endlich das Ende des Busches erreicht hatte, lagen noch knapp zwei Meter zwischen mir und dem Abhang. Der Wind schlug mir um die Ohren und erschuf riesige Wellen auf dem schwarzen Meer. Majestätisch brachen sie an den spitzen Felsen und zogen sich mit einer schneeweißen Gischt zurück, bevor die nächste Welle über ihnen zusammenbrach.
Aufeinmal nahm ich eine Stimme wahr, die etwas rief, konnte aber nicht zuordnen, woher sie kam. Angestrengt suchte ich die Klippen ab, als meine Augen bei einer kleinen Nussschale im Meer hängenblieben.
"Hilfe! Hilfe!", hörte ich jemanden panisch schreien und erkannte Sekunden danach einen kleinen Jungen, der verzweifelt mit seinem Armen auf die Wasseroberfläche schlug und immer weiter auf die Felsen zugespült wurde.
15.01.2018
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The angel's feather
Fantasy»Und das Einzige, das du tun musst, ist deine Augen zu schließen und an die eine Sache zu denken, die dein Herz schneller schlagen lässt.« Skyla Rose. Ein hübsches, junges Mädchen, welches ein völlig normales, durchschnittliches Leben führt. Sie hat...