•Chapter 1•

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Ich hörte das Blut in meinen Ohren rauschen und meinen Atem durch die Luft zischen.
Verdammt, verdammt, verdammt!
Meine Solen quietschten unter dem Boden als ich wie wild geworden um die Ecke schoss.
Ich durfte nicht wieder zu spät kommen. Und vorallem nicht am erstem Schultag.
Ich konnte mir Mr. Raynolds empörte Miene bereits vor mir sehen.
Sofort beschleunigte ich meinen Sprint ein letztes Mal, sobald ich die blaue Tür mit dem runden, kleinen Fenster sah. Beim greifen nach der Klinke hätte ich ihn dabei fast abgerissen, mit solch einer Wucht öffnete ich die Tür. Sowie ich über die Schwelle getreten war starrten 13 Augenpaare mich an.
Großartig.
Mit einem schiefem Lächeln, das soviel sagte wie: "Ich weiß, dass ich schonwieder zu spät bin, aber bitte schreien sie mich nicht vor der ganzen Klasse an.", drehte ich mich zu Mr. Raynolds.
Mein Lehrer blickte mich über den Rand seiner Brille hinweg an und zu meiner Überraschung, bekam ich nur ein gelangweiltes Seufzen zu hören.
"Ms. Benson. Ich hatte wirklich gehofft dieses eine Mal könnten sie pünktlich sein."
Er klang schon beinahe enttäuscht.
"Setzen."
Bedeutete er mir mit einer abfälligen Handbewegung und ohne lange zu zögern schlich ich durch die Stuhlreihen nach hinten.
Das dumme am zu spät kommen war, dass alle guten Plätze schon besetzt sind, weshalb ich jetzt den hintersten Eckenplatz bekam, wo man absolut nichts mitbekam.
Als ich mich auf den freien Stuhl fallen ließ bemerkte ich nur flüchtig eine Gestahlt die neben mir saß. Ich beachtete sie nicht länger, da ich damit beschäftigt war, meine Sachen heraus zu kramen und die Notizen an der Tafel so schnell es ging in mein Heft zu übertragen.
Die Sache mit dem zu spät kommen war nicht etwa, dass ich eine assoziale Teenagerin in ihrer rebellischen Phase war, sondern dass ich ein paar Probleme Zuhause hatte, mit denen höhstwahrscheinlich nicht jeder meiner Mitschüler zu tun hatte.
Denn wenn man sich jeden Morgen um seine zwei Geschwister kümmern musste, dann kam es schon öfter vor, dass nicht alles immer so ablief wie man es sich vorstellte.
Warum ich mich um meine Geschwister kümmern musst?
Nun ja.
Weil es sonst niemand anderen gab, der das machte.
Zwar unterstützte mich mein großer Bruder David, aber da er morgens immer Frühtraining hatte, konnte er mir da auch nicht unter die Arme greifen.
Ich ließ meinen Blick zur Uhr schweifen und beobachtete die abgehackten Bewegungen des Sekundenzeigers ein wenig, bevor ich wieder auf mein Blatt sah.
Ich gähnte.
Langweilig.
Zwar war ich sehr gut in Chemie, aber Schule war nunmal Schule.
Aus dem Augenwinkel sah ich etwas aufleuchten und zum ersten mal seit ich im Unterricht saß, beachtete ich die Person neben mir richtig.
Meine Augen wurden plötzlich groß und ich schluckte.
Neben mir saß ein Junge.
Aber nicht irgendein Junge.
Es war Lovis Blackwell.
Schüler des Abschlussjahrgangs, Draufgänger der Schule, war mehrfach in Schlägerein und Drogenverkäufen verwickelt.
Zumindest erzählte man sich das.
Aber was machte er in meinem Chemieunterricht?
Sein Blick war nach unten gerichtet, während ihm schwarze Haarsträhnen die Stirn runterhingen, denn er tippte unter dem Tisch auf seinem Handy herum - was selbstverständlich in der Schule verboten war.
Anscheinend hatte ich ihn ein wenig zu offensichtlich angestarrt, denn er nahm seinen Blick von dem Gerät und sah mir direkt ins Gesicht.
Sofort bekam ich ein mulmiges Gefühl im Bauch, was zu 50% der Respekt vor ihm war und - ich konnte es nicht leugnen - zu 50% wahrscheinlich auch seine glänzend braunen Augen waren, die aussahen wie ein warmer Schokoladenbrunnen.
Sofort wandt ich meinen Blick ab.
Schokobrunnen? Echt jetzt?
"Mr Blackwell, vielleicht können sie uns sagen, was bei der Reaktion von Säuren und unedlen Metallen entsteht?"
In Lovis Augen konnte ich sehen, dass er absolut keine Ahnung hatte, wovon Mr. Raynold sprach.
Keine Ahnung was mich in diesem Moment packte, aber irgendwie hatte ich mitleid mit ihm. Beziehungsweise wusste ich, wie scheiße es war, vom Lehrer erwischt zu werden, wenn man dem Unterricht nicht folgte.
So unauffällig wie möglich kritzelte ich die Antwort auf mein Papier und schob es vorsichtig in seine Richtung. Zum Glück bemerkte er meine Geste, woraufhin er mich zuerst skeptisch ansah und dann den Zettel begutachtete.
"Ähm...bei der Reaktion entsteht immer ein Salz und ... äh Wasserstoff"
"Das ist richtig."
Unser Lehrer drehte sich zur Tafel.
"Ich würde mich freuen, wenn sie das ohne die Hilfe von Ms. Benson gewusst hätten."
Mist! Er hatte es gemerkt.
Lovis schob mir meinen Block wieder zurück und witmete sich wieder seinem Handy, ohne noch ein weiteres Wort zu sagen.
Nett ist was anderes.
Doch was hatte ich auch anderes erwartet?
Das Läuten der Klingel erlöste den Kurs vom Unterricht. Alle begannen schnell ihre Sachen zusammen zu Packen und aus dem Raum zu flüchten.
"Mr. Blackwell, ich möchte noch mit ihnen sprechen."
Lovis schlurfte genervt zum Lehrerpult, während ich noch meine Sachen packte.
"Ich glaube, sie wissen ganz genau, dass das so nicht weitergehen kann. Wenn sich dieses Jahr nichts an ihren Noten ändert, dann sind sie umsonst sitzen geblieben."
Er war also sitzen geblieben. Deswegen war er hier.
So leise wie möglich versuchte ich mich an Lovis vorbei zu schleichen.
"Genau aus diesem Grund werden sie Nachhilfe nehmen."
"Wie bitte?! Ich brauche keine Nachhilfe! Ausserdem haben sie das nicht zu entscheiden!"
Oh-oh. Jetzt war der Moment wo ich mich verpissen sollte.
Ich war schon fast an der Tür, als ich Mr. Raynolds Stimme hörte.
"Und ob ich das hab. Ausserdem habe ich schon eine Lehrerin für sie. Ms Benson! Warten sie doch bitte einen Moment."
Etwas geschockt meinen Namen zu hören, drehte ich mich um.
"Sie werden Mr. Blackwell ab sofort Nachhilfe geben."
"Was?!" riefen Lovis und ich gleichzeitig.
"Mr. Raynold, entschuldigen sie, aber warum ich?"
"Sehen sie es als wiedergut Machung ihres Zuspätkommens an. Ausserdem haben sie doch hervorragende noten, eine perfektere Schülerin könnte es garnicht geben."
Er lächelte breit.
"So ein Schwachsinn! Ich brauche keine Nachhilfe! Und sie können mich nicht dazu zwingen!"
Lovis hatte seine Hände zu Fäusten geballt. Sein Blick rute voller wut auf dem Lehrer.
"J-ja... und ich habe wirklich keine Zeit dafür Mr. Raynold-"
"Eure Ausreden könnt ihr euch sparen. Und versucht mich bloß nicht an der Nase herum zu führen! Wenn sich Mr. Blackwells Noten nicht ändern, wird das Konsequenzen haben."
Als ich Lovis so ansah hatte ich angst, dass er gleich auf Mr. Raynold losgehen würde.
Doch er drehte sich einfach nur um und lief mit festen Schritten an mir vorbei. Dabei stieß er meine Schulter an, sodass ich einen Schritt zurseite geschubst wurde.
Arsch. Als wäre es meine Schuld.
Natürlich sagte ich nichts. Ich war ja nicht Lebensmüde.
Dann verließ auch schließlich ich das Klassenzimmer.

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