Prolog/Letter

242 14 7
                                    

Liebe Alaya,

Der Stift rutschte mir aus der Hand, weil meine Finger so schrecklich bebten. Beinahe panisch warf ich einen Blick zurück auf das Bett, in dem sie schlief. Friedlich wälzte sie sich einmal umher und kuschelte sich dann wieder in die Bettdecke. Erleichtert atmete ich aus, als ich ihre ruhige Atmung vernahm. Ich hatte sie nicht aufgeweckt. Sie durfte nicht aufwachen, bevor ich weg war. Ich könnte es nicht ertragen, wenn sie mich anflehen würde, nicht zu gehen und bei ihr zu bleiben. Diesen Wunsch konnte ich ihr nicht erfüllen, auch wenn ich es ihr eigentlich versprochen hatte. Auch, wenn mein Herz sich bei dem Gedanken sie hilflos zurückzulassen, schmerzhaft zusammenzog. Sie würde es verstehen, redete ich mir ein. Doch wie sollte man es verstehen, wenn der Mensch, der ihr versichert hatte, immer an ihrer Seite zu bleiben, egal wie aussichtslos auch alles wirken mochte, einfach verschwand? Aber ich konnte sie nicht aufgeben. Ich war nicht bereit dazu, bei ihr zu bleiben und zu warten, bis sie die Schmerzen zerstörten, nur, weil ich nicht gegangen war. Nein, ich war nicht bereit ohne sie zu Leben. Nicht, nachdem wir uns das Versprechen am Brunnen gegeben hatten, immer für die Sicherheit des anderen zu sorgen.

Wenn du im Stande bist, dies zu lesen, dann hast du überlebt. Dann habe ich es geschafft ein Heilmittel zu finden.

Der Stift kratzte unangenehm auf dem Papier. Und auch wenn das Geräusch nicht besonders laut war, fürchtete ich bei jedem neuen Strich den ich ansetzte, dass Alaya aufwachen und in meinen Augen lesen würde, was ich vorhatte. Vor ihr konnte ich nichts verheimlichen. Ein Blick in meine Augen genügte und sie wüsste alles.

Wir sind heute aufgebrochen. Du hast noch geschlafen. Ganz tief. Innerlich hoffe ich, dass du mir nicht böse bist, dass ich mich nicht richtig verabschiedet habe. Und vor allem, dass ich mein Versprechen gebrochen habe. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schwer es mir fällt, dich hier zurückzulassen.

Zweifel kämpften sich wieder an die Oberfläche meiner Gedanken, aber waren so schnell wieder verschwunden, dass ich sie nicht greifen konnte. Ich hatte mich entschieden, und es gab kein Zurück mehr. Ich wusste, was ich wollte. Ich wusste, was ich tun würde für Alaya.

Es bleibt mir keine Zeit mehr auf ein Wunder zu warten. Es ist unerträglich, jeden Tag zu sehen, wie du leidest und mir sagst, ich könnte nichts tun. Doch das kann ich. Noch unerträglicher als dein Flehen, nicht aufzubrechen ist der Gedanke an ein Leben ohne dich. Es hätte keinen Sinn mehr.

Bilder von Alayas schmerzverzerrtem Gesicht schossen mir in den Kopf und ich bereute meine Entscheidung nicht. Die Worte fielen mir nicht schwer und der Stift schwebte förmlich über dem Papier.

Ich weiß, wie sehr du jeden Tag kämpfst. Wie sehr dich die Schmerzen quälen.

Wie oft hatte sie die Schmerzen heruntergespielt und geglaubt, ich würde es nicht erkennen? Ich hatte aufgehört zu zählen. Wie oft war sie darauf in meinen Armen zusammengebrochen? Es war eine schrecklich hohe Zahl.

Ich habe dir versprochen dafür zu sorgen, dass diese Schmerzen aufhören. Und dieses Versprechen werde ich halten. Der Arzt sagt, mir bleiben nur noch ein paar Wochen, also werden wir uns in ein paar Wochen wiedersehen.

Ich hatte nicht vor, an etwas Anderes zu glauben. Ich hatte nicht die nötige Kraft, um mir dem bewusst zu werden, was passieren würde, wenn ich es nicht schaffte. Wenn ich zu spät käme.

Ich bin nicht alleine. Rick ist bei mir. Es macht keinen Sinn dir hier zu erzählen, dass du dir keine Sorgen machen sollst, denn ich kenne dich.

Ich wollte nicht, dass sie sich auch noch Gedanken um mein Wohlergehen machen musste, aber ich musste egoistisch sein, um das durchzuziehen.

Ich liebe dich Alaya und mein Ziel ist es, dir das noch einmal persönlich sagen zu dürfen. Was schreibe ich da, es dir noch tausendmal sagen zu dürfen.

Ein leises Wimmern ertönte und mein Blick fiel auf Alaya die sich über ihren sogar im Schlaf schmerzenden Körper strich. Noch nie stand mein Entschluss so sehr fest.

Wir sehen uns wieder. Das verspreche ich dir, und mir.

Ich schrieb und schrieb und konnte doch nicht alles zu Papier bringen, was ich fühlte. Ich stand auf, legte den Stift ab und machte zwei große Schritte bis zum Bett. Ich beugte mich zu ihr herunter, strich ihr eine Strähne aus dem schönen Gesicht, das nicht länger schmerzverzerrt war und drückte ihr einen federleichten Kuss auf die Schläfe. Ich wiederstand dem Drang, mich einfach neben sie zu legen und sie zu halten, bis die Sonne aufging. Das war mein Abschied, der hoffentlich nicht für immer sein würde.

In Liebe, dein Chris.

The Cure Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt