Kapitel 32

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"Wann ist es passiert?" Dankend schüttelte ich den Kopf, als sie mir eine Tasse Tee anbot. Wie damals waren wir ihr in die Küche gefolgt und hatten uns an dem Tisch niedergelassen. Nachdem sie sich aus meiner Umarmung gelöst hatte, war sie sofort wieder präsent gewesen und uns gleich angeboten, ihr zu folgen.

Ich wusste, dass uns die Zeit wegrannte, doch für so etwas musste ich mir Zeit nehmen. Ihr Sohn war gestorben. "Erst gestern. Er lag schon seit Tagen nur noch im Bett." Sie atmete tief ein. An ihrer zitternden Stimme erkannte man unschwer, wie schwer es ihr fiel, darüber zu reden, aber irgendwie bekam ich auch das Gefühl, dass es ihr guttat.

"Sie haben ihn einfach mitgenommen." Sie fuhr sich schon das zehnte Mal seit wir hier waren, durch das zerzauste Haar. "Sie meinten, sie müssten erst schauen, ob keine Gefahr der Ansteckung mehr besteht", sagte sie kalt und schüttelte nur entsetzt und erschöpft mit dem Kopf.

"Mein Sohn ist tot! Und diese Mistkerle wollen ihn auch noch aufschneiden!" Sie stellte die Tasse mit solch einer Wucht auf das Brett, dass sie in hundert kleine Teilchen zerbrach. "Entschuldigt." Ihre Unterlippe zitterte, als sie sich über das Gesicht fuhr. Ich war schon längst aufgestanden und griff nach den großen Scherben, um sie in die Mülltonne zu befördern.

"Diese Leute sind widerlich. Wir haben sie getroffen, als wir uns das Heilmittel besorgt haben. Sie interessieren sich nur für ihren Job. Sie waren erst bereit uns zu helfen, als wir sie mit der Waffe bedroht haben."

Rick war im Gegensatz zu mir völlig still, seitdem wir angekommen waren. Vielleicht realisierte er erst jetzt, dass an dem Platz wo er gerade saß, Jeremy noch vor ein paar Tagen gesessen hatte. Ich konnte ihn verstehen. Immer wenn ich an den kleinen Jungen dachte, musste ich sofort an Avery denken und wie viel Zeit ihr noch blieb.

"Was ist mit deiner Freundin?" Es schien, als erinnerte sie sich jetzt erst wieder daran. "Wir sind gerade auf dem Weg zu ihr." Mit einem Handwisch, beförderte sie die Reste der Scherben in den Mülleimer.

"Was sucht ihr dann noch hier! Jeremy ist tot, Alaya noch nicht. Rette sie, solange du noch kannst. Du willst nicht mit dem Schmerz leben, der danach zurückbleibt." Ihre zu Anfang laute Stimme, wurde mit jedem Wort leiser und ihr überzeugter Ausdruck verschwand nach und nach aus ihren Augen. Sie hatte recht, ich wollte diesen Schmerz nicht spüren. Niemals.

Rick erhob sich und klopfte mir auf die Schulter. "Ich warte im Auto. Mein aufrichtiges Beileid." Seine Worte waren nicht genug. Keine Worte der Welt waren genug, um das wiedergutzumachen, was so vielen Menschen in diesem Land wiederfuhr.

"Wir kommen Sie besuchen", versicherte ich.

"Das würde mich freuen, auch wenn ich für dich hoffe, dass du dich nie wieder zurück an diese Zeit erinnern musst, in dem diese Stadt zu Grunde gerichtet wird." Auch wenn sie verbittert klang, hatte sie recht. Ich wollte mich nicht mehr daran zurück erinnern. Nicht an die Zeit, in der ich so viel Schiss wie noch nie hatte.

Ich ließ mir keine Zeit mehr für eine Verschnaufpause, sondern sprintete hinaus. Alaya wartete schon viel zu lange auf mich.

"Kann es losgehen?", fragte mich Rick sobald ich im Auto saß. Sicher doch. Schon zum hundertsten Mal in dieser Woche, startete er den Motor und fuhr los. Erst nach einer Stunde Fahrt, drehte ich das Radio so weit auf, dass man nur schwer erraten konnte welches Lied es war und es wirklich nur im Hintergrund zur Ablenkung lief. Ich wusste nicht genau, durch welche Straßen wir fuhren, doch den Anblick den sie mir verschafften, war mehr als grausam. Ein Anschlag, der einen großen Teil der Straße, auf der wir gerade fuhren, zerstört hatte und Autos, die nicht mehr wie Autos aussahen. Ich zwang mich wegzuschauen, nicht daran zu denken, wie viele Familien wohl in den teils verbrannten, teils völlig verbeulten Autos gesessen hatten, doch es funktionierte nicht. Ich konnte die Gedanken nicht ausschalten.

Viel zu grausam war das, was sich dort vor mir erstreckte.

Nur in meinen Hintergedanken bekam ich mit, wie eine Frau schon beinahe panisch die Nachrichten verkündete. Erst als das Wort Las Vegas fiel, war ich hell wach.

Wie in Trace drehte ich an dem kleinen Knopf. "Es ist so weit. Las Vegas ist dabei, völlig zerstört zu werden. Die neusten Erkenntnisse berichten, dass in der letzten Stunde mehr als zwanzig Anschläge ausgeführt wurden. Tausende von Toten und tausende, die verzweifelt versuchen in den nächsten Staat zu fliehen. Eine noch nie gesehene Panik ist ausgebrochen und es sieht nicht gut aus."

Dieser verdammte Mistkerl war dabei, die ganzen Menschen auszulöschen. Es dauerte nicht lange, bis ich nur noch an Claudia, die uns nach dem wir sie gerettet hatten, verpflegt und bei sich wohnen lassen hatte, Luke, ihren kleinen Sohn und Jacob, der uns aus dem zerbombten Gebäude gezogen hatte, denken konnte.

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