Kapitel 39

130 3 1
                                    

Der sanfte Windhauch peitschte mir in das Gesicht. Der Felsen auf dem ich saß war kalt, doch um mich herum legte sich die Wärme wie ein Schleier über mich. Der Tod von Sam hatte bewirkt, dass alle seine Komplizen gefasst werden konnten und die schrecklichen Anschläge endlich ein Ende nahmen. Las Vegas war gerade dabei, wieder vollständig aufgebaut zu werden. Claudia und Luke würden ihr Zuhause wiederbekommen, nach all den schrecklichen Dingen, die ihnen wiederfahren waren.

Alte Erinnerungen, die ich nicht versuchte von mir zu stoßen, kamen in mir hoch. Wie ich vor ein paar Tagen genau an diesem Felsen vorbeigefahren war. Gemeinsam mit Rick, in der Hoffnung auf das Heilmittel. Eine Woche war es jetzt her. Eine Woche in denen ich Angst und Schrecken ablegen konnte.

Mein Blick huschte zu dem Jeep, der es geschafft hatte, uns noch einmal hierherzubringen. Rick und Piper suchten bereits nach einer neuen Wohnung. Keiner von uns wollte jemals wieder einen Fuß in das alte Haus setzen. Pipers Schusswunde am Arm wurde im Krankenhaus so gut versorgt, dass sie keine weiteren Beschwerden haben sollte. Doch das, was wir erlebt hatten, war für immer in unseren Köpfen festgesetzt. Alpträume. Panikattacke. Auf nichts von all dem war ich vorbereitet, aber es könnte mich in diesem Moment nicht weniger interessieren.

Das Lächeln, das ich auf den Lippen trug war nicht zu bändigen, als ich sah, wie die braunhaarige Schönheit, kletternd auf den Felsen und die Kamera fest umklammert, unendliche Schnappschüsse schoss. Bei ihrem Anblick schlug mein Herz schneller. Mit jedem Blick den ich auf sie warf, verblassten die schlimmen Erinnerungen immer weiter und drängten sich in das letzte Eck meiner Hintergedanken.

Verdammt. Ich hatte es geschafft. Ihr Rock wehte im Takt den der Wind vorgab und ihre Haare waren wild in ihrem Gesicht verteilt. Sie stieß harmlose Flüche aus und versuchte sie zu bändigen. "Alaya!", rief ich, damit sie endlich wieder zu mir kam und mir keinen halben Herzinfarkt bescherte, wenn sie wie ein Profi die Felsen erklomm. Sofort haftete ihr Blick an mir. Ihre Wangen waren endlich wieder rosa, zeigten wie viel Leben in ihr steckte und der Glanz in ihren Augen raubte mir den Verstand.

Die Erinnerung kam wie von alleine. Rick, wie er zum Auto rannte, um das zweite Heilmittelfläschchen zu holen. Alaya, die ins Koma gefallen war und mir für zwei Tage schlaflose Nächte beschert hatte. Und dann, der schönste Moment meines Lebens, als sie endlich die Augen öffnete und wir beide weinten, weil sie endlich gesund war. Weil sie am Leben war.

So lebendig wie noch nie stand sie vor mir und auch wenn wir vieles nachholen mussten, verspürten wir keinen Drang, es schnell angehen zu lassen. Nicht, wenn wir auf noch so viel mehr Zeit miteinander hofften. Nicht, wenn die Angst und der Schmerz in Alayas Augen endlich verschwunden waren.

Ich sah alles, was noch auf uns zukommen würde, als eine Möglichkeit an, uns daran zu erinnern, was wir überstanden hatten. Wie Rick und ich Angst und Schrecken verjagt hatten, obwohl ich eigentlich nur Alaya hatte retten wollen.

Nie im Leben, hätte ich mit einer Heldentat, so wie sie in den Nachrichten beschrieben wurde, von uns gerechnet. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich auf dieser Reise lernen würde, wie wichtig Vertrauen war. Und vor allem, Menschen zu helfen, die Hilfe benötigten.

"Es ist schön hier." Ihre sanfte Stimme hallte in meinem Ohr nach und ich nahm meine Augen nicht von ihren Lippen. Nie wieder wollte ich auch nur ein Wort, das sie von sich gab, nicht beachten. Nur bei dem Gedanken daran, dass ich ihre Stimme nie wieder hätte hören können, wollte ich, dass sie mir ein ganzes Buch vorlas.

Ich wollte, dass sie mich dauerhaft anlächelte. Ich stoppte in meiner Bewegung und ließ den Stift auf das Blatt Papier in meinem Schoß sinken. Alaya nahm auf dem kleinen Felsen unter mir Platz und zog meine Beine näher um ihren zierlichen Körper.
"Ja, du hast recht, Engel", wisperte ich, drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und blickte dabei in die Ferne. Es war nicht sicher, wo wir als nächsten hinziehen würde, doch ich machte mir keine Sorgen. Solange Alaya dabei war, könnten wir jedes noch so schäbige Haus zu unserem Zuhause machen. Ganz egal, wo es auch immer lag. Nichts war unmöglich und kein Weg zu weit.

"Was schreibst du dort so Geheimnisvolles?" Alaya wollte nach meinem Blatt Papier greifen, doch ich zog es rasch aus ihren Fingern.
"Nicht schauen", schimpfte ich lachend. Sie warf mir einen Blick zu, von dem ich weiche Knie bekam, doch ich gab nicht nach. Die letzte Stunde, hatte ich daran gearbeitet, alle meine Gedanken, die ich nicht aussprechen konnte, zu Papier zu bringen.

"Werde ich es jemals lesen dürfen?" Ich schüttelte den Kopf. "Nein, aber das musst du auch nicht, vertrau mir." Sie setzte sich auf und drehte ihren Kopf zu mir. "Ich vertraue dir." Sie nahm mein Gesicht in ihre kleinen Hände. "Ich vertraue dir mein Leben an." Meine Gesichtszüge wurden weich. Ich umgriff ihre Taille, schob das Blatt fort und zog sie so plötzlich auf meinen Schoß, dass sie erschrocken japste. Mein raues Lachen verstummte, als ich Küsse auf ihrem Hals verteilte.
"Und ich vertraue dir, meine Kämpferin."

Es dauerte nur einen Moment, da hatte sie sich geschickt gedreht, sodass wir uns in die Augen schauten und dann legten sich meine Lippen auf ihre.

Ich wusste nicht, was noch auf uns zukommen würde, aber ich war bereit dafür, es mit Alaya durchzustehen. Solange sie an meiner Seite war, war ich bereit in jeden Kampf zu ziehen. Für meine Freunde und vor allem für sie. Alaya.

Wir lösten uns und ich musterte jeden Teil ihres Gesichtes. Ich prägte es mir ein, ließ keine Stelle aus. Ich wollte niemand anderen als sie. Ich griff in meine Hosentasche und zog das kleine Schächtelchen heraus. Ich öffnete es und der Ring glänzte fast so sehr, wie Alayas Augen, als sie ihn sah und in Tränen ausbrach, als ich mich vor ihr niederkniete.

Ich schätze, jede Reise findet ihr Ende. Ganz egal, ob es jetzt diese Reise war, von der wir erfolgreich zurückgekehrt waren und das große Unglück besiegt hatten. Alles muss sich irgendwann verändern. Alles, bis auf meine Liebe zu Alaya. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie überglücklich ich war, als mir die Ärzte mitgeteilt haben, du würdest wieder gesundwerden. Es war, als wäre die Zeit stehen geblieben. Ich hatte mich sofort an das schrecklich weiße Krankenzimmer erinnert, in dem alles Schlechte begonnen hatte, und genau in diesem, ist auch alles wieder gut geworden. Du bist gesund. Geheilt und fähig all das zu tun, was du verpasst hast. Gemeinsam mit mir. Und jedes Mal wenn du mich ansiehst, denke ich nicht daran, dass ich dich um ein Haar verloren hätte, sondern welches Glück ich habe, dass du noch immer bei mir bist. Ganz egal was noch kommt, gemeinsam können wir es durchstehen. Die Welt hat sich verändert. Ja, auch wir haben uns verändert. Aber das ist gut so. Ich kann es nicht abwarten dein Gesicht zu sehen, wenn du den Ring siehst, den ich für dich ausgesucht habe. Es ist seltsam, wie viel aufgeregter ich vor deinen Worten bin, als vor einem Kampf mit einem Angreifer. Ich hoffe, dass du genauso sehr wie ich mit dir, für immer mit mir zusammen sein möchtest. Wenn ich ehrlich bin, hast du gar keine andere Wahl, denn ich werde dich nie mehr gehen lassen.
Und auch wenn du diesen Brief wahrscheinlich niemals lesen wirst, bin ich mir sicher, du weißt ganz genau was ich hineinschreibe, denn du konntest schon immer erahnen, was ich fühle. Vielleicht hinterlasse ich ihn auch unseren Kindern und erzähle ihnen von unserer Geschichte, die doch noch ein Happy End gefunden hat. Vielleicht bleibt er aber auch für immer ungelesen und dient nur für mich, als Erinnerung, an diese furchtbare, aber vor allem lehrreiche Zeit. Wer weiß schon, wie unser Leben in ein paar Jahren aussehen wird, doch ich will es mit dir verbringen.
Ich liebe dich, Alaya Ellen Andrews.
In Liebe, Chris.

ENDE

The Cure Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt