"Pull You Through"

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Addison sah, wie Alianore ging. Erst wollte sie sie gehen lassen, ihr ihren Freiraum lassen, um alles erst einmal zu verarbeiten. Sie sah Derek und Mark eindringlich an. "Jetzt hört endlich auf mit diesen Vorwürfen! Wisst ihr denn nicht, wie viel Angst ihr Idioten ihr macht?!", rief sie wütend aus.

Ohne den beiden Chirurgen noch eine Möglichkeit zu bieten, sich zu rechtfertigen, verschwand sie aus dem Raum und lief dem blonden Mädchen hinterher. Sie sah gerade noch, wie sie um eine Ecke bog und versuchte sie einzuholen, was ihr in ihren Schuhen kaum möglich war. Die Sechzehnjährige wurde immer schneller und Addison verlor sie fast aus den Augen, als diese gerade dabei war, das Krankenhaus zu verlassen. Draußen wurde es Addison dann zu viel, sodass sie rücksichtslos schnell ihre Pumps während des Laufens auszog und einfach so liegen ließ. Nun bot sich ihr die Möglichkeit, ihre Tochter wieder einzuholen.

"Ally, warte!", rief sie noch aus, ehe sich die Welt für Addison aufhörte zu drehen. Wie in Zeitlupe vernahm sie, wie ihre Tochter, total gedankenverloren, den Fußgängerweg verließ und über die Straße rannte. Ohne nach zu sehen, ob ein Auto kommen würde. Wie dumm von ihr.

Wut.
Verzweiflung.
Hilflosigkeit.
Entsetzen.
Panik.
Angst.
Sorge.

All das fühlte die Gynäkologin in dem Moment, in welchem Ally mit ihrem ganzen Körper von einem heranfahrenden Auto erfasst wurde. Ihre Tochter schlug mit voller Wucht auf die Motorhaube des Mercedes auf, der Fahrer des Wagens vollzog eine Vollbremsung, durch den Aufprall flog das Mädchen fünf Meter weit, ehe sie hart auf den Asphalt aufschlug.

Wie paralysiert riss Addison sich aus ihrer Schockstarre und rannte auf Alianore zu.
"Ally...", sprach sie das Mädchen schluchzend an. Sie strich ihr sanft über die Wange, ehe die Ärztin in ihr durchkam.
Schnell rief sie Passanten zu, ihre Kollegen aus der Notaufnahme herzuholen, auf den Autofahrer, welcher geschockt neben dem am Boden liegenden Mädchen stand, achtete sie nicht. Sie überprüfte die Vitalfunktionen.
Puls? Vorhanden. Atmung? Ebenfalls. Bewusstsein? Nicht.
Addison versuchte, zu Alianore durchzudringen, doch es gelang ihr nicht.
Dann war da das Blut. So viel Blut. Überall. Wie konnte ein Mädchen so viel Blut in sich haben? Verzweifelt fuhr sich Addison kurz über das Gesicht, dass ihre eigenen Hände voll Blut waren, merkte sie nicht.

Mittlerweile waren einige Kollegen aus der Notaufnahme am Unfallort eingetroffen.
Sanft wurde sie von einem Arzt mit ebenfalls roten Haaren an der Schulter berührt. Sie kannte ihn nicht.

"Dr. Montgomery...", sprach er sie ruhig an, während eine erneut rothaarige Kollegin sich zu Ally kniete.
Verdammt, mussten denn alle hier ihre Haarfarbe haben? Und wieso kannte der Unfallarzt ihren Namen?
"Ich... ich muss...", sie konnte keine klaren Gedanken fassen. Zu tief saß der Schock.
"Mein Name ist Dr. Owen Hunt, wir kümmern uns um das Mädchen.", sprach der ihr fremde Arzt zu ihr. "Sie.. sie ist meine Tochter...", stammelte Addison. Owen nickte. "Kommen Sie erst einmal mit...", er half ihr hoch und folgte seiner Kollegin, April, welche Alianore mit Hilfe von den anderen Helfern bereits auf eine Trage gebracht hatte und jetzt auf dem Weg zurück in die Notaufnahme war. Am ganzen Leib zitternd folge Addison ihnen, Owen half ihr, auf den Beinen zu bleiben.

Als sie die Notaufnahme betraten, herrschte bereits hektisches Treiben. Die Allgemeinmedizin, Orthopädie und Unfallchirurgie wurde angepiept, die Oberärzte der Abteilungen kümmerten sich um Alianore. Owen hatte Addison auf ein leeres Patientenbett begleitet und schloss sich seinen Kollegen an, welche ihre Tochter in einen der Traumaräume geschoben hatten.

Der Unfall von Alianore hatte sich schnell herumgesprochen, weshalb Derek und Mark ebenfalls in der Notaufnahme erschienen. Addison hatte sich derweil neben dem Eingang des Traumaraumes an der Wand hinabgleiten lassen, noch immer mit nackten Füßen, ihre Knie an ihren Körper herangezogen und bettete ihren Kopf auf diesen. Schwer atmete sie ein und aus, versuchte, das Erlebte zu verarbeiten. Einen klaren Kopf zu bekommen. Doch es wollte nicht funktionieren. Sie gab sich die Schuld an dem Unfall. Hätte sie Alianore von Anfang an alles erzählt, wäre es mit Sicherheit nicht so weit gekommen, dass ihre Tochter nun um ihr Leben kämpfen musste. Leise begann sie wieder zu weinen, schluchzte auf und wusste nicht, wohin mit sich.

"Addie...", Mark ging auf die Rothaarige zu, hatte er sie doch direkt gesehen als er mit Derek die Notaufnahme betrat. Derek stand dicht hinter ihm.
"Was... was ist passiert?", fragten die beiden Männer gleichzeitig. Addison sah auf, schaute keinem von ihnen in die Augen, sondern nur starr geradeaus.
"Sie lief weg... und... wurde immer schneller... bis...", schluchzend brach sie ab, versuchte sich zu sammeln, "...da war dieses Auto... sie hat es nicht kommen sehen und dann...", hauchte sie, bebend vom Weinen.
"Ich... ich kann nicht zu ihr... ich weiß nicht, wie es ihr geht...", verzweifelt sah sie nun Mark an. "Wie konnte das nur passieren?", sie vergrub ihren Kopf in ihren Händen. Den beiden Männern stand der Schock ebenfalls ins Gesicht geschrieben, dachten sie doch beide, Alianore wäre ihre Tochter.

Mark war der Erste, der aus seiner Starre erwachte. Der Chirurg setzte sich neben Addison, legte behutsam einen Arm um ihre Schultern, während Derek nicht wusste, wie er mit der Situation umgehen sollte. Er machte sich ebenfalls Vorwürfe, aber ebenso auch Addison. Diese legte den Kopf an die Schulter des blonden Mannes, welcher ihr beruhigend über den Kopf strich.

Nach wenigen Minuten kam Meredith aus dem Traumaraum, Derek fing sie ab.
"Meredith... was ist mit ihr...?", fragte er sie. Meredith sah ihm in die Augen.
"Sie hat viel Blut verloren... ", sie sah besorgt zu Addison, welche noch immer mit dem Kopf an Mark's Schulter gelehnt auf dem Boden saß. "Und einige Knochenbrüche. Es sieht nicht gut aus... Wir müssen sie auf jeden Fall operieren...", informierte sie ihn. "Meredith... Sie...", Derek strich sich durch die schwarzen Haare. "Sie könnte meine...", brach er ab und sah seiner Frau verzweifelt in die Augen. Dieser entglitten alle Gesichtszüge. "Du denkst, sie könnte deine... deine Tochter sein?!", beendete sie aufgebracht seinen Satz. "Meredith, ich..." "Nein Derek, lass es, okay?! Ich will jetzt keine Erklärung von dir hören", unterbrach sie ihn, ging aus der Notaufnahme und ließ ihn stehen. Derek sah kurz zu Addison und Mark, ehe er ihr folgte.

Nun kam Richard ebenfalls aus dem Raum, in welchem Alianore lag. Er kniete sich nieder zu Addison und legte ihr eine Hand auf die Schulter. "Addison? Kommst du bitte mit?", fragte er besorgt. Diese sah auf und schaute ihm mit leerem Blick in die Augen.
"Nein... sie... sie ist doch nicht...?", sie konnte den Satz nicht beenden.
"Nein, aber ihr geht es sehr schlecht. Ich möchte versuchen, dir zu erklären, was genau mit ihr ist. Okay?" Mark sah nun ebenfalls zu Richard.
"Ich lass sie nicht alleine Richard. Das kann ich nicht."
Mit ernstem Blick musterte der Chefarzt der Chirurgie ihn. "Ich werde mit ihr alleine sprechen, Dr. Sloan.", gab er mit festem Ton zu verstehen.
Ohne weiter auf Mark Rücksicht zu nehmen, nahm er Addison's Hand und half ihr hoch. Er ging mit ihr in einen leeren Behandlungsraum. Die Gynäkologin stand total neben sich, hatte sie doch viel zu viel Angst um ihr Kind. Er seufzte, ehe er begann ruhig zu ihr zu sprechen.

"Also Addison... Alianore hat sehr viel Blut verloren. Röntgenbilder haben gezeigt, dass sie multiple Rippenfrakturen hat, wovon die 3. Rippe rechts ihren Lungenflügel perforiert. Zudem kommen noch eine Fraktur des Femurs linksseitig und eine Beckenringfraktur. Außerdem hat sie innere Blutungen, sonographisch zeigte sich, dass die Milz gerissen ist und eine schwere Gehirnerschütterung. Ein CT des Schädels steht noch aus, aber wir vermuten, dass sie zumindest dort nicht operiert werden muss. Dr. Yang wird sich um die Lunge kümmern, Dr. Grey und Dr. Bailey um die Milz. Die Frakturen wird Dr. Torres operieren. Wir wollen versuchen, so viel wie möglich in nur einem Eingriff zu erledigen. Allerdings gibt es da ein Problem...", nachdenklich sah er Addison an. Geschockt von den Ausmaßen des Unfalles sah Addison ihm nur fragend in die Augen.
"Letzte Woche gab es eine Massenkarambolage auf einem Highway, welche unsere Vorräte der Blutkonserven um einiges reduziert hat", seufzte er. "Wir haben nur noch geringfügig Blutkonserven der Blutgruppe 0 vorrätig..."
"Und da Alianore Blutgruppe 0 hat... kann sie nur diese empfangen...", beendete Addison leise seinen Satz. Richard nickte betroffen. "Genau... und da du Blutgruppe B hast, wäre es besser, zu schauen, welche Blutgruppe der Vater hat... um..."
"...zu sehen ob er ein geeigneterer Spender ist als ich es wäre.", beendete sie wieder, mehr zu sich selbst redend, seinen Satz. Abermals nickte Richard.

Addison sah Richard an. "Würdest du... ihn holen... bitte?", fragte sie ihn mit zittriger Stimme. "Aber natürlich, Addison.", erwiderte er, ehe er den Raum verließ um nach Mark zu sehen. Kurz darauf öffnete sich die Tür erneut und Mark kam zu ihr.

"Addie...", sprach er sie, mit seiner markanten, rauen, Stimme an. "Mark ich...", sie drehte sich zu ihm um. "Welche Blutgruppe hast du?", fragte sie ihn dann und wusste, was er sagen würde.
Mark sah sie irritiert an und antwortete: "Blutgruppe 0, aber wieso fragst du?"
Ernst sah sie ihm in die Augen, ging ein paar Schritte auf ihn zu. "Kannst... kannst du welches spenden?"
"Natürlich Addie, aber warum?", fragte er, noch immer irritiert. Mit Tränen in den Augen schaute sie zu ihm.

"Deine Tochter braucht dich jetzt Mark, bitte hilf ihr, zu überleben.", sagte sie, ehe sie wieder begann, zu weinen.


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