„Who I am"

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Morgens war Addison vor ihrer Tochter wach. Lächelnd beobachtete sie das Mädchen, welches in die Decke eingekuschelt immer noch tief und fest schlief. So ruhig und friedlich. Kaum könnte Addison daran denken, dem Mädchen gestern diese erschreckenden Dinge über ihr Inneres gesagt zu haben. "Schlaf du ruhig, Schatz...", flüsterte Addison sanft, strich ihrer Tochter über den Kopf und ging ins Bad, um sich anzuziehen. Das Leben musste weitergehen. Sie war eine Forbes, eine Forbes-Montgomery arbeitete über ihren Schmerz und über ihre Probleme hinweg. Niemals dürfte es ihr einfallen in der Öffentlichkeit Schwäche oder Trauer zu zeigen. Es gehörte sich einfach nicht.  An manchen Tagen holte sie es weniger ein, an manchen mehr. Heute war einer dieser schlimmeren Tage.

Während Ally schlief, machte sich Addison also fertig für einen Tag voller Arbeit im Krankenhaus. Sie würde allen beweisen, dass sie es schaffen konnte.

Sie schminkte sich, sah sich an. Sie hatte zugenommen, sah wieder gesund aus.
Sie würde es schaffen.

Das Bild im Spiegel- Die alte Addison.
Sie würde es schaffen.

Etwas fehlt. Sie sah das Gesicht der Frau, deren Kind gestorben war.

Das bist du nicht, lächle, Addie.

Ein zaghaftes Grinsen auf ihrem Gesicht.
Lächle!

Sie zog die Mundwinkel nach oben.
Besser...

Addison war zufrieden mit dem Bild im Spiegel. Das Bild einer perfekt geschminkten, hübschen Frau in den Dreißigern. Das Lächeln distanziert, aber doch warm und vertrauenserweckend.

Addison, die Chirurgin und Ärztin war wieder da.

Im Spiegel.

Das bist du nicht.

Tränen bildeten sich in ihren Augen.

Lächeln Addie...

Das bist du nicht, dir ist nicht zum Lächeln zu mute...

Sie wandte den Blick ab. Sie konnte sich selbst nicht ansehen. Das war sie gerade nicht. Sie war nicht die starke Frau, die alle kannten. Die sie mit aller Macht versuchte zu sein. Das Behandeln der Frau, welche zufällig das selbe erlebt hatte, wie sie, warf sie zurück. Es war ein Zufall. Ethan wollte sie, niemand anderen. Er wollte nur sie. Ihre Familie zerstören, so, wie sie seine kaputt gemacht hatte.

Alianore war nach unten gegangen und machte Frühstück. Sie hatte wieder furchtbar schlecht geschlafen und konnte die Augen kaum offen halten. War es ihr besser gegangen, waren die Wunden fast verheilt und die Knochen wieder fast in Ordnung, merkte sie heute, dass es auch ihre Genesung noch nicht beendet war. Diese verdammte Hüfte, dieser verdammte Oberschenkel! Dieser scheiß Mercedes-Fahrer, welcher schuld daran war. Falsch. Sloan und Shepherd, Mark und Derek waren schuld! Wäre dieser Idiot nicht!

"Scheiße!", fluchte Alianore, als ihr die Kaffeetasse herunterfiel und in tausend kleine Scherben zersprang. Sie konnte sie selbst nicht aufheben, konnte sie sich doch nicht richtig bücken. Weinend ließ sie sich auf einem Stuhl nieder.

"Baby, was ist los?", fragte Addison, als sie in die Küche kam. "Die Tasse...", jammerte Alianore. "Das ist nicht schlimm, Kleines. Wir machen das weg.", sagte die Mutter und bückte sich, um die Scherben aufzusammeln. Dabei schnitt sie sich in den Finger.

"Mom?", fragte Alianore, als ihre Mutter in der Haltung innehielt. Addison regte sich nicht. Sie blutete. Blut. Sie hatte zu viel geblutet, zu viele Schmerzen gehabt, zu viel gelitten.

Lächeln, Addison. Lächle! Die Kleine kann nichts dafür. Sie kann nichts dafür, sie wollte dir nicht wehtun, Addison. Ein Pflaster, dann geht das wieder. Es ist nur ein kleiner Schnitt, der sofort aufhören wird zu bluten. Blut. Zu viel Blut.

Addison fing an zu zittern. "Mommy.", fragte Alianore noch einmal, um dann aufzustehen und nach einem Pflaster zu suchen. "Alles ist gut.", meinte sie und trat an ihre Mutter heran, welche immer noch auf dem Boden verharrte.

Zu viel. Zu nah.

"Komm, ich hab hier ein Pflaster.", meinte Ally und trat noch näher an ihre Mutter heran, welche nun ruckartig aufstand.

Zu viel.

"Wasch es erst aus.", meinte Ally und stellte das Wasser am Waschbecken an.

Zu viel. Nein. Sie ist nicht er. Lächle Addison.

Alianore trat mit einem nassen Tuch zu ihrer Mutter heran.

Zu viel. Sie kann nichts dafür sie kann nichts dafür...

"Ruf deinen Vater an.", sagte Addison leise aber bestimmt.

"Was ist los Mom?", fragte das Mädchen erschrocken.

"Ruf ihn an.", zischte Addison bedrohlich. Das Mädchen tat, was die Rothaarige verlangte.

Wasser. Blut... Zu viel. Sie kann nichts dafür aber... du musst auf dich aufpassen, Addison...
Addison ging auf Ally zu. Langsam, bedrohlich. Alles kam wieder hoch. Ihr Unterbewusstsein spielte ihr einen Streich. Sie war nicht er. Dass wusste sie ganz genau. Ihr Unterbewusstsein jedoch, das wollte sie schützen. Vor erneutem Schmerz und Leid.

"Ich will dir helfen Mom.", sagte Alianore, leicht panisch. Wie in Trance kam ihre Mutter auf sie zu. Bedrohlich, groß, still.

Du musst dir helfen. Wasser, Blut...

Sie fiel nach hinten und stolperte, blieb liegen. Regte sich nicht.

Geschockt sah Addison ihre Tochter reglos auf dem Boden liegen. Was hatte sie getan? Sie war nicht sie. Sie war ein Monster.

"Ally, oh Ally, bitte, wach auf. Es tut mir leid!", schrie sie verzweifelt.

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