"If tomorrow never comes"

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Zwei Tage später, es war vormittags, klingelte plötzlich das Festnetztelefon in Allys Zimmer, welches auf ihrem Nachttisch stand. Genervt legte der Teenager das Medizinbuch in welchem sie gerade las zur Seite und sah auf das Display. Die Nummer war unterdrückt, trotzdem nahm sie den Anruf an. „Montgomery?", meldete sie sich nüchtern. Doch in der Leitung herrschte Stille. Bis auf ein schweres Atmen, welches das Mädchen vernehmen konnte. „Hallo?!", fragte sie genervt. Doch der unbekannte Anrufer gab ihre keine Antwort. Kopfschüttelnd, und sich nichts dabei denkend, legte Alianore auf und widmete sich wieder ihrem Buch.

Dies geschah noch öfter, während die Sechzehnjährige alleine Zuhause war. Schon bald begann das Mädchen damit, den Anrufer wegzudrücken, wenn sie sah, dass eine unterdrückte Nummer anrief. „Irgendjemand scheint ganz schön Spaß an der Sache zu haben...", dachte sie sich erneut, als sie den Unbekannten schon zum zehnten Mal an diesem Tag weg drückte. Als ihre Mutter am Nachmittag nach Hause kam, erzählte sie ihr nichts davon. Sie hielt es einfach nicht für notwendig. Vielleicht waren es ihre Freunde aus der Highschool in Los Angeles, die sich einen Spaß erlaubten.
Addison selbst hatte im Krankenhaus, dafür dass sie nur vormittags arbeitete, genug zu tun, sodass sie den tragischen Vorfall der jungen Helena und ihrem Kind schnell verdrängt hatte. Und von Ethan Johnson hörte sie auch nichts weiter. Anscheinend hatte ihr Gefühl sich doch getäuscht, das tat es eigentlich nie, aber die Ärztin war einfach froh, nicht mehr mit der Situation konfrontiert zu werden.

Und so zog eine weitere Woche ins Land. Immer, wenn Alianore alleine zuhause war, klingelte das Telefon. So langsam machte das junge Mädchen sich Gedanken, doch sie wusste nicht, wie sie mit ihrer Mutter darüber reden sollte. Ihr sagen, dass immer jemand anrief, und nichts sagte? Wie lächerlich sollte das denn sein? Irgendwann, Alianore war ziemlich vertieft in einem Buch versunken, nahm sie unbewusst das Telefonat erneut an, da sie eigentlich einen Anruf von ihrer Freundin Maya erwartete. „Montgomery?", meldete sie sich, ohne auf das Display geachtet zu haben. „Hallo Alianore.", meldete, eine ihr unbekannte Männerstimme, sich. „Es ist unhöflich sich nicht mit Namen zu melden. Wer sind Sie?", fragte das Mädchen spitz und genervt. Sie hatte das Buch sofort zur Seite gelegt und lag wie angewurzelt in ihrem Bett. „Das spielt keine Rolle, kleines Mädchen.", sprach die Stimme ernst, „wichtig ist doch nur, dass ich weiß, dass du oft alleine zuhause bist.", lachte der Mann süffisant. Auf Alianore' s gesamten Körper bildete sich eine Gänsehaut. „Was wollen Sie von mir?", fragte sie, versucht, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen. Der Unbekannte lachte erneut auf. „Das wirst du noch früh genug erfahren, Kleine.", antwortete er.

Alianore blieb keine Zeit etwas zu erwidern, da hatte der Mann schon aufgelegt. Schwer atmend ließ die Blonde das Telefon sinken und starrte an ihre Zimmertür, welche sich geradeaus, vor ihrem Bett befand. War jetzt der Zeitpunkt gekommen, Addison zu informieren? Sie wusste es nicht. Weitere Minuten vergingen, bis sie sich schließlich beruhigt hatte und wieder an den Gedanken an ihre Freunde festhielt, die sich einen Scherz erlaubten.

An diesem Tag kam Addison erst spät abends nach Hause, da eine stundenlange, komplizierte Operation sie im Krankenhaus aufgehalten hatte. Mark hatte sie begleitet, da die Ärztin sich den ganzen Tag schon nicht gut fühlte. „Und du bist dir sicher, dass ich Richard nicht Bescheid geben soll, damit du morgen hier bleiben kannst?", fragte dieser sie, als sie das Haus betraten. Die Angesprochene schüttelte den Kopf und hing ihre Jacke an die Garderobe. „Ich hab sicherlich nur etwas falsches gegessen Mark, morgen sieht das Ganze bestimmt schon anders aus.", versicherte sie ihm. Doch dabei war sie sich schon ziemlich sicher, was ihr „Problem" war. „Na, wenn du das meinst. Möchtest du denn jetzt etwas essen? Ich kann dir und Ally etwas machen.", schlug der plastische Chirurg seiner Freundin vor. „Das ist lieb, aber ich habe keinen Hunger, Mark. Ich frage Ally gerne, ob sie etwas möchte. Was mich betrifft, möchte ich gleich nur noch unter die Dusche und dann ins Bett.", erwiderte die Rothaarige lächelnd und machte sich auf den Weg in das Zimmer ihrer Tochter. Leise klopfte sie an und öffnete die Tür, als Alianore sie herein bat.

„Hey, entschuldige, dass ich erst so spät komme... Hat mein Assistenzarzt dich erreichen können?", begrüßte die Mutter ihre Tochter und ging auf ihr Bett zu. Alianore sah ihre Mutter an. „Ja, ich wurde informiert. Wie war dein Tag?", antwortete das Mädchen mit einem leichten, gezwungenen Lächeln. Addison setzte sich ans Bett ihres Kindes. „Anstrengend, aber das gehört dazu. Wie geht es dir? Möchtest du noch etwas essen?", fragte sie besorgt. Addison war nicht entgangen, wie ihr Kind sich das Lächeln aufgezwungen hatte. Die Angesprochene antwortete nicht sofort. War jetzt der richtige Zeitpunkt, um von dem Telefonat zu erzählen? Alianore musterte ihre Mutter. Sie sah müde aus. Und blass. Alianore entschied, dass es auch bis zum nächsten Tag warten könne und antwortete: „Nein danke, ich wollte sowieso gleich schlafen." Ihre Mutter nickte. „In Ordnung, dann gute Nacht Kleines, morgen wird es nicht so spät.", versprach sie und stand auf, beugte sich zu Ally runter, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und verließ das Zimmer. Sie musste es nicht erzählen, Blödsinn. Morgen würde sie Maya fragen, wer dahinter steckte. Das Mädchen seufzte. Der Gedanke, dass sie es ihrer Mutter erzählen musste, ließ sie, trotz dem, was sie sich einzureden versuchte, nicht los. Morgen. Morgen wollte sie ihrer Mutter von den Anrufen erzählen. Ganz sicher.

Am nächsten Morgen wurde Addison aus ihrem Schlaf gerissen. Als sie hektisch aufstand um ins Badezimmer zu rennen, welches glücklicherweise direkt an ihrem Schlafzimmer angrenzte, wurde auch Mark wach. Dieser sah nur, wie die Rothaarige die Tür aufriss um sich, gerade noch rechtzeitig, direkt vor der Toilette auf den Boden fallen zu lassen. Besorgt stand er auf und ging zu ihr. „Addie, ist alles in Ordnung?", liebevoll strich er ihr über den Rücken, während seine Freundin würgend über den Toilettensitz gebeugt hockte. Addison wischte sich mit etwas Toilettenpapier den Mund ab. „Sieht das für dich so aus, als sei alles in Ordnung?", fragte sie gereizt, rappelte sich auf und spülte ihren Mund aus. „Entschuldige, dass ich mir Sorgen um dich mache...", antwortete Mark ihr gekränkt und zog seine Hand zurück. „Ich weiß doch auch nicht was es ist, ich werde mich in der Klinik heute untersuchen lassen, sollte es nicht besser werden.", log sie nun, um Marks Gewissen zu beruhigen. Nickend nahm dieser das zur Kenntnis und Beide machten sich fertig für die Arbeit.

Dort angekommen ging Addison direkt in einen der Vorratsräume und suchte nach etwas, das ihren Verdacht bestätigen sollte. Zwanzig Minuten später saß sie seufzend auf der Toilette und betrachtete den Test in ihrer Hand. Positiv. Na super. Da war sie nun, Gynäkologin, bestens informiert, und wohl selbst zu fahrlässig mit der Verhütung gewesen. Abtreibung? Käme nicht infrage, das wollte sie nicht. Aber andererseits war sie auch nicht mehr im besten Alter, um erneut Mutter zu werden. Was sollte sie nun tun? Wollte sie mit jemanden darüber reden?

Während Addison im Krankenhaus nicht wusste, was sie tun sollte, öffnete Alianore Zuhause ihre Post, welche die Haushaltshilfe ihr auf das Zimmer gebracht hatte. Als sie die DIN-A4 Seite aus dem Umschlag holte, stockte ihr der Atem.

„Ich werde dich holen, Alianore. Dann, wenn du es am wenigsten erwartest. Und ich warne dich, wenn du irgendjemandem hiervon erzählst, passiert etwas Schlimmes! Und du liebst deine Mutter doch, oder kleines Mädchen?"

Mit Tränen in den Augen ließ die Sechzehnjährige den Brief auf die Bettdecke sinken. Was sollte sie jetzt tun? Sie wollte doch nicht, dass ihrer Mutter etwas passierte. Wer war dieser Unbekannte? Und wieso hatte er es auf sie abgesehen?

Es vergingen einige Tage, in welchen Mutter und Tochter sich immer mehr anschwiegen. Addison wusste nicht, was mit Alianore los war und Alianore wusste nicht, warum Addison so schweigsam und in sich gekehrt war. Beide schoben das Gespräch, dass von beiden Seiten dringend nötig war, immer wieder auf den nächsten Tag, wohl selbst wissend, dass sie es wohl doch weiter für sich behielten.
Sogar Mark war die letzten Tage nicht im Hause gewesen. Irgendwann hielt Addison es nicht mehr aus und wollte ihrer Tochter von ihrer Schwangerschaft erzählen. Sie hatte es noch keinem anderen gesagt und nahm schonende Medikamente, damit die offensichtlichen Symptome nicht auffielen. Sie wusste nicht, wie ihre Tochter darauf reagieren würde. Denn Alianore bekam durch die Arbeit von Addison oft genug mit, was alles passieren kann, vor allem in einer Risikoschwangerschaft, welche es bei Addison ebenfalls war.

An einem Nachmittag war Addison mit Alianore auf dem Weg ins Krankenhaus, da das Mädchen einen Termin zur Verlaufskontrolle hatte. Während der Fahrt schwiegen Mutter und Tochter sich an. Beide nicht wissend, was sie der jeweils anderen sagen sollten. Da beide in den eigenen Gedanken verloren waren, merkten sie nicht, wie ihnen ein Auto, wie so oft in den letzten Wochen, folgte. Der junge Mann am Steuer wusste noch nicht so richtig, wie er seinen Plan in die Tat umsetzen sollte. Auf dem Krankenhausparkplatz angekommen, hielt er hinter dem Wagen der Ärztin.

Im Auto drehte Addison sich nun endlich zu ihrer Tochter und sah sie an. „Ally...", begann sie, „was ist los mit dir? Wieso bist du so still die letzten Tage?", traute sie sich nun zu fragen. „Du fragst mich, warum ich so still bin? Ernsthaft Mom? Was ist denn mit dir los?! Seit Tagen sprichst du ebenfalls nicht mehr vernünftig mit mir.", antwortete der Teenie trotzig. Addison seufzte. „Okay, Ally... Ich... seit einigen Tagen geht es mir nicht so gut. Und das hat einen Grund. Ich... überlege die ganze Zeit, wie ich dir das beibringen könnte..." Sie atmete tief durch ehe sie fortfuhr: „Ich bin schwanger." Alianore schluckte schwer. Hatte sie das gerade richtig verstanden? Ihre Mutter war schwanger? „Weiß Mark es?", fragte sie nüchtern und sah weiter nach vorne aus der Windschutzscheibe. Die Mutter schüttelte den Kopf. „Nein... er weiß es nicht. Bisher." Alianore wurde wütend. Plötzlich kam die Wut auf ihre Mutter, welche sie die letzten Wochen verdrängt hatte, wieder hoch. „Ist das dein Ernst?! Hast du vor, es ihm wieder zu verschweigen?! Einem Kind wieder die Chance zu nehmen, einen Vater zu haben?!", schrie sie aufgebracht. Erschrocken sah die Mutter ihre Tochter an. „Nein, Ally...", fing sie an, doch ihre Tochter unterbrach sie. „Nein, Mom! So funktioniert das nicht! Weißt du eigentlich, dass dieser ganze Mist, der Unfall, nicht passiert wäre, wenn du von Anfang an ehrlich gewesen wärst?! Hast du jemals daran gedacht, dass du Schuld an all dem bist?", warf das Mädchen ihr vor. Addison schluckte. Natürlich hatte sie das. Jeden einzelnen Tag. Tränen sammelten sich in ihren Augen, sie schluckte sie runter und wandte den Blick von ihrer Tochter ab. „Lass uns reingehen, wir kommen sonst zu spät.", antwortete sie nur und stieg aus dem Wagen.

Der Mann hatte die wütenden Schreie des Teenies gehört und grinste. Die schlampige Ärztin war schwanger? „Na, das ist doch viel besser als der Kleinen etwas anzutun.", flüsterte er grinsend, während er Addison und Alianore dabei beobachtete, wie sie den Wagen verließen. Sein Plan hatte sich geändert. Und er hatte sich vorgenommen, ihn heute umzusetzen. Er blickte der Mutter, welche ihre Tochter beim Laufen unterstützte nach, bis sie im Krankenhaus verschwunden waren. "Man sieht sich immer zweimal im Leben, Monty."

Nach dem Termin und während der Heimfahrt sprach Addison kein Wort mit Alianore, zu sehr war sie verletzt von ihren Worten. Zuhause angekommen half sie ihr auf ihr Zimmer. „Ich werde heute Abend wiederkommen, Alianore. Ich gehe zu Mark, und rede mit ihm. Denk über das nach, was du gesagt hast. Du hast mich sehr verletzt. Wenn du etwas brauchst, die Haushälterin ist da, bis ich es wieder bin.", sagte sie nur, ziemlich enttäuscht, ehe sie das Zimmer verließ um sich auf den Weg zu Mark zu machen. Sie hatte viel zu lange gewartet.

Bei Mark angekommen saß Addison noch eine Zeit lang in ihrem Auto. Sie wusste nicht, wie sie mit Mark darüber reden sollte. Er würde sich freuen, schon wie damals, da war die Ärztin sich ganz sicher. Entschlossen, dass dieses Gespräch anders enden würde als das, welches sich versucht hatte mit ihrer Tochter zu führen, stieg sie schließlich aus. Dass neben ihrem Auto ein Mann stand, bemerkte sie erst, als sie gedankenverloren dabei war, sich umzudrehen, um in die Richtung von Marks Haustür zu gehen und versehentlich gegen ihn lief.

„Entschuldigen Sie.", murmelte sie. „Kein Problem, Dr. Montgomery, das war beabsichtigt.", ertönte eine leise, aber ernste Stimme. Addison sah auf und blickte ihm ins Gesicht. „Wer sind Sie?", fragte sie den in schwarz gekleideten Unbekannten, dessen Stimme ihr irgendwie bekannt vorkam. „Das wirst du noch früh genug erkennen, Schätzchen.", antwortete dieser.

Dann ging alles ganz schnell. Er packte Addison mit einem Arm um die Hüfte, während er ihr mit der freien Hand ein in Chloroform getränktes Tuch in das Gesicht presste. Addison versuchte zu schreien, sich zu wehren, doch die Schwärze, welche das Betäubungsmittel in ihr hervor rief, erreichte sie zu schnell. Binnen weniger Sekunden wurden ihre Muskeln schwächer, sie merkte, wie ihr Bewusstsein langsam abdriftete und gleich darauf trugen ihre Beine ihren Körper nicht mehr und sie sackte in den Armen des Unbekannten zusammen. Ihr letzter Gedanke war bei Mark. Sie hätte früher kommen müssen. Es nicht immer schieben sollen. Vielleicht gab es kein Morgen mehr.

Als Addison erwachte, war ihr schwindelig. Müde öffnete sie die Augen und versuchte, ihre Umgebung wahrzunehmen. Was war passiert? Wo war sie? Als ihre Augen sich an das kalte Licht, welches den Raum in dem sie sich befand erhellte, gewöhnt hatten, sah sie sich um. Die Gynäkologin versuchte aufzustehen, doch dann bemerkte sie, dass ihre Beine gefesselt waren. An einem Stuhl. Ebenso ihre Hände. Panisch rüttelte sie an ihren Fesseln, versuchte, ihre Extremitäten zu befreien, doch ihr fehlte wohl die Kraft. Oder es war einfach unmöglich. Ihre Gedanken waren noch nicht ganz klar. Was machte sie hier?

Plötzlich öffnete sich eine Tür. Schnell drehte sie ihren Kopf in die Richtung, aus welcher sie das Geräusch vernahm. Da stand er. Ethan Johnson. Er stand in der Tür, eine Flasche Whisky in der linken und eine Glock 17 in der rechten Hand. Und Johnson grinste sie an. Widerlich. Addison erschauderte.

„Na endlich, ich dachte du wachst gar nicht mehr auf.", sprach er aus und ging langsam auf Addison zu.

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