"No no no!"

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Sie dachte, sie hätte sich verhört. Sie wollte nicht glauben, was sie gerade hörte.

"Ich werde nicht darum herumkommen, sie wird es erfahren, schon allein, weil sie die Kleine nicht mehr aus den Augen lassen werden."

Zu viel. Es war zu viel.
Alianore drehte sich leise auf dem Absatz um und ging im Dunkeln die Treppen nach oben.
Sie zuckte zusammen, als eine der Holzstufen knarrte, als sie ihren Fuß darauf setzte.
Sie hielt kurz inne, Addison schwieg unten, sie hatte sie gehört.
Schnell versuchte das Mädchen in ihr Zimmer zu kommen.
Addison würde ihr nachkommen.

Einen Augenblick später hörte sie die leisen Schritte ihrer Mutter auf dem Flur, um kurz darauf ein Klopfen an der Tür zu vernehmen.
Ohne eine Antwort abzuwarten, trat Addison in den Raum.

"Ally?", fragte sie leise in die Dunkelheit des Zimmers und kam ans Bett, in welchem das Mädchen so tat, als wäre es bereits wieder eingeschlafen.
Addison jedoch setzte sich an die Kante und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
"Du hast mich reden hören, nicht wahr?", stellte Addison seufzend fest.
Ally setzte sich auf und schaltete das Licht ihrer kleinen Nachttischlampe ein.
Sie nickte und konnte nicht verhindern, dass Tränen in ihren Augen aufstiegen.

"Warum?", kam es über ihre Lippen.
"Schatz... Richard fragte mich, ob ich die Station übernehmen wollte, bevor ich wusste, dass er im Krankenhaus war. Ich wollte absagen. Doch als ich erfahren habe, dass er auch im SGH arbeitete, konnte ich nicht nein sagen. Ally, ich möchte, dass du deinen Vater kennenlernst, ich verlange nicht, dass du ihm freudig in die Arme springst, dass du eine Bindung zu ihm aufbaust oder ihn gar Dad nennst, dafür ist es wahrscheinlich zu spät. Ich möchte aber, dass du weißt, an wen du dich wenden kannst, wenn ich mal nicht für dich da sein kann. Ich habe lange mit mir gerungen, Kleine, aber ich denke, es ist das beste für uns alle, wenn du es weißt.", seufzt, "wenn er es weiß."
"Er weiß nichts von mir?", fragte die Blonde verwundert, sie wusste nicht, was sie fühlte.
Addison schüttelte den Kopf.
"Nein, ich hielt es vor sechzehn Jahren für das beste, ihm nichts von dir zu sagen, er wäre nicht bereit dafür gewesen, ich weiß nicht, ob er es jetzt ist, aber ich möchte ihm die Chance geben, ihr beide habt es verdient.", sagte sie und verschwieg ihrer Tochter, dass sie diesen Mann noch immer liebte.
"Du hättest mich fragen müssen.", murmelte sie enttäuscht.
"Du hättest abgeblockt, Ally.", wusste ihre Mutter.
Das Mädchen nickte.
„Ich habe dir gesagt, ich möchte ihn nicht kennenlernen. Sag es ihm ruhig, aber sag ihm auch, dass er bleiben kann, wo er ist. Ich möchte ihn nicht, wir kommen ohne ihn klar!", rief sie nun aufgebracht aus, legte sich, ohne ein weiteres Wort wieder hin und drehte sich weg.
Addison starrte kopfschüttelnd auf den Rücken ihres Kindes, wollte noch etwas sagen, ließ es dann.
"Gute Nacht, mein Schatz, ich hab dich lieb, was auch immer kommen mag und welche Entscheidungen du auch immer treffen möchtest.", sagte leise und schloss die Tür hinter sich.

In den nächsten Tagen passierte genau das, was Addison geahnt hatte.
Alianore strafte sie mit Schweigen und sah sie nicht an.
Es tat auch ihrer Tochter weh, sie so zu behandeln, die Rothaarige wusste das genau, doch war es die Art ihres Kindes, mit schwierigen Situationen umzugehen.
Ähnliches war passiert, als Bizzy verstarb.
Ally war jemand, der versuchte, Schwierigkeiten zuerst mit sich selbst zu lösen, sie erst für sich zu verarbeiten, bevor sie mit jemand anderem darüber sprach.

Am dritten Tag des Schweigens war es Alianore genug.
Ihre Mutter hatte nicht mehr mit dem Thema angefangen und Ally würde einen Teufel tun, mit ihr nochmal darüber zu reden.
Addison war schon lange im Krankenhaus, am Morgen hatte sie bereits zwei Entbindungen auf dem Plan gehabt.
Langsam gewöhnte sich das Mädchen daran, allein am Frühstückstisch zu sitzen und auch die Abende oft allein zu verbringen.

"Dr. Webber... Können Sie mir sagen, wo ich meine Mom finde?", fragte Alianore, als sie am Nachmittag mit dem Taxi ins Krankenhaus gefahren war.
"Schön, dich zu sehen.", lächelte er, "deine Mom ist gerade mit einer OP fertig und wird wohl wieder auf ihrer Station sein."

Alianore warf auf dem Gang ihre Haare zurück und lief in Richtung der Gynäkologie.

Mark und Derek hatten sie beide gesehen und liefen ihr nach.
Beide hatten nachgerechnet und beide wussten, sie kämen als Vater infrage.
Jetzt wollten sie wissen, ob sie wusste, wer von beiden es war.

Unabhängig von Mark erreichte Derek das Mädchen zuerst.
"Alianore?", sprach er sie an.
Erschrocken drehte sie sich um.
"Entschuldige, Kleine, ich wollte dich nicht erschrecken, ich bin auf dem Weg zu deiner Mutter.", meinte der Mann und erreichte, dass dem Mädchen die Kinnlade herunter klappte.
"Sie ist auf ihrer Station, ich wollte mit ihr sprechen...", sagte er und sah ihr direkt in die Augen.
"Sind Sie...", fing sie an.
"... dein Vater?", beendete er ihren Satz, "ich weiß es nicht."

Alianore drehte sich einfach um und ging in die andere Richtung.
Derek war weg. Mark kam ihr entgegen.

"Alianore, wo ist deine Mutter?", fragte auch er.
"Was wollen Sie denn von ihr?", wollte sie nun wissen.
Sie ahnte es. Er wollte Addison wohl aus dem gleichen Grund sprechen, wie der dunkelhaarige Arzt, welchem sie gerade ausgewichen war.
"Sicher in ihrem Büro.", antwortete sie doch und ging dem blonden Mann, welcher ebenfalls entschlossen wie der andere in dieselbe Richtung ging, nach.

Addison stand mit beiden Männern in ihrem Büro, als Ally dort ankam. Beide waren sie außer sich und gestikulierten wild, schrien sich scheinbar an und redeten wutentbrannt auf Addison ein.
Alianore stand davor und sah fassungslos zu, wie die Erwachsenen sich scheinbar ihretwegen stritten.
Sie konnte sie nicht hören, die Tür war verschlossen, aber sie beobachtete das Geschehen aus der Ferne durch die Glaswände.

Im Raum ging es weniger angenehm zu.
"Addison, sie ist von einem von uns! Wir wissen alle drei, du wärst nie nach Seattle gekommen, wenn es keinen Hintergrund dazu gäbe. Du bist niemand, der wegen ein paar hundert Dollar sein Leben in der Sonne Kaliforniens zurücklässt und ins regnerische Seattle zieht, einfach so!", sprach Derek ihr Ex-Mann laut, bemüht, sich nicht zu vergessen.
Addison stand hinter ihrem Schreibtisch und wusste nicht was sie sagen sollte.
Falsch.
Sie wusste es genau, doch ging es ihr zu schnell. Sie wollte erst noch einmal mit ihrer Tochter sprechen, bevor sie dem Vater die Wahrheit sagen wollte.

"Sie steht draußen.", holte Mark Addison aus ihren Gedanken.
Er war, anders als Derek, relativ gefasst und versuchte, vernünftig damit umzugehen.

Alle drei sahen in ihre Richtung.
Alianore's und Addison's Blicke trafen sich.
Dem Mädchen wich alle Farbe aus dem Gesicht, sie machte ein paar Schritte rückwärts, bevor sie sich umdrehte und nur noch lief.

Sie konnte nicht. Sie konnte das nicht, sie wollte das nicht.
Sie wollte keinen der beiden Männer in ihrem Leben haben.
Gedankenverloren rannte Alianore hinaus.
Sie rannte, so schnell ihre Beine sie tragen konnten.
Der Tränenschleier und ihre wirren Gedanken ließen sie nicht merken, wie weit sie vom Krankenhaus weg war, dass sie vom Fußgängerweg abgekommen war.

Sie hörte Schreie. Hatte jemand ihren Namen gerufen?
Sie hörte Hupen, dann Reifen quietschen.
Im nächsten Moment spürte sie einen Schmerz, welcher durch den ganzen Körper fuhr.
So schnell wie er da war, war er wieder vorbei, alles wurde leicht.
Dann wurde es schwarz...


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