"I still need you"

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Mark starrte ungläubig auf die weinende Frau vor sich. Hatte er sie gerade wirklich richtig verstanden?
Oder spielte sein Verstand ihm einen Streich und er hatte nur das verstanden, was er hören wollte?
"Addie... sie... sie ist meine...", begann er, ehe sie ihn schluchzend unterbrach.
"Ja, Mark. Sie ist deine Tochter..."
"Wieso hast du es all die Jahre vor mir verschwiegen?"
Kopfschüttelnd sah sie ihn an.
"Spielt das denn jetzt, gerade jetzt, in diesem Moment, eine Rolle Mark?", meinte sie leise, Verzweiflung spielte in ihrer Stimme mit.
"Bitte... lass uns das später klären, Mark. Wenn wir sicher sein können, dass Ally es schaffen wird... Okay?"
Erwartungsvoll sah sie ihm in die Augen.
Schweigend nickte Mark.
"Ich werde mich bei Richard melden, für die Blutspende. Danach komme ich wieder. In Ordnung?", versicherte er ihr.
Vorsichtig strich er ihr als beruhigende Geste über den Rücken. Addison zuckte bei dieser unerwarteten Berührung kurz zusammen und nickte.
"Okay.", flüsterte sie und wischte sich die Tränen von der Wange.

Vier Stunden später saß Addison mit Mark vor dem OP, in welchem Alianore schon seit eben dieser Zeit lag und um ihr Leben kämpfte. Richard hatte sie darum gebeten, auch an sich zu denken. Es wäre zu viel für die Eltern, der Operation auf der Galerie zuzusehen. Ihre Tochter offen und hilflos auf dem OP-Tisch zu sehen, zu sehen, wie Ärzte alles erdenklich Mögliche versuchten, um das Leben des Teenies zu retten.
Zwischenzeitlich hatte Addison sich das Blut abgewaschen, indem sie in eines der Badezimmer für die Oberärzte duschen gegangen war. Mit zusammengebundenen, nassen, Haaren saß sie nun, neben Mark, wieder auf dem Fußboden. Seufzend legte sie erneut ihren Kopf auf ihre angewinkelten Knie. Behutsam legte Mark ihr eine Hand auf den Rücken, sein Kreislauf war von der Blutspende noch etwas durcheinander, doch wollte er Addison nicht alleine lassen, jetzt wo er die Wahrheit kannte.

"Addison?", brach er nach einiger Zeit das Schweigen. Diese sah auf und schaute ihm in seine Augen. "Ja?", fragte sie dann.
"Wie... wie ist sie so? Alianore, meine ich. Ich kenne sie doch gar nicht...", stellte er zögernd die Frage, die ihm schon durch den Kopf ging, seit er wusste, er könnte der Vater der Sechzehnjährigen sein. Auf Addison's Gesicht bildete sich ein leichtes Lächeln. "Sie ist unglaublich intelligent.", begann sie, "sehr temperamentvoll, weiß genau was sie will und sie ist sehr zielstrebig, auch in der Schule, denn sie zieht es in Betracht, ebenfalls Ärztin zu werden.", lächelte sie stolz. "Wir beide verstehen uns, meistens, blind. Sie ist wie ich, was dir schon aufgefallen sein sollte.", sie schmunzelte.
"Sie zeigt selten offen, wie sie sich fühlt, aber sie spricht mit mir darüber. Sie fasst nicht so schnell Vertrauen zu fremden Menschen und versucht anfangs, die Distanz zu wahren. Alianore hat eine unfassbar starke Persönlichkeit und ist sehr einfühlsam. Und vor allem... ", unterbrach sie kurz und schaute Mark wenige Sekunden tief in die Augen, "wenn ich in ihre Augen sehe... Mark... dann sehe ich auch in deine...", beendete sie ihre Erläuterung und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
"Man merkt, wie sehr du sie liebst, Addie.", flüsterte Mark und strich ihr sanft mit einer Hand über die Wange. Diese nickte nur und legte ihren Kopf leicht gegen seine Hand. So saßen sie noch eine ganze Weile dort, bis sich nach zwei weiteren Stunden die Türen des OP's öffneten und die behandelnden Oberärzte diesen verließen.

Addison rappelte sich auf und sah einen nach dem anderen an. "Wie geht es ihr?", fragte sie leise. Richard ergriff das Wort stellvertretend für seine Ärzte.
"Sie wird jetzt auf die Intensivstation verlegt. Wir konnten alles operativ versorgen, aber es war eine große Anstrengung für ihren Körper. Deine Tochter ist noch nicht stabil, wir haben sie ins künstliche Koma versetzt, damit sie sich erholen kann. Zum Glück gab es keine Komplikationen, aber die nächsten vierundzwanzig Stunden sind entscheidend.", mitfühlend legte er eine Hand auf die Schulter der Gynäkologin. Nun sah er zu Mark, welcher sich neben Addison gestellt hatte. "Aber ohne Ihre Blutspende, hätte sie keine Chance gehabt.", anerkennend nickte er dem plastischen Chirurgen zu. Dieser nickte und schluckte die Angst um das Leben seiner Tochter hinunter. "Können wir jetzt zu ihr...?", unterbrach Addison das Gespräch der Männer und sah Richard erwartungsvoll an. Dieser nickte. "Natürlich. Aber erschrick nicht, du weißt, was auf dich zukommen wird.", sagte er. Addison nickte nun auch und sah jedem der Ärzte, die Alianore geholfen haben, nacheinander in die Augen.
"Ich danke Ihnen allen. Ich... eigentlich fehlen mir nie die Worte aber jetzt gerade, kann ich Ihnen nur danken.", sagte sie ehrlich und wandte sich dann ab. Mark nickte seinen Kollegen, ebenfalls dankbar, zu und folgte ihr.

Als die Eltern das Zimmer ihrer Tochter betraten, sog Addison schockiert die Luft ein. Sie war Ärztin, hatte schon so viele Menschen auf der Intensivstation gesehen, aber das; ihre Tochter, eine Angehörige, nun tatsächlich so zu sehen, war dann doch komplett anders. Mehrere Schläuche führten von Alianores Körper an die lebenswichtigen Maschinen, die sie momentan unter anderem beatmeten oder ihre Herzaktivitäten aufzeichneten. Langsam hob und senkte sich ihr Brustkorb, ihre Augen waren friedlich geschlossen.
Und doch sah sie so verletzlich aus wie nie.

Addison trat an das Bett ihrer Tochter, nahm vorsichtig ihre Hand und setzte sich auf einen Stuhl, welcher neben dem Krankenbett stand. "Es wird alles wieder gut Kleines... du darfst nur nicht aufgeben. Tu alles, aber gib bloß nicht auf, okay?", flüsterte sie, und küsste sanft den Handrücken ihrer Tochter. Mark hatte sich schweigend hinter die Rothaarige gestellt und legte behutsam seine Hände auf ihre Schultern, um ihr zu signalisieren, dass er für sie da war. Für beide.

"Addie...? Ich weiß, du möchtest gerne bei ihr bleiben aber... du solltest dich ausruhen... leg dich in einem der Bereitschaftsräume etwas hin. Ich passe auf sie auf, okay?", bot er ihr leise sprechend an. Sie drehte sich leicht und sah zu ihm auf. "Ich weiß, dass du recht hast aber... ich kann sie doch nicht hier alleine lassen? Sie braucht mich doch.", Tränen traten ihr wieder in die Augen. "Sie wird nicht alleine sein, ich bleibe bei ihr, versprochen.", versicherte er ihr. Zögerlich nickte sie. "Okay. Aber nur für zwei Stunden.", ernst sah sie ihn an. Mark nickte "In Ordnung.", stimmte er leicht lächelnd zu, "Ich bring dich hin und gehe dann sofort wieder zu ihr.", versprach er und hielt ihr eine Hand hin.

Im Bereitschaftsraum angekommen folgte Mark ihr zunächst und schloss die Tür hinter ihnen. Er drehte Addison zu sich und fragte: "Alles in Ordnung?". Sie schüttelte den Kopf und kämpfte wieder gegen die Tränen an. "Ich... wir... könnten unsere Tochter verlieren Mark...", traurig sah sie ihn an. Er legte eine Hand an ihre Wange, strich mit seinem Daumen eine Träne weg, die sich gerade aus ihrem Auge gelöst hatte. "Es wird alles gut werden, Addie, ganz sicher.", versuchte er sie aufzubauen. Aber glaubte er auch selbst daran? Er wusste es nicht genau. Sie schluchzte leise auf. "Es ist alles meine Schuld.", sprach sie tränenerstickt. "Wenn... wenn ich ihr nur alles erzählt hätte, von Anfang an dann... dann wäre es nicht alles so plötzlich über sie eingeschlagen. Ich hätte sie davor beschützen müssen. Verdammt Mark, ich bin doch ihre Mutter!", rief sie verzweifelt aus. Mark hatte sie noch nie so aufgelöst gesehen. Es zerbrach ihm fast das Herz. Vorsichtig zog er sie näher an sich, legte nun beide Arme um sie und drückte die Rothaarige sanft an sich. Diese wurde von den aufkommenden Tränen und Schluchzen erschüttert und hielt sich nun weinend an ihm. Es war so lange her, dass sie sich so nah waren. Beruhigend strich er ihr über den Rücken, bis sie sich nach einer Weile wieder etwas gefangen hatte. Tief atmete sie ein, um gleich darauf seufzend auszuatmen. "Mach dir nicht so viele Vorwürfe.", flüsterte er leise an ihrem Ohr. Addison löste sich langsam aus der Umarmung und musste feststellen, dass sich nichts verändert hatte. Sie fühlte sich jetzt bei ihm genauso wohl, wie damals, als sie zusammen waren. Mark legte seine Hand unter ihr Kinn und zwang sie so, ihn anzusehen.

"Wenn sie wirklich so ist wie du...", sprach er, "...dann schafft sie das. Dann ist sie stark und kämpft, so, wie sie noch nie gekämpft hat. Dann erreicht sie das, was sie will. Und sie wird leben wollen. Denn sie weiß, dass du sie liebst, so wie sie dich liebt und...", nun sah er Addison eindringlich an. "...wenn sie wirklich so ist wie du, dann liebe ich sie auch. So, wie ich dich liebe, Addison."

Addison erwiderte seinen Blick. "Du... du liebst mich noch immer?", fragte sie flüsternd. "Ja verdammt, wie könnte ich denn nicht?", fragte er ebenfalls leise, beugte sich nun ihrem Kopf entgegen und küsste sie sanft.


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