Eins: Der Morgen danach

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Heute war Sonntag. 
Veranstaltungstag. 
Das hieß für mich stehen, lächeln, Hände schütteln und nicken. 
Den ganzen Tag lang. 
Manchmal auch flirten und tanzen, aber das lassen wir mal außen vor.

Letzte Nacht habe ich kaum ein Auge zumachen können. 
Immer hatte ich Angst, dass jemand kommt, meine Sachen verwüstet oder mich mitnimmt. 
Dementsprechend ging es mir dann auch. 
Also schleppte ich mich selbst aus dem Bett, in meine Pantoffeln nach unten zu Maria und meinen Eltern. 
Gähnend und träge tapste ich die Treppe hinunter, als ich die Augen auf den Tisch richtete und ein ganzes Buffet an Morgenleckerein anfand. 

"Buongiorno, Signora Ciana", kam es von Maria und ich nickte ihr zu. Mein Vater saß dort, wo er gestern Abend auch gesessen hatte, meine Mutter gegenüber von ihm, sodass ich mich wieder an das Ende des Tisches zwischen die Beiden setzen konnte. 
Quietschend zog ich dann den Stuhl an den Tisch. 
Papà las die Morgenzeitung, Mamma schlürfte ihren Morgenkaffee. 
Sogleich kam Maria und servierte mir ein Gals kalten, frischgepressten Organgensaft. 

"Grazie", krächzte ich heiser und nahm das wohltuende Getränk in die Hand.

"Prego", kam es mechanisch aus ihrem Munde und sie verschwand wieder im Hintergrund. 

"Papà", sagte ich nun etwas lauter, nachdem ich das Glas in einem Zug ausgetrunken hatte, "Cosa faremo oggi?"

"Heute werden wir auf die Wohltätigkeitsveranstaltung der Ricchi gehen", sagte er gelassen und blätterte die Seite um. Meine Mutter schlürfte an ihrem Heißgetränk. 
Für einen Moment war es still. 

"CHÉ?!", schrie ich lauthals und schmiss die Hände in die Luft. "Ma papá, vedi-"

"Ciana, es reicht! Wir gehen dort hin und damit basta!", schrie er und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Maria, die ihm gerade neuen Tee einschenkte, zuckte nicht mal mit der Wimper. Sie legte nur sanft den Teelöffel wieder auf die Untertasse. 

"Und... und warum?", fragte ich etwas kleinlaut und bestrich mir eine Scheibe Brot mit Butter.

"Sieh doch Ciana, wir dürfen auf gar keinen Fall jemanden etwas merken lassen, hörst du? Die Einwohner von Merridale dürfen keinen Verdacht schöpfen, nicht mal die leiseste Ahnung haben, dass der altbewährte Krieg gestern Abend wieder ausgebrochen ist. Hast du das verstanden?"
Eindringlich sah er mich an. 
Ich nickte schüchtern und fügte die Marmelade hinzu. 

Nachdem wir fertig gegessen hatten und Maria in die Küche verschwunden war, zerrte ich meine zu Blei gewordenen Füße nach oben in mein Zimmer. Einige schwere Wolken hingen neben der Sonne und ich vermutete, dass es heute regnen würde. 
Ich sah auf die Uhr. 
Halb zehn. 
In drei Stunden mussten wir losfahren, um genau passend da zu sein. 
Die Feier begann zwar um elf, aber die Marini kamen nicht am Anfang, sondern dann, wenn die Party in vollem Gange war. 
Aufgrunddessen tapste ich ins Bad, sah in den Spiegel und schrie los. 

"Ciana!", schrie meine Mutter besorgt und kam in mein Bad gestürmt. Ich kauerte in der Ecke und zeigte zitternd auf den Spiegel. 
Auf ihm wurde mit meinem liebsten roten Lippenstift etwas in Großbuchstaben geschmiert.

Abbiamo trovato lo.

"Mamma, warum machen sie so etwas? Und was haben sie gefunden?", hauchte ich weinerlich und sie zog mich nach oben. 

"Das Selbe stand auch unten über dem Kamin, bevor Maria es vor deinem Erwachen entfernte. Aber ich weiß es nicht, Süße. Ich weiß es nicht."
Nachdem ich zitternd wieder auf den Beinen stand und die Angst langsam verfliegen fühlte, nahm ich mir mein Handy, machte davon ein Foto und wischte es endlich hinfort. 
Da vibrierte das elektronische Gerät. 

ᴀᴅᴀᴍWo Geschichten leben. Entdecke jetzt