Sechzehn: Warten lohnt sich

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Nach weiteren zwei Tagen (nach Ablauf der Frist) wurde ich am späten Nachmittag gegen fünf endlich aus dem Krankenhaus entlassen.
Mann, war das anstrengend gewesen.
Anstatt dass ich alleine nach Hause ginge, stand plötzlich Call in der Tür.
Ich war froh darüber.
Er grinste mich total doof an, und trotz des Wissens, dass er mich die ganze Zeit über wahrscheinlich nicht besucht hatte, war ich trotzdem froh, ihn zu sehen.

"Hey Alter", sagte er lachend und hielt mir die Hand hin.

"Hallo du Idiot", grüßte ich zurück und schlug ein, nahm ihn dann in den Schwitzkasten und rubbelte mit meiner Hand über seine Haare.

"Aua, du Affe, das tut weh", rief er dumpf unter meinem Ärmel hervor und konnte sich nach etwas Gerangel befreien.

"Das hast du verdient, du Schwachmat", antwortete ich nur lachend und bereute es gleich danach wieder, da meine Brust anfing wehzutun.
Ich musste husten und Call klopfte mir stark auf den Rücken.

"Bruder, alles klar bei dir?", fragte er etwas besorgt und ich nickte.
Zwar pochte meine Schädeldecke wie verrückt, und ich hatte das Gefühl als ob mein Gehirn eine tickende Zeitbombe wäre, die jeden Moment explodieren könnte, aber ich versuchte es so lange wie möglich vor ihm zu verheimlichen.
Fehlte ja nur noch, dass er jetzt dachte, ich wäre todeskrank für den Rest meines Lebens.

"Na dann", sagte er und klopfte mir noch einmal aufmunternd auf den Rücken.

Nachdem wir den Papierkram erledigt hatten und hinausgegangen waren, atmete ich zum ersten Mal seit langem wieder die frische Luft des nun anstehenden Herbstes ein.
Der klare, reine Sauerstoff füllte meine Lungen mit nachmittäglicher, wohltuender Kälte und ich genoss es seit langem wieder draußen zu sein. Die Blätter, die bald schon wieder herunterfallen würden, da es schon August war, raschelten angenehm durch den Wind und bewegten sich rythmisch zueinander.
Die Tage im Krankenhaus, in diesem kleinen Zimmer, diesem ranzigen Bett, und der lange Schlaf hatten mich müde und träge gemacht.
Nun verspürte ich wieder Tatendrang und das Bedürfnis, mich zu bewegen, doch das müsste noch eine Weile warten. Denn momentan musste ich mich noch auf Krücken stützen.
Auf einmal lachte Call wieder total dämlich.

"Was denn?", fragte ich zurecht verwirrt und sah ihn verständnislos an.

"Nichts", log er, bevor er wieder losprusten musste, "Aber du siehst einfach zu lustig aus mit diesen Dingern."
Ich lachte spaßeshalber mit und plante schon eine gewiefte Antwort, aber bis mir eine einfiel, ging mir die Puste aus.

"Was denn? Hat es dir etwa die Sprache verschlagen?", war die nächste dämliche Frage, die aus seinem Mund kam.

"Jaja, dir verschlägt es auch gleich die Sprache, wenn ich dir mit meinen Krücken eine reinhaue und du gleich da hinten einchecken kannst", antwortete ich gekonnt und war ein klein wenig stolz auf mich, ihm verbal so eine geschmiert zu haben.
So war das eben unter besten Freunden, jeder gegen jeden und am Ende doch einer für alle.

"Wenn du wieder so dummes Zeug brabbeln kannst, kann es dir ja gar nicht so schlecht gehen", versuchte er von meiner Antwort abzulenken doch ich kannte seine Spiele schon und lachte nur auf.

"Willst du mich jetzt endlich nach Hause fahren oder doch lieber hier Wurzeln schlagen?", fragte ich diesmal und wies mit meiner rechten Krücke auf sein kaputtes, rostiges, altes Auto von seinem Dad, das gefühlt den Zweiten Weltkrieg überlebt hatte.
Grummelnd kramte er die Autoschlüssel aus seiner linken Hosentasche, und sperrte diesen Dinosaurier nun endlich auf, damit ich nach Hause kam.

Wieder festen Boden unter den Füßen, und nicht mehr mit Call in einer Blechbüchse gefangen, sah ich mich um und konnte meinen Vater aber nirgendwo entdecken. Er musste anscheinend wieder arbeiten sein, oder doch in einer Bar herumhängen, die er letzte Nacht nicht verlassen hatte.
Ich zuckte nur mit den Schultern.
Sollte mir doch recht sein.
Dann hatte ich wenigstens Zeit, mich fertig zu machen, zu duschen, und mich wieder zu einem Menschen zu machen, ohne, dass er dazwischen funkte.
Ich wollte ja schließlich gut aussehen, nicht?
Da es das erste Mal seit Langem war, dass Ciana mich nicht schwach, zerbrechlich, oder einfach nur richtig bescheuert da liegen sah, war es mir wichtig, so gut wie möglich aussehen, um sie zu beeindrucken und nebenbei vielleicht auch etwas zu verführen.
Nicht verführen in dem Sinne, sie ins Bett zu kriegen (der Teil kam wahrscheinlich erst später) aber vielleicht dazu zu bringen, dass sie mit mir ausging.

ᴀᴅᴀᴍWo Geschichten leben. Entdecke jetzt