Zwanzig: "Ich komm dich holen"

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Ich musste verschwinden, aber sie durften keinen Verdacht schöpfen.
Mein Körper bewegte sich von alleine, ich achtete darauf, dass meine Schlüssel nicht klapperten.
Als ich an der Türe war, tat ich so, als ob sie lautstark aufginge und sie knallte gegen die Wand.

"Ich bin zu Hause!", schrie ich wie sonst auch durch das gesamte Haus und schmiss demonstrativ die Tür hinter mir zu.
Die Beiden waren still und ich hörte auf einmal Gekicher aus dem Zimmer.

"Hallo?", rief meine Stimme, die sich irgendwie falsch anhörte.

"Schätzchen, hier drinnen!", antwortete mir meine Mutter und ich machte mich mit klappernden Schritten auf den Weg in die Richtung der Tür.

"Ciao topolina", sagte mein Vater, der meine Mutter an der Hüfte hielt und sie am Hals küsste. Ich fühlte mich als ob ich im falschen Film wäre. Aber ich durfte sie nichts merken lassen, nun musste ich noch besser schauspielern als sie.

"Schön, euch auch mal wieder zu Hause zu sehen", antwortete ich seufzend und legte meine Tasche ab. Mann, war das kalt geworden. Papà räusperte sich kurz.

"Ciana, da ist noch etwas, das wir mit dir besprechen möchten, oder besser, besprechen müssen." Mir stellten sich die Nackenhaare auf und ich zog die Schuhe aus.

"Ist gut, aber erst ziehe ich mich um und muss unbedingt etwas essen. Ich habe so einen Hunger!", teilte ich den beiden lachend mit und meine Mom nickte bloß. Sie konnten ja nicht wissen, dass ich schon bei Adam gegessen hatte. Langsam tapste ich also nach oben, so, als würde alles normal sein, doch sobald ich in meinem Zimmer und die Tür geschlossen war, schnappte ich mir eine große Sporttasche und stopfte wahllos Sachen hinein. Was nahm man denn mit, wenn man abhaute? Ich hatte keine Ahnung, aber ich rannte schneller in meinem Zimmer herum, als das erste Mal, als ich mit Adam ausgegangen war. In der Tasche lagen nun mein Laptop, ein Pulli, Ladekabel, Zahnbürste und Duschgel, Shampoo, Unter- sowie Hosen, Socken, Shirts, warme Schuhe für den Winter, Stifte und Block, mein Notennotizbuch und daneben meine Gitarre. Im Notfall musste ich zurückkommen und den Rest holen. Aber mir fiel nichts mehr außer Geld ein, was ich noch mitnehmen könnte. Mein Lieblingsbuch vielleicht noch. Passte das hinein? Nein. Aber draufsetzen machte es dann doch irgendwie passend. Schwer war die Tasche allemal. Das Einzige, was ich nun tun musste, war, das Ganze geschickt anzustellen. Vielleicht könnte Adam mir helfen? Liv kam nicht in Frage, ich wollte sie nicht auch noch da mit reinziehen, sie sollte sich keine Sorgen machen. Also kramte ich mit zitternder Hand mein Handy aus der Handtasche und wählte hektisch seine Telefonnummer. Langsam und drohend holte mich die Realität ein. Mein Atem ging schneller, ich hatte das Gefühl, ich würde gleich kollabieren.
Ich war gerade dabei, abzuhauen.
Ich war dabei, mein ganzes Leben hinter mir zu lassen und es einem Jungen anzuvertrauen, den ich gehasst habe.
Aber warum eigentlich?
Innerhalb weniger Stunden und Tage mit ihm war er mir ans Herz gewachsen, obwohl ich ihn davor nicht hatte ausstehen können.
Weshalb ist das so schnell gegangen?
Er ging noch nicht ran.
Nochmal versuchen.
Warum?
Weil es uns beiden so vorgelebt worden war?
Dass wir uns hassten mussten?
Aber... warum hatten meine Eltern wirklich verlangt, dass ich Adam manipulieren sollte?
Hier ging es um mehr als nur die Stadt.
Oder?

"Geh doch bitte an dein Handy", flehte ich leise und Tränen verwandelten meine Wangen in die Niagarafälle.
Es klingelte immer noch.
Und dann die Erleichterung, als ich seine Stimme hörte.

"Hey Süß-", fing er an, doch ich musste ihn unterbrechen, ich hielt es nicht aus. Alles was ich nun wollte, war, dass er kam und mich hier rausholte, wegholte.

"Adam, du musst sofort kommen und mich holen", hörte ich mich selbst sagen, ich schluchzte jämmerlich irgendwas vor mich hin, "Bitte, ich brauche Hilfe, schnell."

ᴀᴅᴀᴍWo Geschichten leben. Entdecke jetzt