Fünfzehn: "Baby, meine Schusswunde"

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Am nächsten Tag, meinem freien Montag, hatte ich mir vorgenommen, mein Leben unter Kontrolle zu kriegen. 
In der letzten Woche war einiges schiefgelaufen und ich hatte es kaum bemerkt. 
Doch nun, in dem Wissen, dass Adam wach war und mich nicht im Stich ließ, dass ich irgendwann vielleicht seine Lippen anstatt seiner Stirn küssen dürfte und dass wir zusammen zum Beispiel auf das bevorstehende Volksfest in Merridale gehen würden, waren viele Fragen in meinem Kopf aufgetaucht. 
Was trieben meine Eltern?
Wie ging es Liv?
Und - natürlich - wann ich Adam wiedersehen konnte. 

Morgens stand ich deshalb früh auf, auch wenn ich den Tag frei hatte, meine Eltern mussten beide arbeiten. 
Hätte ich ausgeschlafen, verpasste ich sie vielleicht. 
Ich trabte also die große Treppe hinunter und erblickte, nachdem ich mir die Augen gerieben hatte, meine Mutter am Tisch, doch mein Vater schien zu fehlen. 

"Guten Morgen, Spätzchen", begrüßte mich meine Mutter, als sie gerade ihre Kaffeetasse gehoben hatte. 

"Morgen Ma." Ich setzte mich neben sie und schenkte mir selbst etwas von dem koffeinhaltigen Wachmacher ein. 
Die warme Flüssigkeit rann meine Kehle hinunter und breitete eine Wärme in mir aus, was ich gut fand, da meine Fingerspitzen aufgrund der Aufregung kalt geworden waren. 
Meine Finger taten das oft und ich wusste nicht weshalb. 

"Du, Mama, kann ich dich was fragen?", platzte ich nach einigen Sekunden der Stille heraus und stellte zitternd meine Tasse ab. 
Sie nickte bloß, während sie in ihrer Tasche herumkramte. 

"Wieso seid ihr beiden, also du und Paps, so oft weg in letzter Zeit? Ihr wart in der letzten Woche kaum zu Hause." Sie sah von ihren Händen, die immer noch in der Tasche waren, auf, doch ihr Blick ging ins Leere. 
Sie sah mich nicht an. 
Dann blinzelte sie und lächelte sanft. 

"Ich will dich nicht mit Informationen langweilen."

"Doch", widersprach ich auf einmal trotzig, "Ich will es wissen."
Sie seufzte. 

"Na schön", willigte sie dann doch ein, "In den letzten Tagen haben viele Events stattgefunden und wir beide mussten manchmal auf vielen verschiedenen Feiern beinahe gleichzeitig sein. Das bringt uns gutes Geld, verstehst du?"

"Es bringt euch gutes Geld wenn ihr auf Veranstaltungen herumsteht, große Reden schwingt und Champagner trinkt?", fragte ich ungläubig und sah sie dementsprechend an. 
Sie sagte nichts dazu. 
In diesem Moment bemerkte ich, dass sie mir etwas verheimlichten. 
Und dass ich gar nicht wusste, was meine Eltern eigentlich arbeiteten. 
Alles, was ich wusste, war, dass sie viel Geld verdienten und wir uns so das riesige Haus, die vielen Autos und die teuren Klamotten leisten konnten. 
Ich zog etwas feindselig die Augenbrauen zusammen und musterte meine Mutter. Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben. 
Meine Augen verengten sich zu Schlitzen.

"Mom", begann ich gefährlich leise und langsam, "Was genau arbeitest du eigentlich?"
Sie schluckte schwer und versuchte es mit einem Lachen zu überspielen. 

"Ach, Ciana, das weißt du doch", wich sie aus und stand etwas zu schnell auf. Ich tat es ihr gleich und folgte ihr. 

"Nein, bitte kläre mich auf." Hektisch sah sie auf die Uhr über dem Kaminsims und eilte rasch Richtung Tür. 

"Ich habe leider keine Zeit mehr, wir sehen uns später!", rief sie, schon aus der Tür und ich verschränkte misstrauisch die Arme. 
Da stimmte doch etwas nicht. 
Just in dem Moment, in dem ich mit dem Gedanken spielte, ihr hinterher zu spionieren, klingelte mein Telefon.

"Hallo?", fragte ich ruhig, nachdem ich tief durchgeatmet hatte. 

"Guten Tag, hier spricht Mrs. Starell, ich bin vom Santa Maria Krankenhaus in Merridale. Spreche ich mit Miss Ciana Marino?", erklang eine freundliche Stimme an der anderen Leitung und ich musste unweigerlich lächeln. 
Zwei Tage noch. 

ᴀᴅᴀᴍWo Geschichten leben. Entdecke jetzt