Kapitel 4

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„So, wer möchte etwas trinken?" Grandma klatschte in die Hände und drehte sich zu uns um. Sie sah zu Liam und dann zu mir. Ich stand noch immer vor der Tür. „Natalie, setz dich." Sie deutete auf die Sitzecke. Ich nickte mechanisch und ließ mich auf einem Stuhl am Ende des Tisches nieder. Liam saß zu meiner Rechten. Nachdem Grandma uns alle mit kaltem Pfefferminztee versorgt hatte, setzte sich Liam gegenüber zu meiner Linken an den Tisch.

Stille trat ein und ich sah in meine Teetasse. Ich hielt sie mit beiden Händen umfasst und wusste nicht so recht, was ich sagen sollte. Grandma machte keine Anstalten irgendetwas zu sagen und schien darauf zu warten, dass Liam oder ich das tun würden.

Die Stille erinnerte mich an früher, wenn alle Kinder im Waisenhaus still sein mussten, bis jeder sich sein Essen geholt hatte. Dann wurde zusammen gebetet und danach schweigend gegessen. Kein Flüstern, kein Kichern. Nichts davon war erlaubt. Tat man es doch, waren die Schwestern sofort da und tadelten einen. Wenn sie einen nicht sogar bestraften. Aber Schweigen war nicht nur beim Essen die oberste Regel. Im Grunde war Schweigen die Hauptregel im ganzen Waisenhaus gewesen – immer und überall. Reden sollte man nur dann, wenn man mit Gott sprechen wollte. Aber ich hatte diesem Gott nie etwas zu sagen gehabt, also sprach ich auch dann nicht. Viele Tage in dem Waisenhaus waren sehr dunkle Tage, aber ich hatte stets den Wunsch gehabt, mehr aus meinem Leben zu machen. Und mit viel Arbeit habe ich das sogar geschafft. Jetzt studiere ich und werde in ein paar Jahren Krankenschwester sein. Ich glaube, ich konnte stolz auch mich sein.

„Ich soll dich von Delilah grüßen", durchbrach Liam plötzlich die Stille und holte mich somit wieder aus meinen Gedanken. Er nahm einen großen Schluck aus seiner Tasse und sah Grandma lächelnd an. Sofort wurde ich stutzig. Das Lächeln erreichte seine Augen nicht.

Grandma sah Liam zweifelnd an. Nickte aber. „Dankeschön. Lieb von ihr." Wirklich überzeugt klang sie auch nicht. Dann hatte ich mit meiner Vermutung also richtiggelegen. Ich hatte ein Talent, Probleme und Sorgen anderer zu spüren und mein Radar war eben sofort angegangen, als Liam den Namen Delilah ausgesprochen hatte. Ich wurde neugierig. Bevor ich weiter nachdachte, fragte ich: „Wer ist Delilah?"

Grandma und Liam sahen mich etwas irritiert an. Dann plötzlich schien beiden aufzufallen, dass ich keine Ahnung hatte, wer Liam eigentlich war, woher sich die beiden kannten und wer diese Delilah war. Nun, mit der Antwort hatte ich dann doch nicht gerechnet. Aber das Leben passiert nun einmal.

Liam fixierte mich regelrecht, als er mir antwortete: „Delilah ist meine Verlobte."

Ich nickte, als ob ich wirklich verstehen würde, was Liam da gerade zu mir gesagt hatte. In Wirklichkeit dauerte es noch eine ganze Weile, bis mir die Bedeutung seiner Worte wirklich bewusstwurde. In dem Moment, in dem es regelrecht 'Klick' machte, riss ich die Augen auf und starrte Liam fassungslos an. „Du bist verlobt?"

Liam hob eine Augenbraue. „Ja, warum bist du so überrascht? Findest du es so unwahrscheinlich, dass ich verlobt sein könnte?" Meine Reaktion war unhöflich gewesen. Ich schämte mich sofort dafür und wollte am liebsten sofort wieder zurückrudern. „Tut mir leid, ich bin nur so überrascht, weil ..." Ich überlegte, wie ich aus der Sache wieder herauskommen konnte. „Na ja, weil du doch bestimmt nicht viel älter als ich sein kannst. Das ist eine ziemlich zeitige Verlobung", tat ich meine Gedanken so gewählt wie möglich kund. Liam legte den Kopf schräg und sah mich an. „Mag sein, dass es früh ist, aber wenn ich glücklich mit ihr bin und wenn ich mir eine Zukunft mit ihr wünsche, dann kann ich mich doch wohl auch schon jetzt verloben, oder etwa nicht?" Ich senke den Blick bei Liams Worten, die zwar recht nüchtern gesprochen waren, aber doch irgendwie zeigten, dass ich Liam verletzt hatte. Es war seine Art, wie er sie versucht hatte, nicht zu betonen.

Solange ich bei dir binWo Geschichten leben. Entdecke jetzt