Epilog

3.1K 221 33
                                    

Liebe Grandma,

der Tag, an dem ich deinen Brief in einem Briefkasten fand, ist nun schon über acht Jahre her. In meinen ersten Monaten in San Francisco ging es auf und ab und doch warst du stets für mich da. Ich weiß, ich habe dir so oft gesagt, wie dankbar ich dir bin, dass du mich gesucht und gefunden hast, doch ich kann es nicht oft genug sagen. Ohne dich wäre mein Leben niemals so wundervoll geworden, wie es heute ist. Ich habe einen atemberaubenden Ehemann, der mir jeden Wunsch von den Augen abliest, fantastische Schwiegereltern, die mich behandeln, als wäre ich ihre eigene Tochter und wunderbare Freunde.

In Schottland hätte ich niemals mein Glück gefunden, wie ich es hier gefunden habe. Und das alles nur durch deinen liebevollen Brief an eine Enkelin, die du nicht einmal kanntest. Du hast mir gezeigt, dass eine Familie schlussendlich doch zueinander hält und meine Freunde haben mir gezeigt, dass Familie nicht immer ausschließlich auf Blutsverwandtschaft beruht. Familie ist der Ort, an dem man sich geborgen, sicher und geliebt fühlt.

Ist dein Brief nun schon über acht Jahre her, so ist mein Abschied von dir noch immer sehr frisch. Vier Monate sind für mich keine lange Zeit, wenn es darum geht, den Verlust eines so wunderbaren Menschen, wie du es warst, zu betrauern. Ich habe dir so vieles zu verdanken. Unter anderem die Fähigkeit zu stricken. Im Übrigen kann ich dir stolz verkünden, gestern meine erste richtige Jacke fertig gestrickt zu haben. Gut, sie ist winzig, aber doch genau so, wie sie sein wollte.

Grandma, ich vermisse dich. Dich und deine Limonade, deinen Kuchen und deine scharfe Zunge. Wie soll ich denn Contenance bewahren, wenn du mich nicht stets daran erinnerst? Gleichzeitig trauere ich für meine kleine Tochter, die nicht das Glück haben wird, dich jemals kennenzulernen. Du hättest einen Narren an ihr gefressen. Und... so wie du von Mom erzählt hast, hätte auch sie unseren kleinen Engel sofort ins Herz geschlossen. Ich konnte dir nie ihren Namen verraten. Wir wollten es doch euch allen zusammen sagen. Das haben wir. Nur hast du in unserer Runde gefehlt. Liam und ich vermissen dich. Und wir hoffen, dass du und Mom und Grandpa dort oben zusammen richtig für Stimmung sorgt. In Gedenken an dich und Mom haben wir ihr den Namen Ellen gegeben. Ich weiß, dass es dich zu Tränen gerührt hätte, wenn du den Namen erfahren hättest. Denn auch wenn ich Mom nie kennengelernt habe, hast du mir über die Jahre immer mehr zu verstehen gegeben, dass sie trotz ihrer Fehler ein guter Mensch war.

Cara und Andrew sind in Tränen ausgebrochen, als sie Ellen das erste Mal gesehen haben. Und weißt du auch warum? Ellen sieht genauso aus wie Liam als Baby. Die Ähnlichkeit ist verblüffend und ich freue mich, dass sie ihrem Vater so ähnlichsieht. Auch wenn Liam hofft, dass sie noch meine Haarfarbe bekommt. Und ob du es glaubst oder nicht, selbst Mike musste sich die eine oder andere Träne aus dem Augenwinkel wischen, als Liam ihn darum bat, Ellens Patenonkel zu werden.

Die Geburt unseres Kindes hat unser Leben perfekt gemacht. Auch wenn die Zeit rennt und Ellen schon zwei Monate alt ist, obwohl es mir vorkommt, als hätte ich gestern erst im Kreissaal gelegen.

Wir haben sogar von Delilah eine Glückwunschkarte aus Texas bekommen. Ich kann noch immer nicht vergessen, wie sie damals zusammengebrochen ist, als Liam und ich ihr die komplette Wahrheit erzählt hatten. Wir drei sind die einzigen, die wissen, was sich wirklich zugetragen hat und glaub mir Grandma, Delilah und ich wären nie gute Freunde geworden, doch sie war ein Mädchen, dass gedacht hat, gebrochen zu sein. Es hat seine Zeit gedauert, ihr diesen Unsinn auszureden. Aber es hat funktioniert. Immerhin führt sie jetzt ein ruhiges Leben in Texas. Die Zeit in der Klinik hat ihr wirklich geholfen und mein Hass, den ich für sie anfangs immer noch verspürt habe, ist über die Jahre verklungen.

Grandma, es ist seltsam dir einen Brief zu schreiben, obwohl ich weiß, dass du ihn nie lesen wirst. Vor allem, wenn ich über Dinge schreibe, über die wir beide die letzten Monate noch hätten reden können. Ich hätte aber nicht wissen können, dass unsere gemeinsame Zeit so schnell zu Ende geht.

Doch weißt du, ich finde es noch seltsamer mit einem Grabstein zu sprechen. Vielleicht erreichen dich meine Worte ja doch irgendwie und wenn ja, dann hoffe ich, dass du ebenso wie ich Glück verspürst, wenn du auf das Bild schaust, das ich dir beigelegt habe. Es ist einen Tag nach Ellens Geburt aufgenommen worden. Patrick hat sich beschwert, dass er kein Gruppenbild von uns allen hat und so hat Adam kurzerhand eines im Krankenhaus gemacht. Ich glaube, das war Adams erstes Selfie.

Ich hoffe, es geht dir gut, dort wo du jetzt bist. Ich weiß, wir werden uns wiedersehen. Dein Geschimpfe, dass das noch eine sehr lange Zeit warten kann, höre ich schon fast. Ich vermisse deine Stimme und deine Umarmungen. Und deine Limonade.

Mach's gut Grandma.

In Liebe

Natalie

Traurig und glücklich legte ich den Füller beiseite und sah einen Augenblick auf den Brief herunter. Ich seufzte und faltete das weiße Papier, um es in den Briefumschlag zu stecken. Bevor ich das Foto dazu legte, sah ich es mir auch noch einmal an und musste augenblicklich schmunzeln. Ich betrachtete Liam und mich auf dem Krankenbett, wie wir unsere Arme schützend um Ellen gelegt hatten. Rechts neben uns saßen Adams Schwester Doreen und ihr Sohn Nick, die beide in die Kamera lächelten. Patrick, der sich auf das Geländer am Fußende des Bettes stützte, sah verschmitzt in die Kamera. Doch ich kann mich noch genau erinnern, wie eine ein paar Sekunden vorher Doreen beobachtet hat.

Hinter uns stand Hugh zusammen Arm in Arm mit seiner Frau Liv. Es war manchmal noch immer seltsam Hugh lächeln zu sehen, doch er hatte ein schönes Lächeln. Liv war wirklich die perfekte Frau für ihn. Denn sonst hatte es keine geschafft Hughs Mauern über die letzten Jahre einzureißen. Mike stand neben den beiden, die Arme vor der Brust verschränkt und mit einem coolen Lächeln auf den Lippen. Ich hatte das Gefühl, dass er sich seit damals fast gar nicht verändert hatte. Doch ich wusste nicht, ob das nun gut oder schlecht war.

Adam der ganz vorne war, und etwas ungelenk versuchte in die Kamera zu lächeln und dabei ein Selfie zu machen, wurde von seiner Freundin April seitlich umarmt. Die Arme hatte sich strecken auf die Zehenspitzen stellen müssen, damit sie groß genug war, um mit auf das Bild zu kommen.

Lachend schüttelte ich den Kopf und steckte das Bild in den Briefumschlag. Ich hatte solch ein Glück, Freunde wie diese zu haben – eine Familie wie diese. Denn das waren wir. Eine Familie, die aufeinander zählen konnte.

Ich schloss den Briefumschlag und legte ihn auf meinen Schreibtisch. Im selben Moment umfing mich die vertraute und wohlige Wärme von Liam, als er seine Arme von hinten um mich legte. Ich ließ den Kopf zurückfallen und sah zu ihm auf. Seine Augen funkelten mich liebevoll durch seine Brille hinweg an und ich erwiderte den Blick mit mindestens genauso viel Liebe.

„Lass uns ins Bett gehen. Ellen schläft tief und fest."

Ich nickte und stand auf. Liam drehte mich, bevor ich losgehen konnte jedoch zu sich und gab mir einen Kuss. Augenblicklich schmolz ich dahin, doch viel zu schnell löste Liam sich wieder von mir. Dann nahm er mich wie früher an die Hand und wir gingen ins Schlafzimmer. Liam drehte sich zur Tür und sah mich dabei fragend an.

„Abschließen oder auflassen?"

Jede Nacht fragte Liam mich aufs Neue, ob wir die Tür abschließen sollten oder nicht, obwohl ich schon seit Jahren mit unverschlossener Tür schlafen konnte. Lediglich die Angst vor der Dunkelheit wurde ich nicht richtig los. Es brannte immer ein kleines Nachtlicht in einer Ecke des Schlafzimmers. Doch Liam störte das nicht. Es würde ihn auch nichts ausmachen, die Tür zu verließen. Doch das war nicht mehr nötig.

„Offen lassen." Wie jeden Abend lächelte Liam stolz und zog mich dann zum Bett. Er nahm mir meine Brille ab und legte sie auf den Nachttisch. Seine packte er daneben.

„Mrs. Mason Sie wissen wie stolz ich auf sie bin."

Ich lachte. Liam liebte es mich Mrs. Mason zu nennen. Fast so sehr wahrscheinlich wie Nat.

„Für Sie, würde ich doch alles tun, Mr. Mason."

Er lachte und umfing mich dann wieder mit seinen Armen ehe er sich mit mir auf das Bett fallen ließ. Mein Leben war perfekt. Mehr würde ich mir nie wünschen. Denn ich hatte Liam und Ellen.

Meine Familie.

Solange ich bei dir binWo Geschichten leben. Entdecke jetzt