Ich schaute zur Straße und sah Liam, der, als er mich erkannte, stehen blieb und mich überrascht ansah. Sein Blick glitt meinen Körper hinab, ging wieder hoch und landete schließlich auf der Sprühdose in meiner Hand. Dann sah er zur Seite und betrachtete das Geländer.
Als er den Blick erneut hob, sah ich Unglauben in seinen Augen. „Hast du das gemacht?" Ich nickte und grinste, da ich ziemlich stolz auf meine Arbeit war. „Hab ich."
„Wow, das sieht echt gut aus." Liam trat näher und begutachtete das Geländer. Er lehnte sich vorsichtig dagegen. Dann versuchte er es mit noch etwas mehr Kraft. Das Geländer hielt. Ich hatte meine Arbeit also gut getan.
Liam drehte sich wieder zu mir. „Wieso machst du sowas?" Ich zuckte mit den Achseln. „Ich schätze, weil ich es kann und es mir Spaß macht." Liam legte den Kopf schräg. „Was macht dir Spaß? Geländer zu reparieren oder anderen damit zu helfen?" Mein stolzes Grinsen fiel in sich zusammen. Wie konnte er nur so aufmerksam sein? Ich hatte Liam nicht so eingeschätzt, dass er die wahren Absichten hinter meiner Tat sehen könnte. „Beides", antwortete ich ehrlich und doch etwas überrumpelt. „Wie bist du darauf gekommen?", fragte ich gleich neugierig nach.
„Ich lese zwischen den Zeilen." Jetzt war ich es, die den Kopf schräg legte. „Eine deiner Angewohnheiten oder woher kommt das?"
Liam lachte. „Beides." Ich grinste wieder. Nicht schlecht, er wusste, wie man antworten musste, um meine Neugierde noch weiter anzufachen. Und ich spielte das Spiel mit. „Was studierst du?"
„Technisches und professionelles Schreiben." Erstaunt sah ich Liam an. „Das ist ein richtiger Studiengang?"
„Was studierst du denn?" Liam wirkte leicht verärgert. Wahrscheinlich war ich nicht die erste, die so einen Kommentar zu seinem Studium abgab. Ich fühlte mich gleich wieder schlecht. „Krankenpflege." Normalerweise antwortete ich voller Stolz, wenn ich gefragt wurde, was ich studiere. Aber ich hatte Liam mit meiner Frage vor den Kopf gestoßen. Das nahm mir in gewisser Weise den Stolz wieder.
Liam sah mich eine Weile schweigend an, ehe er lächelte. „Das passt zu dir." Mein Herz setzte kurz aus. Ich kann es nicht beschreiben, aber es bedeutete mir viel, dass Liam das so sah. Gepaart mit seinem zärtlichen Lächeln, war dieses Kompliment einmalig.
„Danke", war alles, was mir in den Sinn kam. Stille trat zwischen uns ein, bis Liam sich wieder zu dem Geländer drehte. „Du wolltest es noch ansprühen?" Ich nickte, auch wenn Liam es nicht sah, da er mit dem Rücken zu mir stand. „Ja, wollte eben beginnen. Willst du das machen?" Liam drehte sich überrascht um. „Ich?"
„Wenn du nicht willst, ist das okay. Ist ja meine Idee gewesen, dass Geländer wieder auf Vordermann zu bringen", ruderte ich sofort zurück, da ich nicht zu aufdringlich werden wollte. Doch Liam fing an zu grinsen. „Wenn ich ehrlich bin, hätte ich da schon Lust zu." Ich kicherte. „Bitteschön." Ich reichte Liam die Spraydose.
Dieses Gefühl, als sich unsere Hände berührten – das erste Mal berührten – kann ich nicht beschreiben. Es war wie ein Kribbeln und auf seine ganz eigene Art angenehm und einnehmend. Ich glaube, ich hielt die Spraydose noch zu lange fest, ehe ich aus meiner Starre erwachte und meine Hand zurückzog. Ich schaute auf den Boden, da ich Liam nicht in die Augen sehen wollte, aber ich spürte seinen Blick auf mir. Irgendwann drehte er sich letztlich doch um und nahm den Deckel von der Dose ab.
„Oh warte, ich habe noch einen Mundschutz, wenn du den willst. Ich hab den natürlich noch nicht benutzt."
Liam winkte ab. „Schon okay, ich will mir den Lack ja nicht ins Gesicht sprühen." Zweifelnd hob ich eine Augenbraue. „Na, wenn du meinst."
Ich stelle mich ein bisschen weiter abseits hin und sah Liam dabei zu, wie er die schwarze Lackfarbe auf das Geländer und die neuen Halterungsstäbe sprühte. Irgendwann musste es jedoch so kommen und eine Windböe wehte den Lack genau in Liams Richtung. Erschrocken ließ Liam die Spraydose fallen und taumelte ein paar Schritte zurück. Er fing schon an zu husten, bevor ich bei ihm ankam. Ich drehte Liam zu mir und sah die schwarzen Punkte auf seinem weißen T-Shirt, seiner Jeans und vereinzelt auch in seinem Gesicht. „Liam!"
DU LIEST GERADE
Solange ich bei dir bin
Romance„Liam, du kannst nicht darauf warten, dass das Leben einfacher, leichter und schöner wird. Das Leben wird immer kompliziert sein." Liam sah mich traurig an. Er wirkte erschöpft und geschlagen. „Und was soll ich deiner Meinung nach tun?" Leise und mi...