Kapitel 1

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Ich hatte nie gezählt, wie viele Schritte ich von Gemächern im dritten Stock bis zur Tür brauchte, die zu den Stallungen hinausführte. Obwohl ich dieses Versäumnis auch heute nicht nachholte, hätte ich geschworen, die Anzahl habe sich verdoppelt. Die Korridore und Treppen wollten einfach nicht enden. Unendlich lange Teppichbahnen in Königsblau unter meinen Füßen.

Je länger der Weg dauerte, umso mehr begann mein Herz zu rasen. Nicht, weil ich so schnell ging wie ich nur konnte, sondern die Anzahl der Leute zunahm, die an mir vorbeikamen. Diener in blauen Livreen. Hausmädchen in dunklen Kleidern, damit man den Schmutz nicht so schnell sah. Hastende Wachmänner, die ihren Posten rechtzeitig zu Dienstbeginn erreichen wollten. Keiner von ihnen sah mich an, doch das Gefühl unzähliger strafender Blicke, die sich in meinen Rücken bohrten, wurde ich trotzdem nicht los.

Was, wenn einer von ihnen mich erkannte?

Ich betete, dass die Antwort auf diese Frage auf sich warten ließ, bis ich das Stadttor passiert hatte und mich auf offener Straße befand. Meine Chancen dafür standen gut, denn der ganze Palast war in hellem Aufruhr. Alles wurde geputzt, poliert, zum Strahlen gebracht. Jeder Flur bestand nur noch aus edlen Wandteppichen, goldenen Kandelabern, und Blumengestecken, die um die Aufmerksamkeit dessen buhlten, der es wagte, sich durch den Palast zu begeben. Ein Mädchen, schlicht gewandet mit dem dunkelbraunen Wollumhang seiner Kammerzofe um den Schultern, ging in all dem Trubel unter.

»Hast du das Kleid gesehen, das die Königin für Prinzessin Arianna ausgesucht hat?«

Beim Klang meines Namens unmittelbar hinter mir zuckte ich zusammen.

»Leider nicht«, seufzte eine andere Frau. »Hast du ein Glück, dass du bei ihr arbeiten durftest. So ein Kleid von Nahem zu sehen... Das vergisst man nicht so schnell. Und die Königin selbst erst!«

»Die Böden geschrubbt bis zum Umfallen habe ich. Und die edle Herrin war selbst gar nicht zugegen, aber ein Bote hat's mir geflüstert.«

»Ich bin so neidisch!«

»Wenn man mir nochmal sagt, ich solle die Gemächer putzen, werde ich einfach dich hinschicken, versprochen.«

»Oh danke! Wie hat das Kleid eigentlich ausgesehen?«

Von da an hörte ich nicht mehr zu, beschleunigte meine Schritte und wählte glücklicherweise eine Treppe, auf die die beiden Hausmädchen mir nicht folgten. Ich konnte es nicht fassen, dass eine Bedienstete ein angeblich für mich bestimmtes Kleid gesehen hatte, bevor ich überhaupt davon erfahren hatte, dass es existierte. Meine Mutter untersagte mir nicht nur, an den Planungen für die Hochzeit meines Bruders teilzuhaben, nein, sie berichtete mir nicht einmal, wie sie mich für die Feierlichkeiten anziehen wollte. Es sollte mich eigentlich nicht mehr überraschen...

Mittlerweile befand ich mich im Erdgeschoss, musste nur noch einen Flur entlanghuschen und in die Küche gehen, um mir dort Proviant einzupacken. Es wäre zu auffällig gewesen, um unverarbeitete Nahrungsmittel zu bitten, die nicht allzu verderblich waren, weswegen ich es riskieren wollte, diese direkt aus der Quelle zu stibitzen.

Vor der Küchentür jedoch, wurde ich aufgehalten. Kisten stapelten sich im Türrahmen und wurden erst nach und nach von ein paar Burschen fortgetragen. Die Arme vor der Brust verschränkt, stellte ich mich daneben und wartete auf Einlass. Die drei jungen Kerle hatten es nicht sonderlich eilig, sondern hielten es für angenehmer ein Pläuschchen zu halten.

»Manchmal wünschte ich, ich wäre wie der Prinz«, meinte der größte von ihnen und hievte eine der Kisten hoch. »Nur ein paar Dornen häckseln und schon lägen mir alle Frauen zu Füßen.«

Von einer Prinzessin, die auszog, um Heldin zu werdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt