Kapitel 9

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Als wir in Rens Haus traten, war es von köstlichem Essensgeruch erfüllt. Myrdin hatte in der Zeit unserer Abwesenheit einen Eintopf gekocht, über den Tilly und ich herfielen, bevor ich mich für unseren Besuch beim Silberschmied herrichten wollte.

»Du bist ein fantastischer Koch, Myrdin«, versicherte ich dem Greis, als ich meine Schale geleert hatte und Tilly sich sogar noch eine zweite nachnahm.

Der Angesprochene saß mürrisch auf seinem Platz und nahm mein Lob lediglich mit einem Nicken zur Kenntnis, doch ich wähnte ein unterdrücktes Lächeln. Ich vermutete, dass ich mich mit dem alten Mann eher anfreunden würde als mit Vic.

Während Tilly Myrdin half, die Küche sauber zu machen, ging ich nach oben und machte mich für den Besuch im obersten Bezirk Silberburgs fertig. Heute Morgen hatte ich nur einen einfachen Zopf getragen, jetzt hingegen flocht ich einige dünnere Strähnen und steckte sie mit meinem restlichen Haar im Nacken fest. Es war weder eine aufwändige noch edle Frisur, doch das Beste, was ich ohne die helfende Hand einer Zofe zustande brachte. Ein Blick in den silberumrahmten Spiegel, den ich im Badezimmer vorgefunden hatte, verriet mir allerdings, dass ich mich in den kommenden Tagen um Kosmetika würde bemühen müssen. Zwar wurde meine Haut seit etwa einem Jahr von schlimmeren Unreinheiten verschont, doch Rouge, Kohlestift und Puder schufen immer eine Maske, hinter der man sich angenehm verstecken konnte. Obwohl mein frisch erworbenes Kleid wie eine zweite Haut saß und ich wusste, wie ich mich zu verhalten hatte, wollte ich eine Sache keinesfalls – mich selbst preisgeben.

Bevor die Zweifel die Überhand gewannen, zwang ich mich dazu, wieder nach unten zu gehen, wo Tilly schon auf mich wartete. Ihre Augen wurden groß, als sie mich sah.

»Jetzt siehst du wirklich so adlig aus, wie du dich verhältst.«

»Darf ich das als Kompliment auffassen?«

»Ganz sicher«, erwiderte Tilly und nickte bekräftigend.

»Für mich seht ihr jungen Mädchen alle gleich aus«, meinte Myrdin, der in den Rahmen der Küchentür getreten war.

Ich gönnte ihm seine Gehässigkeit und zuckte nur entschuldigend mit den Schultern. »Es ist wohl besser, wenn ich dem Silberschmied nicht im Gedächtnis bleibe.«

»Das ist egal«, warf Tilly ein. »Er wird nicht bemerken, dass jemand an seinen Unterlagen gewesen ist. Und wer weiß, vielleicht sind seine Schmuckstücke so schön, dass du freiwillig zur Stammkundin wirst.«

Ich schmunzelte.

Myrdin räusperte sich. »Wenn das der Fall ist, soll ich dir von Ren ausrichten lassen, dass dein Name, falls gefragt wird, Janna von Rotenfels lautet.«

Ein bekannter Name. Ich ging die Liste aller Adelsfamilien im Reich durch, welche ich mir seit frühesten Kindheitstagen hatte einprägen müssen.

»Ich bin also eine Baroness?«

Myrdin nickte anerkennend. »Ich sehe du bist deiner Rolle gewachsen.«

Ich fragte gar nicht erst, weswegen Ren glaubte, den Namen dieser Familie nutzen zu können. Wahrscheinlich hielt Myrdin sich mit den Gründen ohnehin nicht auf und außerdem lag mir selbst die Antwort nah. Die von Rotenfels hatten einen großen Stammbaum und verhältnismäßig wenig eigenes Land. Niemand würde meine Identität hinterfragen.

Wir waren bereit aufzubrechen.

***

»Was ist eigentlich Myrdins Aufgabe abseits der Haushaltsführung?«

Tilly und ich folgten der Hauptstraße gen Burg. Die hohen Mauern ragten über uns auf, sodass wir wanderten wie im Schatten eines schlafenden Riesen. Dies war jedoch längst nicht so bedrohlich wie die Befürchtung, Tilly könnte nachher erwischt werden. Daher suchte ich nun Ablenkung in Form eines Gesprächs. Ich scherte mich nicht darum, dass eine so vertraute Unterhaltung uns nicht wirken ließ wie Dienstmädchen und Herrin.

Von einer Prinzessin, die auszog, um Heldin zu werdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt