Kapitel 38

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Der Wachmann musterte uns mit einem knappen Blick und öffnete schon den Mund, um zu sprechen, als Ren ihn unterbrach. »Wieso werden wir aufgehalten?« Ich war nicht sicher, ob er die genervte Ungeduld, die seine Stimme tränkte, spielte oder nicht.

»Anordnungen von ganz oben, mein Herr«, sagte der Wachmann, der versuchte durch Lautstärke die ihm fehlende Autorität wettzumachen.

»Nun, Ihr habt gesehen, dass in dieser Kutsche alles beim Besten ist«, erwiderte Ren. Versuchte er etwa, den Wachmann zu verärgern?

Mein Herz schlug mittlerweile so schnell, dass ich mich fragte, ob es dazu führen konnte, dass es letztlich ganz stoppte. Ich war froh, dass Ren meine Hand immer noch fest umschlossen hielt.

Der Wachmann schien noch nicht davon überzeugt zu sein, dass seine Pflicht an dieser Stelle getan war. Mit verengten Augen musterte er mich und sagte dann: »Wir sind auf der Suche nach der Prinzessin, wie die Herrschaften sicherlich bemerkt haben. Und Ihr, meine Dame, seht ihr erstaunlich ähnlich.«

Was sollte ich erwidern? Die Ähnlichkeit dementieren konnte ich wohl kaum. Ren das Reden zu überlassen war auch keine Option, denn mein Schweigen würde uns erst recht verdächtig machen. Ich musste sprechen. Und wenn ich es mir vor Augen führte, hatte ich nichts zu verlieren. Also setzte ich mein bestes höfliches, höfisches Lächeln auf und beschloss, den Wachmann um meinen Finger zu wickeln.

»Unter anderen Umständen würde es mir sicherlich schmeicheln, das zu hören«, sagte ich und hob meine Mundwinkel noch ein Stückchen mehr an, »doch wir sind wirklich in Eile. Ich verstehe, Ihr übt nur Eure Arbeit aus, aber denkt darüber nach, wie viele braunhaarige junge Frauen im Alter der Prinzessin es hier in Silberburg gibt. Wir wissen Eure Bemühungen zu schätzen, nicht zuletzt, weil sie uns zeigen, dass Ihr dafür sorgt, diese Stadt zum sichersten Ort im gesamten Königreich zu machen. Nichtsdestotrotz ist Eure Pflicht jetzt erfüllt, denn Ihr konntet euch davon überzeugen, dass niemand in dieser Kutsche unbemerkt das Stadttor passiert.«

Der Wachmann runzelte die Stirn, dachte einen Moment nach. »Nun gut... Euren Namen muss ich dennoch erfahren.«

»Von Rotenfels«, sagte Ren sofort und eine Spur zu schnell, um zu unterstreichen, dass wir uns beeilen mussten.

»Von Rotenfels«, wiederholte der Wachmann. »In Ordnung, Ihr dürft passieren.«

Selbst als er die Tür wieder schloss, traute ich mich noch nicht durchzuatmen. Erst, als sich die Kutsche wieder ruckelnd in Bewegung gesetzt hatte und das Stadttor an uns vorbeizog, konnte ich wieder ausatmen. Ren hielt meine Hand noch immer umschlossen und ich machte keine Anstalten, sie wegzuziehen.

»Er hat uns tatsächlich durchgelassen...«, murmelte ich nach einigen Augenblicken.

Ren nickte. »Wir haben anscheinend wichtig genug gewirkt, damit er sich nicht traut sich mit uns anzulegen. Außerdem hätte er sich nicht getraut, dir zu widersprechen. Ich sagte ja, sie würden auf dich hören.«

Ungläubig schüttelte ich den Kopf, doch innerlich drängte sich Stolz in mir nach vorn, gepaart mit der Euphorie, nicht geschnappt worden zu sein, und überwältigte alle Zweifel, die ich bis zu diesem Zeitpunkt gehabt hatte.

So fuhren wir durch die um uns herum immer dunkler werdende Welt. Und aus irgendeinem Grund wurde ich den Wunsch nicht los, dass die Zeit um uns herum anhielte und wir für immer gemeinsam in dieser Kutsche bleiben konnten. Oder zumindest länger, als die knapp zweistündige Fahrt zu Dags Anwesen.

Diese ging viel zu schnell vorüber. Eben noch waren wir vertieft gewesen in ein Gespräch über die Eigenarten von Dags Freunden und Geschäftspartnern, die Ren im Laufe der letzten Wochen kennengelernt hatte, schon unterbrach er sich und deutete nach draußen zu einer Ansammlung an Lichtern vor dem von der Dämmerung grauen Himmel.

Von einer Prinzessin, die auszog, um Heldin zu werdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt