Kapitel 35

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Die restlichen Tage vergingen wie im Flug. Ren und Vic versuchten, einen groben Gebäudeplan von Dags Anwesen zu erstellen, um die wahnwitzige Idee, Feuer zu legen, möglichst sicher in die Tat umzusetzen. Ich wiederum versuchte, mir möglichst viele Details des Plans einzuprägen, doch ich vermutete, dass ich es nicht schaffen würde, den Grundriss, der nicht einmal besonders akkurat war, auf Dags Anwesen zu übertragen, wenn ich erst einmal dort war. Außerdem hatte für mich noch eine ganz andere Sache Priorität.

Am Abend, bevor Vic wieder zu Dag gehen würde, wollte ich endlich unter vier Augen mit ihm reden. Ich hatte es lange genug aufgeschoben. Dennoch ließ ich auch an diesem Abend die Zeit verstreichen, bis Vic sich beinah auf den Weg nach Hause machen wollte, doch kurz zuvor riss ich mich zusammen und fragte ihn, ob wir kurz miteinander reden könnten.

Er sah mich zunächst mit zusammengekniffenen Augen an, sagte dann jedoch: »Gut. Wollen wir in den Innenhof gehen?«

Ich bejahte und so gingen wir nach draußen, wo die beiden Pferde eng beieinanderstanden und vor sich hindösten. Savana konnte manchmal anstrengend zu neuen Pferden sein, doch anscheinend hatte sie sich an Pegasus gewöhnt und sogar mit ihm angefreundet.

»Also«, sagte Vic, die Arme verschränkt, um sich vor der Kälte der hereinbrechenden Nacht zu schützen, »worüber willst du reden?«

Die Worte, die mir die letzten Wochen stetig auf der Zunge gelegen hatten, wann immer ich mich in Vics Gegenwart befand, wollten nicht aus meinem Mund kommen. Ich wollte ihn damit konfrontieren, wie er seiner kleinen Schwester ein Leben auf Grundlage von Kriminalität aufbürdete; wie er sie dazu brachte, ein aktiver Teil davon zu werden; wie er dennoch so tat, als hätte er diesen Weg nicht aus freien Stücken gewählt. Doch jetzt, als ich vor ihm stand, war alle Wut, die sich angestaut hatte, wie verflogen. Ich könnte ihm all diese Dinge immer noch vorwerfen, doch zu welchem Zweck? Wir standen auf derselben Seite, arbeiteten zusammen. Außerdem war ich mir sicher, dass er sich all dessen schon längst bewusst war. Und, was noch viel stärker wog, ich selbst war der Heuchelei nicht unschuldig.

Als ich mich dazu entschlossen hatte, mit Ren zu gehen, war ich bereit gewesen, mich auf einen Diebstahl einzulassen, von dem ich noch nicht wusste, dass er den vermutlich korruptesten Adligen des Königreiches als Ziel hatte. Es hätte auch ganz anders verlaufen können und ich hätte mich nicht beschwert – nur weil ich dem Hof und der scheinbar erdrückenden Etikette entkommen wollte, die es nicht für mich vorsah, Abenteuer zu erleben, Flüche zu brechen oder wenigstens mein Kleid für die Hochzeit meines Bruders auszusuchen. Ich hatte mir schon vor Ren eingestanden, was meine Motivation für meine Teilnahme an diesem Coup war. Es gab keinen Grund, jetzt vor Vic so zu tun, als wäre ich frei von Fehlern und in einer Position, ihn für seine zu verurteilen. Also half es wohl am besten, wenn ich jetzt ehrlich zu ihm war.

»Ich weiß, wir haben in den letzten Wochen nie viel miteinander geredet«, begann ich und versuchte abzuschätzen, wie Vics Reaktion ausfiel, doch er zeigte noch keine Regung. Er hörte, anscheinend unvoreingenommen, zu. »Das lag wahrscheinlich daran, dass ich dir gegenüber nicht wirklich nett war. Ich habe dir nie offen gesagt, was ich gedacht habe, aber ich vermute, dass ich das gar nicht brauchte. Ich nehme an, du hast genug durch meine pure Haltung dir gegenüber mitbekommen.«

Ich machte eine kurze Pause, um durchzuatmen und erneut zu prüfen, wie Vic reagierte. Er schien abzuwarten, in welche Richtung ich mich begab, doch zumindest gab es keine Anzeichen dafür, dass er vorhatte, sich baldmöglichst mit mir zu streiten.

»Ich habe gedacht, dass du ein schlechter Mensch bist, weil du deine Schwester zur Taschendiebin gemacht hast«, fuhr ich fort, »und um ehrlich zu sein, kann ich diesen Gedanken immer noch nicht ganz ablegen. Aber ich weiß, dass du es getan hast, weil du es für eure beste Möglichkeit hieltest.«

Von einer Prinzessin, die auszog, um Heldin zu werdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt