Kapitel 46

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Ich konnte nicht sagen, wie lange wir die Worte aus dem Traum abwogen, analysierten und nach Wegen suchten, wie wir sie umgehen konnten. Wir wiederholten sie, suchten nach Synonymen, versuchten zu ermitteln, was genau sie aussagten, um vielleicht eine Lücke in ihrer Bedeutung zu finden. All diese Bemühungen blieben erfolglos. Wir drehten uns im Kreis.

»Nicht sehen, nicht fühlen, sich nicht ergötzen«, wiederholte ich den Teil des Fluchs, den wir als Kern des Problems festgelegt hatten und versuchte daraufhin, unsere bisherigen Erkenntnisse, so mau sie auch waren, zusammenzufassen. »Dass wir den Fluch nicht brechen, indem wir das Gold lange genug anstarren, haben wir schon bewiesen. Dasselbe wird dafür gelten, es zu berühren. Bleibt, dass wir uns nicht am Gold ergötzen dürfen. Was wir nicht tun.«

Die Zeit, die man benötigte, um sich an wortwörtliche Goldberge zu gewöhnen, die sich vor, hinter und neben einem auftürmten, war tatsächlich erstaunlich kurz.

»Die Frage ist, was alles unter diese Formulierung fällt«, sagte Ren. »Ginge es nur darum, das Gold zu bewundern, sollte es nicht auf jeden Einfluss haben. Aber wenn der Fluch nicht wörtlich gemeint ist, wie sollen wir ihn dann brechen?«

Ich strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus meiner Frisur gelöst hatte. »Wir müssen alles ausprobieren, was uns einfällt... In der Zeit, die ich bei den weisen Frauen verbracht habe, wurden sie nicht müde darüber zu dozieren, wie wirkungsvoll ihre Flüche und guten Wünsche sind. Sie benötigen wenig Worte, um eine große Wirkung zu erzielen.«

»Willst du damit andeuten, dass vielleicht eine von ihnen Dag verflucht hat?«

»Nein, ich glaube nicht.« Konnte ich mir da wirklich sicher sein? »Sie könnten keinen Nutzen daraus ziehen, einem unbedeutenden Grafen zu Reichtum zu verhelfen. Sie verfügen selbst über mehr als genug Schätze. Und beweisen, dass sie den Menschen überlegen sind, müssen sie auch nicht mehr. Das tun sie, indem sie sich seit Jahrhunderten in ihrem Schloss einsperren, während die Leute um sie herum sterben und gelegentlich auf allen Vieren angekrochen kommen, damit sie ihnen einen Gefallen tun.« Doch wer konnte außer den weisen Frauen, den Feen wie man sich auch nannte, einen solchen Fluch aussprechen?

Ren schien diese Frage nun nicht mehr für wichtig genug zu halten, um sie weiter zu diskutieren. »Eine weitere Sache, die sich mir noch nicht erschließt, ist, wie Dag mit seinem Gold wirtschaftet. Es lediglich zu horden bringt ihm keinen Vorteil.«

»Es ist sein Gold und seins allein«, wiederholte ich den Wortlaut des Fluchs. »Wenn er das Gold ausgibt, gehört es nicht länger ihm. Sobald er entscheidet, dass es nicht mehr ihm gehört, heißt das...«

»Hm«, Ren kratze sich am Kinn, »verfügen die Königskinder Lothriens zufälligerweise über das Recht, das Eigentum einer Person einer anderen zu übertragen?«

Ich schüttelte den Kopf. »So genial die Idee auch ist, solche Rechte habe ich nicht.«

Trotzdem dachte ich nun darüber nach, ob ich nicht doch etwas ausrichten konnte, doch mir kam nichts in den Sinn. Selbst wenn ich entgegen meines Wissens in der Lage wäre, Dag sein Gold abzuerkennen, ich wüsste nicht ob der Fluch sich auf diese Art und Weise austricksen ließ, wenn ich meine Rechte nicht genauestens kannte.

Ren schloss die Augen und fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht. »Ich wünschte, ich müsste dieses verfluchte Gold nicht länger ansehen.«

»Ich auch...«, schloss ich mich ihm seufzend an.

Es war so ironisch. Die letzten drei Wochen hatten wir darauf hingearbeitet, Dags Gold zu finden und jetzt, wo es direkt vor unserer Nase lag, war es das, was uns davon abhielt zu erlangen, was wir wirklich wollten – unsere Freiheit.

Von einer Prinzessin, die auszog, um Heldin zu werdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt