Kapitel 29

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Er hatte es nicht gewusst. Ren, der Dags Strohmänner ausfindig gemacht hatte, der mit einem Zauberer zusammenarbeitete, der nicht selten von sich selbst sprach, als wäre er unfehlbar, hatte nicht gewusst, nicht einmal geahnt, wer ich war.

»Ich dachte, du wüsstest es«, murmelte ich.

Ren starrte mich einige weitere Augenblicke in absolutem Unglauben an, bis er es fertigbrachte den Kopf zu schütteln.

Ich senkte den Blick, fragte mich, was ich als Nächstes tun oder sagen sollte. Ich wollte Ren nicht darauf ansprechen, ob sich jetzt etwas zwischen uns änderte. Genauso wenig wollte ich allerdings darauf warten, dass er es von selbst tat. Schließlich begann ich, Grashalme aus dem Boden zu rupfen. Besser als nichts.

Ren seufzte und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Eigentlich hätte ich es herausfinden müssen, ohne es aktiv zu versuchen...«

Ich zuckte mit den Achseln. »Ich dachte ehrlich gesagt, dass du so erpicht darauf wärst zu erfahren, wer ich bin, dass du es herausgefunden hättest, bevor wir das Wirtshaus überhaupt verlassen haben. Immerhin hast du mir angedroht, mich meinen Eltern gegen Geld auszuliefern.«

Ein schwaches Lächeln umspielte Rens Lippen. »Ich gebe zu, dass das meine erste Idee war, als ich dort habe sitzen sehen.«

Ich hob fragend die Augenbrauen.

»Ich habe gedacht, dass du eine Jungfrau auf Abwegen bist, die ohnehin einen Tag später zur Jungfrau in Nöten geworden wäre«, erklärte Ren, als spräche er von einer mathematischen Formel oder dergleichen. »Ich hätte dir einen Gefallen getan, dich wieder nach Hause zu bringen und mir ebenfalls, denn es ist immer praktisch Bekanntschaften zu haben, die einen als edelmütigen Retter ansehen.«

»Danke, jetzt weiß ich, was ich für einen ersten Eindruck hinterlasse.«

Ich hatte gedacht, am Hof meiner Eltern genug Selbstkontrolle gelernt zu haben, um nicht unwillkürlich schnippisch zu reagieren. Offensichtlich hatte ich mich geirrt. Der Tag, an dem Königsstadt den Rücken gekehrt hatte, sollte ein Befreiungsschlag gewesen sein. Stattdessen hielt Ren es für nötig, mir jetzt vor Augen zu führen, dass ich trotzdem das schutzbedürftige Prinzesschen gewesen war, welches um keinen Preis der Welt hatte sein wollen. Und wenn ich es mir recht überlegte, dann hatte er sogar Recht. Ich hatte im Schankraum gesessen und fast schon darauf gewartet, von den Männern meines Vaters wieder eingesammelt zu werden. Ein Tag war nicht ausreichend, um sich zu verändern. Wie sah es mit zwei Wochen aus?

Ren ging in den Schneidersitz und legte die Hände auf die Knie. »Es war nur ein erster Eindruck, den ich schnell genug wieder über Bord geworfen habe. Unser Gespräch war viel zu unterhaltsam, um dich als Dank so zu hintergehen.«

»Wie definierst du unterhaltsam?«

»In diesem Fall bedeutet es, dass ich dich sympathisch fand.« Ren sah mir in die Augen. »Ich habe dich förmlich überfallen, doch du hast dich dadurch zu keiner Sekunde verunsichern lassen. Außerdem hast du gezeigt, dass du in der Lage bist, auf jede noch so herausfordernde Aussage eine passende Erwiderung zu finden. Kurzum, ich war mir sicher, dass du jemand bist, den ich mögen würde.«

Ich war mir nicht sicher, in was für eine Richtung wir uns gerade bewegten. Rens leicht verdrehte Art, mir Komplimente zu geben, war irritierend. »Trotzdem hast du mir angedroht, mich an meine Eltern auszuliefern.«

Ren verzog den Mund. »Ich wollte sehen, wie du reagierst.«

»Und? Hat meine Reaktion deine Erwartungen erfüllt?«

»Ja. Ich habe dich schließlich erfolgreich akquiriert.«

Ich lachte leise. »Schon wieder redest du, als befänden wir und in einem Geschäftsgespräch.«

Für einen Moment breitete sich ein Vorhang der Stille zwischen uns aus. Dann atmete Ren einmal tief durch und sagte: »Um auf unser eigentliches Thema zurückzukommen... Ja, du hast recht. Ich will Anerkennung. Ich rechne nicht damit, dass wir auch nur einen Pfennig von Dags Vermögen behalten können, sollten wir es aufspüren und an uns bringen können. Was uns aber sicher ist, ist ein tadelloser Ruf. Zumindest in den nächsten Jahrzehnten wird man sich daran erinnern, dass wir die schmutzigen Geschäfte des Grafen aufgedeckt haben. Es ist kein Brechen eines hundert Jahre andauernden Fluchs, das einen zur Legende werden lässt, aber im Tod nützt dieser Status einem ohnehin nichts. Ich merke, ich schweife wieder ab.« Er fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. »Worauf ich eigentlich hinauswollte... Ich bin seit einem Jahr eingenommen von der Idee, Dag zu Fall zu bringen und habe an wenig anderes gedacht. Und ob ich will oder nicht, ich bekomme es nicht aus meinem Kopf, selbst wenn wir über etwas völlig anderes sprechen. Wenn es also manchmal klingt, als sähe ich dich als Mittel zum Zweck, dann ist es dieser... Obsession geschuldet. Und ich will dich dadurch nicht verärgern, denn ich hatte mit meiner Vermutung recht. Ich mag dich, Janna. Ich will dich besser kennenlernen. Aber vorher muss ich diese eine Sache aus meinem Kopf bekommen.«

Ich betrachtete Ren einige Augenblicke. Er saß mit leicht nach vorn gebeugten Schultern da, trommelte mit den Fingerspitzen auf seinen Knien und sah mich erwartungsvoll an. Es war allerdings keine freudige Erwartung, wie ich sie sonst von ihm gewohnt war. Er wirkte beinah ängstlich.

Dabei wusste ich selbst noch gar nicht, was ich denken sollte. Ihn sagen zu hören, dass er mich mochte, rief nach wie vor ein Gefühl in mir hervor, das mir unwillkürlich ein Lächeln ins Gesicht trieb. Zudem war er aufrichtig gewesen und obwohl ich mich ihm zuvor ebenfalls geöffnet hatte, kam es mir nicht so vor, als wäre es ein Handel gewesen – meine Wünsche im Austausch gegen seine. Mir fiel nichts ein, was mich davon abhalten sollte, ihm zu sagen, dass zwischen uns nun alles geklärt war. Dennoch hielt mich etwas zurück. Ich war immer noch eine Prinzessin Lothriens, die ohne ein Wort des Abschieds fortgelaufen war. Früher oder später musste ich zurückkehren und was dann? Ich vermochte es nicht zu sagen. Aber es sollte verflucht nochmal nicht umsonst gewesen sein.

»Weißt du«, sagte ich schließlich, »es ist nicht besonders edelmütig, einen Verbrecher zur Strecke zu bringen, um Ruhm einzuheimsen. Aber ich kann damit leben, nicht als Arianna die Edelmütige in die Geschichte einzugehen. Allerdings möchte ich auch nicht als Arianna die Ausreißerin in die kollektive Erinnerung eintreten. Dags Verbrechen aufzudecken klingt nach einer guten Idee, um das zu vermeiden. Ich glaube wir beide brauchen das. Lass uns den Schurken zu Fall bringen und danach sehen, wie es weitergeht.«

Ren hatte aufgehört, mit den Fingern auf seinen Beinen zu trommeln und lächelte mich an. Wir lachten und lächelten häufig, wenn wir beieinander waren, doch das hier war anders. Offener. »Das klingt perfekt. Nun ja, solange...«

»Solange was?«

Ren zögerte einen Moment. »Solange Dag sich dazu entschließt, wieder Besuch zu empfangen.«

Ich rollte theatralisch mit den Augen. »Auch wenn es dir schwerfällt, lass uns die restliche Zeit hier draußen nutzen, um an etwas anderes zu denken.«

»Ich wollte es mir schon verkneifen«, erwiderte Ren achselzuckend.

»Mein Fehler.«

»Er sei dir verziehen«, sagte Ren, während er eine Verbeugung andeutete. »Jedoch ist es nur billig und gerecht, wenn ich nun entscheiden darf, welchem Thema wir uns zuwenden. Mir hat die Geschichte über den betrunkenen Kerl letztens wirklich gut gefallen. Zu wissen, dass sie sich im Palast ereignet hat, macht sie umso lustiger. Hast du noch mehr solcher Anekdoten?«

»Oh ja.« Ich grinste von einem Ohr bis zum anderen, da ich mich auf einmal an Ereignisse erinnerte, die mir bis gerade völlig entfallen waren. »Die habe ich. Willst du lieber die Geschichte hören, wie mein Vater wegen eines unfähigen Dolmetschers beinah fünftausend Schafe gekauft hätte, obwohl er an gesponnener Wolle interessiert war oder wie mein Bruder bei einem Besuch in Florenien fast ertrunken wäre?«

»Obwohl letzteres sehr dramatisch klingt, geht nichts über ein schönes Missverständnis. Erheitere mich.«

»Liebend gern«, sagte ich, ging ebenfalls in den Schneidersitz und begann zu erzählen.

Von einer Prinzessin, die auszog, um Heldin zu werdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt