Ich schlang den Wollumhang meiner Kammerzofe Katrina enger um mich. Die Sonne war vor etwa einer halben Stunde untergegangen, weswegen die Spätsommerluft sich rapide abgekühlt hatte. Vielleicht hatte man mittlerweile gemerkt, dass ich mich zur Mittagszeit davongestohlen hatte und sei es nur, weil Katrina das Fehlen ihres Umhangs bemerkt hatte.
Meine Füße schmerzten, als würden sich bei jedem Schritt tausend kleine Dolche in meine Sohlen bohren. Die Stute hatte ich vor einigen Stunden für viel zu wenig Geld an einen Händler verkauft. Sie war zu auffällig, um sie zu behalten. Morgen würde ich mir ein weniger hochgezüchtetes Pferd besorgen und reiten, wohin auch immer die Straße mich führte. Irgendwo würde schon ein Abenteuer auf mich warten.
Ich ging weiter und weiter, wirbelte mit jedem meiner Schritte Staub auf, der sich auf meiner Kleidung absetzte. Je länger ich unterwegs war, desto weniger konnte man mich von gewöhnlichen Reisenden unterscheiden. Doch gewöhnliche Reisende blieben nachts nicht allzu lang auf den Straßen.
Bevor ich auf endlich auf eine Herberge stieß, verging mindestens eine weitere Stunde. Das Gehen hielt mich warm, doch gleichzeitig wurden die Glieder mit jedem Schritt schwerer.
War ich jemals so viel gelaufen? Höchstens als Kind, wenn ich mit meinem Bruder auf der Jagd nach unsichtbaren Ungeheuern durch die Gänge des Palasts gestürmt war.
Das Wirtshaus stand gedrungen am Wegesrand. Ein Monster, das auf vorbeikommende Beute wartete. Ich zögerte nicht, mich von ihm verschlingen zu lassen.
Nachdem ich die verzogene Holztür aufgestoßen hatte, wurde ich von einer Mischung aus Essensgeruch und dem Gestank von Schweiß begrüßt, die in meiner Nase brannte und im ersten Moment undurchdringlich wie eine Steinwand schien. Trotzdem war Schankraum mit seinen drei langen Tischreihen nur spärlich gefüllt. Es konnten nicht mehr als fünfzehn Personen sein, die – jeder für sich allein – ihr Abendessen zu sich nahmen oder einfach nur über einem Bierkrug hockten.
Ich zog mir die Kapuze vom Kopf, ließ meinen Blick noch einmal über die Abwesenden schweifen, von denen mich keiner bemerken zu schien, und ging dann zum Tresen. Der Wirt lächelte mich durch seinen struppigen, grauen Bart an. Es war nicht das höfisch zurückhaltende Lächeln, das mir normalerweise entgegengebracht wurde. Es wirkte eher amüsiert.
»Na, was darf's für dich sein, Mädel?«
Ich verbiss mir eine Zurechtweisung. Mit meinen siebzehn Jahren war ich zwar im heiratsfähigen Alter, doch für einen Mann, dessen Gesicht nur aus Falten und Bart bestand, sahen wohl alle Frauen zwischen fünfzehn und fünfundzwanzig gleich aus.
»Eine Schüssel von Eurem Eintopf, Bier und ein Bett für die Nacht, wenn's beliebt«, ahmte ich Katrinas Art mit den anderen Bediensteten zu sprechen nach. Zumindest versuchte ich es. Ich hörte mich weder wie jemand an, der sein Leben lang Befehle erteilt hatte, noch wie ein bürgerliches Mädchen.
Den Wirt kümmerte dies nicht. Er füllte eine Schüssel mit einem Eintopf, der schon so lange über dem Feuer geköchelt hatte, dass man seine Komponenten nicht mehr identifizieren konnte, zapfte einen Krug Bier ab und stellte beides vor mir ab.
»Einen Heller macht das.«
Ich wusste nicht, ob es üblich war, in Wirtshäusern direkt nach Ausgabe des Essens zu zahlen, doch ich fragte nicht weiter nach. Aus dem prall gefüllten Geldbeutel, den ich am Innensaum meines Rocks befestigt hatte, pfriemelte ich einen Pfennig heraus. Eine kleinere Münzeinheit führte ich nicht mit mir.
Kommentarlos legte ich das Geldstück, welches dem doppelten Wert dessen entsprach, was der Wirt verlangte, auf den Tresen. Mit dem Bierkrug in der rechten und der Schüssel Eintopf in der linken Hand machte ich mich auf die Suche nach einem Platz, der möglichst weit von den anderen Gästen entfernt lag.
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Von einer Prinzessin, die auszog, um Heldin zu werden
FantasyUm nicht länger im Schatten ihres großen Bruders, Brecher des Dornröschenfluchs, zu stehen, ergreift Prinzessin Arianna die Flucht. Ihr Ziel: ein eigenes Abenteuer zu erleben. Da trifft es sich gut, dass sie in einer Spelunke auf Ren trifft. Der sel...