Kapitel 30

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»Wie es scheint, kann ich heute endlich beim Grafen vorstellig werden«, teilte Ren mit, als er zwei Tage nach unserem Ausritt vom Mittagessen mit Dags Kumpanen zurückkam.

Er tat so, als wäre es keine große Angelegenheit, doch die Tatsache, dass er sich gerade einmal die Zeit nahm, um die Schuhe zu wechseln, bevor er sich wieder auf den Weg machte, sprach Bände. Ren wollte nicht länger warten.

»So wie er sich beeilt, ist er pünktlich zum Abendessen wieder zu Hause«, sagte ich an Tilly und Myrdin gewandt, als ich die Hintertür keine zwei Minuten später ins Schloss fallen hörte.

Wir saßen am Küchentisch und schnitten Gemüse für einen Eintopf. Nach weiteren erfolglosen Versuchen, meine magischen Fähigkeiten zu erweitern, war ich froh, die Übungen gegen Hausarbeit eintauschen zu können. Allerdings erwischte ich mich selbst immer wieder dabei, wie ich versuchte mein Messer per Telekinese zu bewegen.

»Dann bringt er hoffentlich Vic mit«, sagte Tilly, während sie eine Möhre in Stücke teilte, die im Gegensatz zu meinen alle dieselbe Größe hatten. Sie hatte es nie wortwörtlich ausgesprochen, doch je länger ihr Bruder fortblieb, desto stärker vermisste sie ihn. Wann immer sie das Thema aufbrachte, hatte ich das Bedürfnis, sie mit leeren Phrasen zu beruhigen, doch Tilly wehrte Derartiges kategorisch ab. Also tat ich das, was mir am besten half, wenn ich unerwünschter Weise an meine Familie dachte. Ich lenkte Tilly ab.

»Vielleicht bleibt dein Bruder mit Absicht länger weg, weil er fürchtet, wir könnten ihn zur Hausarbeit verpflichten. Er würde es bestimmt schrecklich öde finden, würden wir ihn auf den Markt zum Einkaufen schicken.«

»Na ja«, sagte Tilly, die Möhren weiter zerkleinernd, ohne aufzublicken. »Heute hätte er es wahrscheinlich ziemlich spannend gefunden.«

»Wieso?«

»Da war eine ziemlich verdächtig aussehende Gruppe Männer unterwegs«, erzählte Tilly, als wäre es eine Nebensächlichkeit. »Sie haben sich die Gegend genau angeguckt. Und die Menschen. Haben wahrscheinlich nach irgendwem gesucht. Allerdings waren sie dabei so auffällig, dass...«

»Jemanden gesucht?«, unterbrach ich Tilly und verschluckte mich dabei fast an meiner eigenen Zunge.

Hilfesuchend blickte ich zu Myrdin, der mich mit scheinbarer Seelenruhe ansah und sich dann Tilly zuwandte, als sie weiterredete.

»Ja, ich habe noch nie jemanden gesehen, der sich so auffällig umgeguckt hat. Und dann war es gleich eine ganze Gruppe. Ich wäre ihnen gerne gefolgt, aber dafür haben sie ihre Umgebung zu gründlich betrachtet.« Sie zuckte mit den Schultern. »Das müssen irgendwelche hochrangigen Leute gewesen sein. Ihre Kleidung sah zwar nicht so aus, aber ansonsten würden sie es sich nicht erlauben, so viel Aufsehen zu erregen. Außer sie sind unglaublich dumm.«

Hochrangige Leute. Für einen Moment vergaß ich zu atmen. Alles, was Tilly gesagt hatte, schrie danach, dass es die Männer meines Vaters waren. Sie waren in Silberburg und durchkämmten die Straßen. Dieselben Straßen, auf denen ich bis jetzt arglos verkehrt war. Mich sicher gefühlt hatte. Das durfte nicht sein. Nicht jetzt, wo wir kurz davorstanden, Dags Schatz aufzuspüren.

»Stimmt etwas nicht?« Tilly beäugte mich kritisch.

Ich hatte aufgehört zu schneiden, mein Messer abgelegt und saß am Tisch ohne mich zu rühren.

»Nein«, brachte ich schließlich hervor. »Alles in Ordnung. Ich habe mich nur gefragt, ob diese Männer womöglich mit Dag in Verbindung stehen.«

Die Lüge kam mir leicht über die Lippen, was mich überraschte. Nicht weil ich Schwierigkeiten gehabt hätte, mir einen Vorwand auszudenken, sondern weil es keinen Grund gab, Tilly die Wahrheit zu verschweigen. Sie würde es eines – wahrscheinlich sehr nahen – Tages ohnehin herausfinden. Dennoch war ich alles andere als erpicht darauf, es ihr zu sagen. Ich war noch nicht bereit dafür. Außerdem fürchtete ich, so irrational diese Angst auch war, dass ich die Männer meines Vaters zu mir locken würde, spräche ich laut aus, wer ich war.

Von einer Prinzessin, die auszog, um Heldin zu werdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt