~9~

247 8 78
                                    

Er hat recht. Er hat einfach so recht! Ich bin gerade in meinem Zimmer und habe die Erkenntnis meines Lebens. Naja, zumindest glaube ich das in diesem Moment.

Auch wenn es mich nervt, das zugeben zu müssen, muss ich sagen, dass mir Alecs Worte immer wieder durch den Kopf gehen. Und das Schlimme ist, dass mir nicht nur irgendwelche bedeutsamen Worte von ihm durch den Kopf gehen, sondern jeder einzelne Satz, um genau zu sein jedes einzelne Wort.

Ich weiß nicht wann ich damit angefangen habe, jeden Dialog von uns bis ins kleinste Detail zu analysieren, was ich wahrscheinlich schon seit dem ersten Gespräch mache, das wir jemals geführt haben, aber erst jetzt wird mir klar, dass ich es tue.

Aufgeregt und voller neu erhaltenen Selbstbewusstsein stürme ich runter in die Küche zu meiner Mutter.

"Mom, ich muss jetzt sofort mit dir reden und es kann nicht warten!", platze ich in die Küche hinein.

Meine Mom schaut mich verwundert an und fragt:
"Okay, was brennt dir denn so auf dem Herzen?"

Okay Ava, jetzt bloß nicht den Mut verlieren. Ich denke wieder an Alecs Worte: "Du musst erstmal etwas an deiner Einstellung ändern".
Und das werde ich jetzt auch tun.

"Ich kann das alles einfach nicht mehr so weitermachen.", platzt es aus mir heraus.

Meine Mutter schaut mich ungeduldig an.
"Ava, du weißt ganz genau, dass ich es hasse, wenn du dich nicht vernünftig ausdrückst. Wovon sprichst du genau?"

Meine Hände haben begonnen zu zittern und ich atme einmal tief ein, um mich etwas zu beruhigen.
"Von dem Unfall! Ich kann... ich kann einfach nicht mehr so weitermachen.", die ersten Tränen laufen mir schon wieder über die Wangen.

Nein! Das ist der falsche Moment, um in Tränen auszubrechen. Ich habe es mir geschworen und ich werde das jetzt durchziehen.

"Ava, was geschehen ist, ist geschehen und du kannst daran nichts ändern.", die Stimme meiner Mutter ist weicher geworden und sie schaut mich mitleidig an.

Und da ist es schon wieder: Mitleid. Wie ich es hasse bemitleidet zu werden. Es trägt nur dazu bei mir zu zeigen, dass selbst andere Personen nicht mit meiner Situation umgehen könnten. Das Einzige, das Mitleid bewirkt ist, dass man sich elend fühlt und dieses Gefühl hatte ich schon lange genug.

"Nein! Du verstehst das nicht! Ich weiß, dass ich es nicht ändern oder ungeschehen machen kann, aber ich will endlich damit umgehen können, ohne zu versuchen, es zu verdrängen!", schreie ich meine Mom beinahe schon an.

"Ava, es ist gut-"
"Nein, nichts ist gut! Ich bin Schuld daran, dass Grandma und Grandpa tot sind!", unterbreche ich meine Mom schreiend. Immer mehr Tränen laufen mir über die Wangen.

Sie schaut mich nur schockiert an und schüttelt dann den Kopf, wie um zu sagen, dass ich wieder auf meinem Depritrip bin und es nichts bringt, sich über mein Verhalten aufzuregen.

Vielleicht bin ich das auch, aber meine Mutter sollte mich endlich mal ernst nehmen. Ich würde sie zu gerne einfach schütteln, bis sie versteht, was in mir vorgeht.

"Was willst du jetzt von mir hören? Dass du nicht Schuld bist?! Das wäre gelogen und das weißt du auch! Fang endlich damit an, es zu akzeptieren. Meine Eltern sind tot, weil du nicht auf uns gehört hast und jetzt sollst du auch mit den Konsequenzen leben!", meine Mutter bemüht sich um einen ruhigen Ton, schafft es jedoch nicht und beginnt auch zu weinen.

Ich schaue sie weiter geschockt an. Ja, ich weiß, dass ich Schuld bin, aber sie hat es mir noch nie so direkt ins Gesicht gesagt und das tut weh. Verdammt weh, wenn selbst die eigene Mutter einem nicht verziehen hat.

How I learnt to live   Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt