Diese eine Nacht war ein Adrenalinschub für sich gewesen.
Mein Blutdruck schien mit einem Mal bis aufs Unermessliche gestiegen zu sein, meine Atmung beschleunigte sich zu rapidem Keuchen – ein Gemisch aus der vorherigen Atemlosigkeit und dem Schub der Aufregung, welche mich gewaltvoll ergriff, gnadenlos schüttelte und mithilfe von eisig kalten Stahlketten in ihrem Bann geschlossen hielt. Aus geweiteten Augen beobachtete ich geradezu starr das Geschehen zwei Stockwerke über mir, konnte mich plötzlich nicht mehr bewegen. Kein Ton verließ meine Kehle, kein Muskel rührte sich. Viel zu überrumpelnd war dieser Anblick für mich; die Sicht auf Jimin, der hilflos gegen diese mächtige, bedrohliche Silhouette ankämpfte. Der Glanz des Mondscheins spiegelte sich auf der schwarzen, ganzkörperlichen Regenjacke des Feuerteufels und bescherte mich um einen weiteren Schauer, erinnerte mich an den Regen, das Feuer, die verkohlten Leichen und... unsere gesamte, aussichtslose Situation. Unsere Misere.
Die Gewissheit darüber, vor dem Mann unserer endgültigen Verdammnis stehen, schien sich geradewegs auf meine Knochen zu gravieren.
„Lauf weg!", drang nun Jimins erstickte Stimme über die Gassen Seouls und brachte mich geradewegs zum Zusammenzucken. „Steh da nicht so dumm rum und lauf weg, verdammt!"
Die Angst saß tief in meinen Knochen, war Herr meines Körpers, und so gehorchte ich ihr für einen kleinen Moment, stolperte einen Schritt zurück. Doch das war falsch. Das war solch ein immenser Fehler, dass ich mich mit einem Mal für meine gesamte Existenz schämte – wie konnte ich auch nur daran denken, von hier abzuhauen?! Ich war Polizist. Ich war Polizist, verdammt nochmal, und für ebensolche Situationen wurde ich ausgebildet und trainiert. Dieser Teufel war mein Gegner, nicht der von Jimin. Ich sollte gegen ihn kämpfen. Ich sollte um mein Leben ringen. Von Anfang an hätte ich es sein sollen, der sich in dieser Situation befindet!
Mit einer Welle der Wut drehte ich mich um und schlug mit der bloßen Faust gegen die halb zerfallene Backsteinmauer, schrie mir die Seele aus dem Leib; mit einer solch energischen, wuterfüllten Stimme, einem Ton der puren Aggression und Verzweiflung, der meine gesamte Angst mit einem einzigen Bissen verschlang und die Gassen dieser Stadt auf einmal zu beherrschen wusste. Der Schmerz wanderte quälend langsam aus den Knöcheln und Fingern meiner wunden Faust meinen Arm entlang und floss dann ungehindert durch meinen gesamten Körper; ließ keinen Platz mehr für Panik und Schrecken, unterbrach abrupt mein Zittern. Und als ich mich wieder umdrehte, schien die Welt sich für diesen einen Moment in Zeitlupe zu drehen – denn ich sah ihm geradewegs in die Augen. Das spürte ich. Selbst wenn sein Blick von dem Schatten seiner regendichten, schwarzen Kapuze verborgen blieb, so wusste ich einfach, dass sich unsere beiden Blicke kreuzten. Er stand vor dem Geländer der stählernen Feuertreppe und sah zu mir herab; in mein furioses Gesicht, welches ihm im Mondschein dieser einen Nacht mit einer solch klaren Wagemut und Schärfe entgegenblickte, ihn geradewegs zu einem Kampf herausforderte. Meine Iriden funkelten vor Wut, vor Furchtlosigkeit. Und irgendetwas an der Art, wie er von Jimins Statur abließ, verriet mir, dass seine Aufmerksamkeit nun gänzlich mir galt.
Er legte eine behandschuhte Hand ans Geländer, trat näher heran. Ich blickte zu ihm hoch, meine wuterfüllten Züge durch das Licht des Mondes erhellt, während ein Gesicht der tiefsten Schwärze und Dunkelheit zu mir heruntersah. Der kalte Novemberwind zog über die Szenerie, vereinte sich mit meiner Gänsehaut zu einem weiteren kalten Schauer. Die Luft zwischen uns war zum Zerreißen angespannt und nichts, absolut gar nichts könnte diese Situation in ihrer gesamthaften Intensivität beschreiben; keine Worte könnten sie je schildern, diese Kälte und Aufregung der eisernen Nacht übermitteln. Niemand könnte diese überwältigenden Gefühle transkribieren, die mich heimsuchten. Ganz gleich, wie nahe es dem Geschehen kommen sollte, so war das hier einfach... unbeschreiblich. Wie sich meine Nackenhaare eine nach der anderen aufstellten, wie mein Körper Glied um Glied von der Taubheit übernommen wurde, mir jegliche Kraft entzogen, und wie ich trotz alldem meine Hände zu stählernen Fäusten formte. Wie mein Herz in langsamen, rhythmischen aber unsagbar lauten Schlägen klopfte, ganz so, als wolle es jeden Moment einfach stehenbleiben.
Jimin hustete und anders als der Feuerteufel, der mich weiterhin mit einer Aura der Mordlust fixierte, wandte ich mich ihm zu. Mein Blick lastete streng, aber auch entschuldigend auf der geschwächten Gestalt des Älteren. „Jimin...", begann ich jedoch ohne zu zögern, „Verschwinde von hier."
Mit einem Mal schoss sein Blick in meine Richtung. In seinen Zügen standen Unglauben und pure Konfusion geschrieben, während er die Brauen zusammenzog und mich eines Zischens bescherte. „Ich sagte, du sollst weglaufen!", meinte er, „Ich bin der Ältere – geh einfach und überlasse das mi-"
„Er hätte dich eben nahezu umgebracht, Jimin!" Meine Stimme durschnitt die Nacht mit einer Tonlage der puren Kontrolle, entpuppte sich als klaren Befehl, gegen den sich kein Widerspruch je behaupten könnte. „Das ist meine Sache! Du hast damit rein gar nichts zu tun, von Anfang an nicht, also hör endlich auf dich in meine Angelegenheiten einzumischen und verschwinde von hier!" Schon während sich die Worte von meinen Lippen formten, kämpften sich Schuldgefühlte an die Oberfläche meiner Gedankenwelt. Doch trotzdem ging es nicht anders. Ich musste es so formulieren, ich musste mich so ausdrücken, damit er sich endlich in Sicherheit brachte. „Du wirst mir hier nicht helfen können, Jimin, also geh und ruf Verstärkung!"
Ich sah im Schein der Sterne und des Mondes, wie sich Widerwille in seinem bleichen Gesicht spiegelte, wie er seine Lippen zu einer geraden Linie formte und mich stumm seinem undefinierbaren Blick unterzog. Dann machte es Klick. Es waren nur zwei Sekunden gewesen – und sie hatten gereicht, damit der Feuerteufel seine Waffe unter dem Regenmantel hervorziehen und den Lauf gegen Jimins Schläfe pressen konnte, die Pistole entsicherte. Seine Rapidität grenzte nahezu an Erfahrung und fleißiger, jahrelanger Übung.
„Ich hab das Handy!", log ich also ungeniert. „Es gehörte von Anfang an mir und ich trage es bei mir!"
Mit einem Arm in der Luft zog ich Jimins Handy aus meiner Jeanstasche und hielt es in die Höhe. Es war nicht mein Mobiltelefon, sprich nicht das, welches er suchte, doch es war dasselbe Modell. So identisch, dass selbst ich es zuvor mit meinem verwechselt hatte. Es glich dem meinen bis auf das zersprungene Display – denn das war das einzige, was diese zwei Mobiltelefone äußerlich unterschied. Er hatte sicherlich mitgelesen. Das Handy mit dem zersprungenen Display war das von Jimin und das ungeschädigte meines, doch von dort oben aus konnte er das keineswegs überprüfen.
„Das stimmt nicht", meinte Jimin daraufhin und drehte sich dem Mörder zu, sodass der Lauf der Waffe direkt auf die Mitte seiner Stirn zielte. „Ich habe es."
„Du... Dummkopf..."
Taehyung hob seinen Blick von dem Mobiltelefon. Er hatte bis eben noch auf die Nachrichten gestarrt, welche er dem Feuerteufel geschickt hatte, und die blauen Haken inspiziert. Skeptischen Blickes setzte er sich neben dem Jüngeren auf und legte eine Hand an dessen Wange, neugierig darüber, zu wem er gerade wohl sprach.
„Bist du wach?", fragte er mit seiner tiefen, heiseren Stimme. „Hast du das... mitbekommen?"
„Das nimmt... kein gutes Ende..."
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Remember me ♛ VKook「50% Texting」
FanfictionKim Taehyung Ich vertraue dir nicht. Kim Taehyung Aber deswegen bist du noch lange kein schlechter Mensch. Unbekannter Bist du dir da wirklich so sicher? Kim Taehyung ? Wenn zwischen Mord und Totschlag Freundschaften entstehen, die eigentlich als Fe...