CHAT 62

974 132 137
                                    

Irgendetwas sagte Taehyung... dass dieses ominöse Treffen mit dem Feuerteufel nicht gut enden konnte.

Ja. Er hatte Zweifel. Immense Unsicherheiten gar, natürlich, denn letzten Endes war doch auch Taehyung nur ein Mensch für sich; ein Cop zwar, aber immer noch ein Mensch. Er selbst hatte es schon seit Anbeginn seiner Polizeikarriere als halbherzige, ungerechtfertigte Ausrede eines jeden Markenträgers gesehen, sich selbst als „lediglich einen Menschen" zu betiteln und so über jegliche Fehler, jegliche Reue hinwegzukommen. An dieser Ansicht hatte sich auch nicht viel verändert – nicht, wenn es um ihn selbst ging. Doch wenn es andere betraf... wenn es Jungkook betraf, dann schien er in dieser Hinsicht weiser geworden zu sein. Polizisten sind und waren auch nur Menschen. Sie verpflichteten sich dazu, ihr Bestes für ihren wichtigen Beruf zu geben – und Jungkook hatte das.

Taehyung würde das heute tun.

Er würde wieder gutmachen, bei seinem Freund und Partner seines Erachtens nach nicht sein Bestes gegeben zu haben. Koste es, was es wolle.

Doch zeigen, dass er in Hinsicht des Feuerteufels nun selbst auch eine gewisse, plötzliche Furcht verspürte, irgendwo tief in ihm drin, das durfte er schlichtweg nicht. Yoongi und Jin machten sich schon ohne Taehyungs eigenen Zweifel genug Sorgen; um sie zu überreden, musste er so tun, als ob alles in Ordnung wäre. Und auch, um sich selbst zu überzeugen. Er musste sich selbst und auch anderen indizienlos beweisen, dass er diese Angelegenheit gänzlich im Griff hatte, nichts und auch wirklich rein gar nichts den Rahmen seines spontanen Einsatzes sprengen, seinen Plan durchkreuzen konnte. Diese hindernde Furcht in ihm musste er hinter sich lassen.

Doch was genau fürchtete er? Zu sterben?

Nein. Nein, Taehyung hatte keine Angst vor dem Tod; noch nie hatte er irgendeine Art der Furcht gegenüber dem berüchtigten Sensenmann empfunden – kein einziges Mal in seinem Leben hielt ihn der Schrecken zurück, vielleicht sein eigenes Leben lassen zu müssen. Er hätte diesen Beruf nicht gewählt, wäre das anders. Denn Taehyung, auch wenn er irgendwo ja doch wie jeder andere an seinem Leben hing, hätte nichts dagegen sein eigenes Leben für das eines anderen einzutauschen. Doch trotzdem war da diese Angst. Dieses lähmende Gefühl der Erdrückung, welches sein Herz umschlängelte und würgte wie eine giftige Kobra, das Bedenken in ihm aufkommen ließ, die er sonst nie hatte. Er fühlte sich anders als bei anderen Einsätzen, ganz so, als hätte er diesmal etwas wichtiges zu verlieren. Als würde der Verlust seiner selbst mehr bedeuten als nur sein eigener Tod. Als würde... als würde damit noch so viel mehr zusammenhängen.

Und als er einen flüchtigen Blick ins Schlafzimmer warf, so wusste er auch sogleich, was diese unbeschreiblich tief verankerte Angst in ihm auslöste. Mit einem Schlag wurde ihm der Grund dafür bewusst – und er wünschte sich ganz heimlich nichts mehr als dass ihm diese eine Tatsache doch etwas früher eingefallen wäre. Zu einem Zeitpunkt, an dem er es ihm hätte sagen können.

Dass es da etwas gab, was er mehr fürchtete als den Tod.

Etwas, das sich gerade in seinem Schlafzimmer von seinen Kopfschmerzen erholte und leise, müde Geräusche von sich vernehmen ließ.

Denn das, was Taehyung am allermeisten fürchtete, von all den potentiellen Ängsten, die diese grausame Welt in sich barg... war, Jungkook möglicherweise nicht mehr sehen zu können. Er fürchtete in solch einem unglaublichen Maß, dieses Gesicht nicht mehr betrachten, diesen Blick aus schwarzen Iriden nicht mehr erwidern und mit den Händen durch diese seidig schwarzen Haare nicht mehr fahren zu können. Sein Inneres zog sich zusammen, als er daran dachte, mit Jungkook nicht mehr tadeln zu können. Keine Einsätze mit ihm zu haben. Gemeinsam keine Krimis mehr zu schauen, nicht mehr seinen Korrekturen von diesen lauschen zu dürfen. Nicht mehr seine Stimme hören zu können, seine vollständige Genesung nicht mitzuerleben... es war furchtbar. Es zerrüttete ihn, zerstörte ihn innerlich.

Denn erst jetzt hatte er realisiert, was er für den Jüngeren eigentlich schon seit Anbeginn empfand.

Erst jetzt, nach all der Zeit, wurden ihm seine Gefühle gegenüber Jungkook vollends bewusst. Jetzt, wo er doch verlieren könnte, wo er doch verschwinden könnte, wo sie sich eventuell, unwahrscheinlich aber vielleicht, ja, vielleicht nicht wiedersehen konnten. Jetzt, wo es sich doch so sehr anfühlte wie ein ewig währender Abschied. Wieso nur hatte er das nicht früher gemerkt? War es nicht offensichtlich gewesen; all seine Sorgen um den Jüngeren, der seine gesamte Gedankenwelt für die letzten Monate nahezu gänzlich eingenommen hatte? Wie hatte Taehyung nur so blind sein können. Wie hatte er es dazu kommen lassen, dass es solch ein entscheidender Moment geworden war, der ihn all diese Dinge begreifen ließ. Der ihn dazu brachte, zu verstehen, wieso ihm der Jüngere so ungemein wichtig war, wieso er sich so verantwortlich für diesen fühlte, nicht als Partner, sondern als Mensch. Wie konnte er nur zulassen, dass diese Einleuchtung zu spät kam. So unsagbar spät, dass er ihm diese Worte für den Fall der Fälle nicht einmal sagen durfte.

Die drei Worte, die seine Gefühle am besten zusammenfassten.

Ich liebe dich.

Kraftlos und doch entschlossen band Taehyung den Gurt um seine Hüfte. Sein Blick glitt über die Halterungen vom Teaser, von seinem Funkgerät und, natürlich, über die eiserne Schusswaffe, welche sorgsam gesichert in einem Ledergefäss hing. Dann öffnete er die Tür zum Schlafzimmer einen Spalt. Das Licht vom Flur warf sich geradewegs auf den schlafenden Körper Jungkooks, der eingewickelt in den Laken lag, in hörbarer Ruhe atmete. Und so verharrte Taehyung einen Augenblick an der Türschwelle. Er betrachtete den Jüngeren genaustens, inspizierte ihn geradewegs, denn plötzlich wollte er sich jedes noch so kleine Merkmal Jungkooks merken. Sein Blick glitt im bedacht langsamen Tempo von Jungkooks wirren Haare über dessen Brauen zu seinen geschlossenen Augen, dann zu der zarten Nase, zu dieser geheimnisvollen Narbe an seiner Wange und über seine Kieferpartie zu den zartrosa Lippen, die er plötzlich mehr als alles andere zu begehren schien.

Oder war es einfach das erste Mal, dass er sich eingestand, sie zu begehren?

Er wusste es nicht. Doch was er wusste, war, – und das zerriss sein Herz in tausend kleine Stücke – dass er sie höchstwahrscheinlich nie an seinen wird spüren dürfen. Und gleichzeitig fühlte er einen Ansporn. Er wollte gewinnen. Er wollte den Feuerteufel besiegen, damit Jungkooks Sicherheit gewährleisten und heil zurückkommen, um ihm seine Gefühle zu gestehen.

Damit er ihm sagen konnte, dass er ihn liebte. Schon immer geliebt hatte, wahrscheinlich.

Und so kam es, dass er ohne Jungkook irgendwie zu informieren, die Tür zum Schlafzimmer wieder schloss und durch den Eingang zu seinem Appartement nach draußen verschwand.

Remember me ♛ VKook「50% Texting」 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt