Taehyung überkam der pure Schwindel.
Seine Brust fühlte sich plötzlich so seltsam leer und schwerelos an, obschon sein Herz solch deutliche, spürbare Schläge verteilte, seine organische Arbeit nun in Zeitlupe zu verrichten schien. Die Anspannung der Geschehnisse verschwand ohne jegliche Vorwarnung und ließ ihn zurück mit dieser seltsamen Taubheit, diesem Gefühl, als würde es sich hierbei nicht um die Realität handeln. Als befände er sich inmitten eines bizarren Traums und stünde kurz davor, die surrealen Gegebenheiten zu erfassen und in seine eigentliche Welt zurückzugelangen.
Und das alles ausgelöst durch die zarten, ruhenden Züge seines jüngeren Freundes.
Obwohl er es noch Sekunden vorher nicht aushalten konnte, diesen zu sehen – obschon er den Arzt mit seinen stummen Blicken zur Eile gedrängt hatte – so war er es nun, der wie angewurzelt am Türrahmen stand und wortlos seinen ehemaligen Partner in dessen Bewusstlosigkeit beobachtete. Nicht so, als würde ein Polizist seinen Kameraden anstarren. Nicht so, als würde ein Freund seinen besten Kumpel ansehen. Eher voller Ungläubigkeit, gänzlich überrollt von diesem surrealen Glück und überfordert mit der Situation, endlich mit etwas beschert zu werden, das er sich tagtäglich erhofft hatte. Mit dem Leben eines Menschen, der es als einziger in sein verschlossenes, verfrorenes und mit tausend Ketten verriegeltes Herz geschafft hatte.
Sein Blick haftete an Jungkook, als er einige Schritte näher trat. Und erst bei seinem nächsten Atemzug merkte er, dass er sich den Sauerstoff für die letzten paar Minuten instinktiv verweigert hatte. Die verbliebenen zwei Meter taumelnd trat er langsam näher, stützte sich mit der Hand am Tragegriff des Krankenhausbettes ab und blickte schwer atmend ins Gesicht seines ehemaligen Junior Partners. Seines Freundes. Seines besten Freundes.
Es handelte sich um einen Moment, den er niemals erzählen könnte – viel zu schwer würde es ihm fallen, all diesen Gefühlen Worte zu verleihen, all diese Empfindungen wahrheitsgetreu zu beschreiben. Diese bittersaure Freude, als Jungkook im Schlaf die Nase rümpfte. Als er die Brust des Jüngeren sich heben und senken sah, ohne seinen Blick von seinen Zügen abwenden zu müssen. Dieses warme Gefühl der Vertrautheit, als er die allbekannte Schramme an Jungkooks Wange sah – die, welche er bisher stets unkommentiert gelassen hatte. Die, über welche er sich insgeheim immer wundern durfte und zum Akt der Reue wurde, dass er sich nie über sie erkundigt hatte... und können würde.
Doch nun konnte er es.
Nun konnte er ihm wieder Fragen stellen – bald.
Für manch andere hörte sich das bestimmt seltsam an, aber noch immer fühlte sich dieser Moment für den jungen Polizisten nicht echt an. Er konnte einfach nicht verinnerlichen, dass sein jüngerer Partner tatsächlich noch lebte, atmete und vor ihm lag; dass Taehyung schon immer Recht gehabt hatte. Was die anderen im Hauptquartier für Augen machen würden! Das sollten sie feiern! Ein Festmahl, eine Beförderung für Jungkook, Willkommensgeschenke und Kuchen – eine Begrüßung, die er bereute nicht bei der Einweihung des Jüngeren vorbereitet zu haben. Jungkook würde sich freuen! Vielleicht würde er es nicht offen zeigen, doch insgeheim war der Jüngere sehr emotional, und er würde sich... sicher... freuen...
Taehyung gab seinen wüsten Gedanken einen Halt, als eine einzelne Träne seine Wange hinunter kullerte, sich einen Weg über sein bitteres Lächeln bahnte und von seinem Kinn auf seinen Handrücken tropfte. Seine Hand verkrampfte sich um den Tragegriff. Seine Miene verzog sich.
Und er begann zu weinen.
Er weinte sich die Seele aus dem Leib, wischte sich die endlos scheinende Tränenflut mit der freien Hand alle paar Sekunden weg und kniff die Augen zusammen. Wieso weinte er? Wieso fühlte sich seine Brust so komisch an? Wieso... schmerzte sein Herz so sehr? Das war so unfassbar grotesk. Er hatte keinen Grund zu weinen – sollte ihm nicht eigentlich nach Freudensprüngen sein? Ein Kim Taehyung weinte nicht. Vor allem nicht, seit er Jungkook verloren hatte und beschloss, nie wieder Tränen zu vergießen.
Denn er hatte kein Recht dazu. Ein Versager wie er, der nicht mal auf seinen jüngeren Partner aufpassen konnte, hatte kein Recht dazu.
Ich hatte schon immer Angst... dich nicht beschützen zu können.
Sein Blick streifte den gebrochenen Arm des Jüngeren und den Verband um dessen Kopf. Gebrochener Arm, verstauchtes Bein, Kopfwunde und geprellte Rippen; das waren die Worte des Arztes.
Und ich konnte es wirklich nicht.
Mit einem Mal sank er auf die Knie, presste sein Gesicht gegen die Bettlaken und schluchzte unaufhörlich.
Du warst es, der mich beschützt hat. Schon die ganze Zeit über.
Seine Hand krallte sich in das weiße Laken.
Und ich war wütend auf dich...
Mit geschwollenen Augen und nassen Wangen blickte er wieder auf, näherte seine Hand blind der des Jüngeren und verhakte seine Finger mit denen Jungkooks, während er ihm weiterhin ins Gesicht sah. Und vorsichtig, als könnte Jungkooks Hand sonst zerbrechen, zog er diese näher an sich heran.
„Es tut mir leid", waren die einzigen Worte, die heiser und schwach seine trockenen Lippen verließen, ehe er den Arm des Jüngeren vollends umklammerte – als hätte er Angst, er würde wieder verschwinden – und der Stille verfiel.
Und ab diesem Tag, so schwor sich Kim Taehyung, würde er Jungkook um jeden Preis beschützen.
Denn er... war es ihm schuldig.
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Remember me ♛ VKook「50% Texting」
FanficKim Taehyung Ich vertraue dir nicht. Kim Taehyung Aber deswegen bist du noch lange kein schlechter Mensch. Unbekannter Bist du dir da wirklich so sicher? Kim Taehyung ? Wenn zwischen Mord und Totschlag Freundschaften entstehen, die eigentlich als Fe...