Nach gewisser Zeit hatte Taehyung es geschafft, den Jüngeren zurück ins Wohnzimmer zu befördern. Obwohl es schon nach zwei Uhr nachts war und Taehyungs Mühe in den letzten Tagen generell mit nur sehr wenig Schlaf kompensiert wurde, so entschied er sich dennoch den breiten Flachbildfernseher anzuschalten und gemeinsam mit dem Jüngeren zufällige Folgen eines amerikanischen Krimis zu konsumieren. Es galt Jungkook damit abzulenken. Zwar hatte sich dieser beruhigt, doch Taehyung kannte ihn gut und wusste, dass er innerlich immer noch an den früheren Geschehnissen festhielt, sich Vorwürfe machte. Letzten Endes war Jungkook der Weltmeister schlechthin gewesen, wenn es darum ging, große Probleme für sich zu behalten, und irgendein dumpfes Gefühl in Taehyungs Magengegend verriet ihm überdeutlich, dass diese Eigenschaft ihren Weg nun wieder vollständig zum Jüngeren zurückgelegt hatte.
Er selbst dachte dabei an Jungkooks Worte zurück. An den Schmerz der Liebe, um genau zu sein... und irgendwie wurde ihm ein wenig komisch dabei. Es kam ihm so vertraut vor. Er konnte es gut nachvollziehen, obwohl er es selbst nie als Liebe definiert hatte.
„Das stimmt nicht", hörte er daraufhin den Jüngeren flüstern.
Jungkook lag mit halboffenen Augen neben Taehyung, sein Kopf schön auf dessen linken Schenkel gebettet, während seine dunklen Iriden den flimmernden Bildschirm reflektierten. Wie gebannt starrte er darauf. Es schien, als begrüßte er diese Art von Ablenkung, was auf eine künftig rationalere Sichtweise auf die Geschehnisse hoffen ließ – schließlich traf ihn nach wie vor keinerlei Schuld daran. Er musste es nur einsehen.
„Er kann nicht der Täter sein; siehst du die Spuren an seinen Knien?"
„Welche Spuren?", hinterfragte Taehyung daraufhin verwirrt.
„Genau", stimmte ihm Jungkook dann zu und obwohl der Ältere normalerweise nachgebohrt und ihn für die fehlende Nachvollziehbarkeit seiner Sätze zurechtgewiesen hätte, ließ er ihn diesmal getrost damit davonkommen. Es war nicht die einzige und bestimmt auch nicht die letzte Aussage seitens Jungkook seit dem Beginn des Serienmarathons gewesen. Immer mal wieder kamen kurze, knappe Bemängelungen oder Korrekturen der Schlussfolgerungen der vermeintlichen Detectives, während Taehyung sich ab und an knurrend darüber beschwerte, wie einfach und unrealistisch ihre Arbeit im Fernsehen dargestellt wurde. Als würde ein einzelner Staubpartikel tatsächlich für die definitive Überführung eines Täters genügen, und als würden tagtäglich Autos in die Luft fliegen. Wo kämen sie denn da hin?
„Bücher sind in der Regel etwas realitätsnäher", äußerte Taehyung beim Abspann der Folge und gähnte leise. „Oder ältere Serien wie Detektiv Columbo und Miss Marple."
Doch die Antwort des Jüngeren darauf blieb aus. Als Taehyung dann an sich hinuntersah, verstand er auch weswegen; die Augen Jungkooks waren geschlossen. Leise und regelmäßig atmete er im Schlaf, was sich durch das milde Senken und Heben seiner Brustregion äußerte. Die Lippen seines ehemaligen Partners standen einen kleinen Spalt offen, gaben die Sicht auf zwei weiße Vorderzähne frei, und in seinen kraftlosen Händen lag Taehyungs Unterarm sanft umschlungen. Es war ein erleichternder, zufriedenstellender Anblick für den Älteren. Endlich mal ein ruhiges Schlummern ohne Albträume, ohne Fieber, ohne Zittern. Sie hatten heute ein sehr intensives Gespräch geführt, indem Jungkook ihm alle Details aus seinen Erinnerungen erzählte; einerseits, damit sich Taehyung für seine Ermittlungen ebenfalls ein besseres Bild machen konnte, andererseits, damit er dem Jüngeren danach mehrfach versichern konnte, immer wieder wie in einem Mantra, dass er es nicht hätte besser tun können. Nicht, wenn er keinen Einblick in die Zukunft hatte.
„Das war sicher nicht das Ziel von Jimin gewesen", flüsterte er dem Schlafenden also in seiner tiefen, ruhigen Tonlage zu und fuhr mit seiner freien Hand langsam durch dessen weiches Haar. „Er wollte dir helfen und dich nicht noch mehr leiden lassen, Kleiner." Mit dem Zeigefinger umspielte er die seidig feinen Strähnen des Jüngeren und beobachtete diesen in seinem Schlaf. Ganz willkürlich fragte sich Taehyung auch, wovon er wohl träumte, ob er gerade Erinnerungen von damals sah... von ihren gemeinsamen Zeiten. Die Fragmente seiner Vergangenheit schienen anachronistisch aufzutauchen; sie waren zeitlich schwer einzuordnen, doch insgesamt handelte es sich um recht nahe Ereignisse. Vielleicht bewegte sich sein Gedächtnis ja durcheinander von neueren Ereignissen zu älteren. Er wusste es nicht – denn Amnesie kannte er zugegebenermaßen lediglich aus Filmen und realitätsfernen Dramen.
Während er das Gesicht des Jüngeren also nachdenklich inspizierte, drohte er kurzerhand einzudösen, spürte die Trägheit seiner Lieder und das Streben seines Körpers nach Ruhe, Entspannung sowie Schlaf. Und tatsächlich wäre er fast eingeschlafen. Er wäre es, wenn nicht plötzlich sein Handy in seiner Jeanstasche vibriert hätte.
Etwas genervt und gleichzeitig froh darum, das Handy zuvor von Ton auf Vibration umgestellt zu haben, griff er in seine Gesäßtasche und befreite gleichzeitig sachte seinen anderen Arm aus Jungkooks losem Griff. Als er jedoch den Anrufer sah, blinzelte er ein paar Mal ungläubig. Der Bildschirm seines Mobiltelefons blendete ihn in dieser Dunkelheit ohnehin, also nahm er sich erst Zeit, seine Augen zu reiben und sich dann wieder vergewissernd dem Anrufer zuzuwenden – doch tatsächlich stand da ein Name, den er nie als eingehenden Anruf wahrzunehmen prognostiziert hätte. Nie.
Er stand vorsichtig auf, darauf bedacht, den Jüngeren nicht zu wecken; bettete dessen Kopf stattdessen auf ein Kissen und trat dann langsam in Richtung Küche.
Dann nahm er den Anruf entgegen.
„Ich dachte, du hasst Anrufe?", fragte Taehyung geradewegs in den Hörer und lehnte sich gegen die glatte Tischkante der Kücheneinrichtung. „Lässt du deine Sozialphobie jetzt endlich behandeln oder-"
„Lass den Mist", kam es sogleich zurück und ein leises, wütendes Schnauben war zu vernehmen. „Ich hatte keine Wahl – du hast auf meine Nachrichten nicht reagiert."
Die feste Tonlage des Anrufers verwunderte Taehyung jedoch. Irgendwie wirkte er... panisch und gestresst zugleich?
„Was ist passiert, Yoongi?", fragte Taehyung nun also gerade heraus und erntete so ein verzweifeltes Auflachen aus der anderen Seite der Leitung. „Ich hatte meinen Nachrichtenton für die letzten paar Stunden auf stumm gestellt, da ich... beschäftigt war."
„Geh auf den Chat mit Jungkook."
„Jungkook? Du hast noch Zugriff auf mein Handy?" Kurz verstand Taehyung nicht – doch als es dann doch noch Klick machte, weiteten sich prompt seine Augen. Eilig stieß er sich von der Tischkante, trat einige Schritte in Richtung Kücheninsel und stützte sich dann an dieser ab. „Du meinst den Chat mit dem Feuerteufel?", fragte er daraufhin. „Hat er... geantwortet?"
Yoongi nickte. Dann wurde ihm bewusst, dass der andere das unmöglich sehen konnte, also gab er ein lakonisches „Ja" von sich. Daraufhin, als auf Taehyungs Seite der Leitung Stille herrschte, fuhr er fort und sagte:
„Er hat geschrieben, dass er dir das Herz herausbrennen wird."
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Remember me ♛ VKook「50% Texting」
FanfictionKim Taehyung Ich vertraue dir nicht. Kim Taehyung Aber deswegen bist du noch lange kein schlechter Mensch. Unbekannter Bist du dir da wirklich so sicher? Kim Taehyung ? Wenn zwischen Mord und Totschlag Freundschaften entstehen, die eigentlich als Fe...