„So war das also", brummte Herr Jeon nachdenklich und faltete seine großen Hände über der Tischplatte. Er und Taehyung hatten über Stunden hinweg ein ausgiebiges Gespräch über die bisherigen Ereignisse des Falles geführt; inklusive der inoffiziellen Teile Jungkooks Rückkehr betreffend, exklusive natürlich den romantischen Interaktionen zwischen den beiden Partnern sowie der Amnesie. Dieser Austausch von Informationen erfolgte pragmatisch, gänzlich rational – und trotzdem glaubte Taehyung das eine oder andere Mal Emotionen im festen Blick des Polizeioberhauptes erhaschen zu können. Hin und wieder sah er einen Anflug von Schmerz in diesen ansonsten so kalten, berechnenden Augen, und manchmal erkannte er gar die Funken der aufflammenden Wut in ihnen aufblitzen, registrierte sie an der trotziger Art und Weise, wie der ältere Mann unzufrieden durch die Nase schnaubte, seine gesenkten Brauen sich plötzlich um ein paar weitere Millimeter zusammenzogen.
Diesen Feststellungen konnte Taehyung jedoch nur begrenzt nachempfinden. Letzten Endes war das doch das Polizeioberhaupt von Busan, hatte in seiner bisherigen Karriere bestimmt unzählige schlimmere Fälle bearbeiten müssen, und an diesem Fall waren doch nicht mal seine Männer beteiligt. Weshalb also schlichen sich Gefühle in diese steinernen Züge? Womit sympathisierte ein Mann wie er, vor dem sich selbst das Wasser zweiteilen würde? Das Verhör war bereits beendet, und dennoch saß er noch einige Minuten vor Taehyung, sah mit einem unergründlichen Blick an ihm vorbei und schien etwas zu verarbeiten, zu bedenken, ehe er lautlos seufzte, sich mit Zeigefinger und Daumen den Nasenrücken massierte. Taehyung beobachtete ihn bloß stumm dabei.
„Für die Umstände muss ich mich aufrichtig Entschuldigen, Officer Kim", gestand Herr Jeon daraufhin, wirkte allmählich irgendwie erschöpft. „Und mich dafür bedanken, dass Sie sich so fürsorglich um meinen Sohn gekümmert haben."
Taehyung nickte nachdenklich. Zumindest, bis die Bedeutung hinter diesen Worten ihn erreichte, nahezu erschlug, und er mit großen Augen zu seinem Gegenüber blickte. Das konnte doch nicht... doch. Doch, genau so war es. Denn abgesehen vom Nachnamen erkannte er irgendwo Jungkook in diesen markanten Gesichtszügen; an der deutlichen Kieferpartie, am Haaransatz über der Stirn und an Nasenform sowie Kinn. Das Antlitz seines Vaters war selbstverständlich kantiger, deutlicher, schlichtweg erwachsener, doch nichtsdestotrotz war da eine gewisse Kongruenz auszumachen, die ihn deutlich zu einem Verwandten erklärte. Da war auch etwas am Akzent. Die Betonung der Konsonanten, die die Vokabeln auf eine angenehme aber doch nicht ganz gewöhnliche Weise verbanden, ganz beiläufig und unmerklich von ihren Wurzeln außerhalb Seouls zeugten. Ja, das war er. Das war Jungkooks Vater, so wie er leibte und lebte.
Doch anstatt seine Verwunderung zu zeigen räusperte sich der junge Polizist lediglich, ehe er etwas zögerlich meinte: „Jetzt verstehe ich... woher er das hat."
„Wie?"
„Seine Gabe", fuhr Taehyung fort. „Jeon Jungkook, Ihr Sohn, hat eine bemerkenswerte Kombinationsgabe. Ohne ihn befände sich der Fall vermutlich noch im Anfangsstadium, er-"
„Der Junge ist nicht dazu gemacht, ein Polizist zu sein", kam es trocken zurück. Die Miene des Älteren duldete keinen Widerspruch, ließ keine andere Meinung zu, als sich mit einem Mal all seine Autorität und Härte alleine in seinem Ausdruck widerspiegelten. Und obgleich er nun so streng erschien, so konnte Taehyung dennoch eine milde Spur der ehrlichen, väterliche Sorge darin ausmachen. Da war etwas tief in ihm verwurzelt, etwas, das ihn wohl um Kummer und Angst bescherte, sobald es um seinen Sohn ging – etwas, das ihn Jungkooks Verlust fürchten ließ. Taehyung las ihn, so wie er Jungkook immer lesen konnte; denn sobald die Thematik zu seinem Sohn wich, so wurde er transparent. Sein Sohn war ganz offensichtlich seine Schwachstelle, sein wunder Punkt, genauso wie dieser es für Taehyung war. Jemand, für den er Kopf und Kragen riskieren würde.
„Denken Sie das aufgrund der Ereignisse?", bohrte Taehyung daraufhin vorsichtig nach und betrachtete sein Gegenüber mit einer undeutbaren Miene der Emotionslosigkeit. Er wusste um die Brillanz des Polizeioberhauptes vor ihm und wollte sich nicht an irgendwelchen Gefühlen verraten, die möglicherweise auf seine Liebe für Jungkook zurückführen könnten. „Ich war sein Partner, Polizeioberhaupt Jeon. Natürlich braucht er noch etwas Training, doch aus ihm könnte ein Polizist werden, so wie Sie einer sind."
„Ich wusste schon vor den Ereignissen, dass es sich bei dieser Arbeit nicht um seine Berufung handelt." Herr Jeon verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück. „Sie wissen vermutlich bereits von Jungkook davon, Officer Kim, doch ich habe ihm die Polizeischule verweigert und er... ist daraufhin heimlich eines nachts ausgezogen. Seitdem hat er sich nicht mehr bei mir gemeldet. Er stürzt sich von einem gefährlichen Fall in den nächsten, steckt überall seine Nase rein, so wie er früher immer unbemerkt in meinen Wagen geschlichen ist und an den Tatorten herumgeschnüffelt hat. Er vergisst sich selbst dabei; ganz gleich, wie oft ich es ihm auch eintrichtere, ihm ist sein eigenes Wohlbefinden dabei vollkommen gleichgültig. Bis er in der Bredouille steckt. Und das tut er jetzt."
Ein guter Vater, das war zu erkennen. Aber auch wenn er sein Herz am rechten Platz hatte, so setzte er seinen wohlwollenden Willen erziehungstechnisch wohl nur mit mäßiger Richtigkeit um.
„Tatsächlich wusste ich das noch nicht", erwiderte Taehyung daraufhin stumpf. Gerade fiel ihm nämlich auf, wie unfassbar wenig er über seinen jüngeren Partner wusste – er hatte keine Ahnung von dessen Vorgeschichte oder von der Tatsache, dass es sich bei seinem Vater um das Polizeioberhaupt von Busan handelte. Doch er konnte sich gleichzeitig auch denken, weshalb ihm der Jüngere nichts davon erzählt hatte, also seufzte er einmal auf und setzte sich wieder in eine aufrechte Position. „Jungkook redet nicht gerne über Dinge, die ihn belasten. Er versucht vielmehr alleine damit zurechtzukommen und niemandem eine Bürde zu sein... vielleicht ist er deswegen gegangen. Weil er dachte, er wäre Ihnen eine Bürde."
„Woher wollen Sie das wissen?"
Taehyung senkte seinen Blick zu seinen Händen. Auch in seinen Augen zeigte sich nun Reue, Sorge und eine Spur der Schuld, während er seine Finger knetete und unsicher auf seine Unterlippe biss. „Als es mit dem Fall brenzlig wurde", begann er daraufhin zu erzählen. „Da ist er aus dem Büro gerannt und hat sich nach einem kurzen Telefonat nicht mehr gemeldet. Er wollte mich nicht mitreinziehen. Es tut mir aufrichtig leid, als sein Partner versagt zu haben."
Polizeioberhaupt Jeon bedachte ihn daraufhin wortlos, schien zu analysieren, zusammenzusetzen, ehe er die Ehrlichkeit hinter den Worten des anderen erkannte, einmal bedauerlich nickte und sich von seinem Stuhl erhob. Taehyung fühlte sich derweil schlecht. Er empfand Schuldgefühle dafür, dem Vater seines Partners, Freundes und... Geliebten dessen Amnesie zu verheimlichen. Er musste damit warten, bis sich die Lage etwas beruhigt hatte, denn dieser Mann... würde Jungkook zweifelsohne als unzurechnungsfähig für eine Aussage in diesem Fall erklären, sobald er davon erfuhr. Etwas, was die Beweislast für den wahren Täter ungewollt mildern würde.
„Wissen Sie, wo sich Jungkook gerade aufhält?", fragte Herr Jeon daraufhin mit seiner üblichen, tiefen Stimme. Als er Taehyung kurz darauf den Kopf schütteln sah, strich er sich mit der Rechten knapp über sein glattgegeltes schwarzes Haar und wandte sich ihm dann wieder zu.
„Nach Ihrer Geschichte ist mir folgendes bewusst geworden, Officer Kim", kündigte er an. „Der Feuerteufel ist außer Kontrolle, hat sein Muster verlassen und ist somit unberechenbar. Und er hält Sie hier mithilfe des Gesetzes fest, um einen bestimmten misslungenen Mord nachzuholen."
Taehyung ließ die Worte in sich einsickern. Er ging sie in seinem Kopf nochmals durch, filterte sie – und als er letzten Endes ihren Hintergrund erkannte, da überrollte ihn eine Welle der Furcht, der puren Besorgnis und des Ärgers. Er spürte in jenem Augenblick, wie es ihm fröstelnd kalt den Rücken hinunterlief, wie die Härchen auf seinem Nacken sich nach und nach aufstellten, während sein Bewusstsein noch immer mit der neuen Erkenntnis umzugehen versuchte.
„Er wird sich Jungkook holen", dachte er daraufhin, und sprach es dabei unbewusst aus. Mit einer Stimme, die seine Angst nicht decken konnte.
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Remember me ♛ VKook「50% Texting」
FanfictionKim Taehyung Ich vertraue dir nicht. Kim Taehyung Aber deswegen bist du noch lange kein schlechter Mensch. Unbekannter Bist du dir da wirklich so sicher? Kim Taehyung ? Wenn zwischen Mord und Totschlag Freundschaften entstehen, die eigentlich als Fe...