„Er warnt die Opfer", flüsterte Taehyung vor sich hin und wippte mit seinem ledernen Stuhl vor und zurück. „Aber wie warnt er sie?"
Langsam begann die Zeit zu drängen. Bis zum nächsten angekündigten Regenfall würden sie zwar noch ein Weilchen haben, doch gleichzeitig wagte es keiner der beiden, sich auch nur für eine Minute zurückzulehnen und gedanklich vor diesem Fall zurückzuziehen. Sie mussten den Mörder schnappen, ehe es 2018 wurde, und ehe die Temperaturen wieder auf das Regenniveau stiegen – noch bevor der nächste Mord geschah. Und obschon der Druck in Taehyung sich von Tag zu Tag verstärkte, war es der Jüngere, dessen Nervosität bemerkenswert reduziert wurde.
Jungkook schien oft in Gedanken – oder eher seinem eigenen kleinen Gedankenpalast – doch das seltsame Zappeln und Stottern, die geringfügige Ausdrucksweise sowie seine gehetzte Art hatten abgenommen. So im Nachhinein überlegt, schien es gänzlich so, als hätte er sich im Stillen mit etwas Bestimmten abgefunden... und damals dachte Taehyung, dass es das Gewissen des Jüngeren gewesen war. Er hatte gedacht, dieser könne die Misserfolge des Falles nicht mit sich vereinbaren, würde eine schwere Schuld in sich tragen, obwohl er stets sein Bestes gegeben hatte und somit keinen Grund für Schuldgefühle haben sollte. Er dachte, Jungkook hätte sich deshalb so seltsam verhalten, sich nicht mehr unter Kontrolle gehabt.
Doch mittlerweile schien diese unbekannte Akzeptanz so, als würde er nicht anwesend sein.
So saß Jungkook auch an diesem Tag stillschweigend an seinem Schreibtisch, der ehemals warme Coffee-to-go vom Morgen unberührt und zu genüge abgekühlt neben seinem Bürotelefon, während er begleitet von den feinen Geräuschen seines schwarzen Lieblingskugelschreibers und in seiner vollsten Apathie wohl irgendwelche Gedanken in sein Notizheft transkribierte. Einmal hatte Taehyung ihm über die Schulter zu spähen versucht, doch stets wurde das Heft gleich darauf von dem Jüngeren zugeklappt. Es musste privat sein, dachte sich also der Ältere. Ein Tagebuch vielleicht? Doch statt sich diese Frage jedes Mal aufs Neue zu stellen, beschloss er, indes die bisherigen Anhaltspunkte des Feuerteufel-Falles zusammenzufassen.
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DER FEUERTEUFEL
Warnt die Opfer vor Zuschlag
Opfer versuchen Seoul zu verlassen
Opfer melden sich nicht bei der Polizei
Todeszeitpunkt: kurz vor angekündigtem Regen
Todesort: in der Nähe eines Flusses
Möchte vermutlich keine Brände auslösen
Evtl. traumatisches Ereign
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„Interessant", merkte Jungkook plötzlich an und sorgte somit dafür, dass Taehyung augenblicklich von seinem Stuhl aufsprang und dem Jüngeren einen geschockten Blick zuwarf. Schreckhaft wie eh und je, ohne jegliche Erwartungen, dass der Jüngere ihn an diesem Tag noch ansprechen würde. „Verdammt", stieß der Ältere kurz darauf aus, „schleich dich doch nicht so an, Kleiner!"
Dieser hob nur grinsend die Arme an und widmete sich dann wieder Taehyungs Notizen zu. Doch sein Partner blieb an seinem Gesicht hängen. Selten sah man Jungkook lächeln, nahezu nie und vielleicht war das gar das erste Mal gewesen, doch irgendwie wirkte sein Lächeln trotz einer leicht bübischen Spur etwas... traurig. Es war das typische Lächeln, welches man aufsetzte, um anderen keine Sorgen zu bereiten. Um vorzugeben, alles wäre in bester Ordnung. Doch da Jungkook ein Mensch war, den man nicht so leicht zum Lächeln bringen konnte, war es genau das, was ihn verriet.
„Traumatisches Ereignis?", fragte der Jüngere und blickte auf in Taehyungs Gesicht, nur um festzustellen, dass dieser ihn bereits beobachtete. Jungkook verhielt sich ruhig und entspannt. Er war NIE ruhig und entspannt gewesen, in all der Zeit ihrer kollegialen Partnerschaft nicht.
„Genau...", erwiderte Taehyung also tief, brach den Blickkontakt mit dem Jüngeren aber nicht ab. Irgendetwas war seltsam. „Wenn er nicht möchte, dass ein Brand durch ihn ausgelöst wird, könnte dahinter ein Trauma stecken." Und während er den Jüngeren beobachtete, schienen dessen Züge mit jeder einzelnen Sekunde unechter zu werden, vorgespielt. Eine Maske vor Sorgen, die er seit Wochen nicht hatte verbergen können, und bei denen er jeden abgeblockt hatte, der ihm ein offenes Ohr angebot.
„Das... klingt plausibel", antwortete Jungkook daraufhin mit einem Hauch von Unsicherheit. „Brandnarbe."
„Was?"
„Wenn er ein traumatisches Ereignis hatte, hat er vielleicht eine Brandnarbe", erläuterte der Jüngere und presste die Lippen aufeinander. „War meine Ausdrucksweise jetzt in Ordnung?"
Und obwohl Taehyung sich Sorgen um seinen jüngeren Partner machte, entlockte ihm diese Frage ein schiefes Lächeln. Noch nie hatte sich Jungkook wirklich mit den Anmerkungen seines älteren Partners beschäftigt; es war kurios, dass er sie ausgerechnet jetzt in Betracht zog. Dennoch schüttelte Taehyung trotz aller Ehre den Kopf und blickte seinem Partner ernst sowie sorgevoll in die Augen.
„Du weißt, du kannst bei Problemen jederzeit zu mir kommen?"
Das warf den Jüngeren kurzzeitig aus der Bahn. So entgleisten ihm alle Gesichtszüge, während wieder etwas Nervosität zum Vorschein kam, seine Miene um ein Vielfaches verblasste. Erneut presste er seine Lippen aufeinander, schien abzuwägen, ob und wie er etwas Bestimmtes beichten sollte...
... und dann erklang das einmalige Klingelgeräusch einer eingegangenen Nachricht.
Ohne auch nur den Bruchteil einer Sekunde zu zögern, zog Jungkook sein Handy aus der Hosentasche seines schwarzen Trousers und warf einen verwirrten Blick auf dessen Display. Dank der Lichtspiegelung konnte Taehyung jedoch nicht mitlesen; er sah lediglich, dass das Glas des Bildschirms von einem deutlichen Bruch zeugte, der sich quer hindurchzog. Aufgesprungen, sauber. Seltsam, wenn man bedachte, wie geschickt Jungkook denn eigentlich mit seinen Habseligkeiten umging. Natürlich war er nicht sonderlich umsichtig, zwar, doch trotz seiner nervösen Art auch alles andere als tollpatschig.
Doch wie sehr es Taehyung auch wundern mochte, so waren die Gesichtszüge des Jüngeren um einiges interessanter. Er sah irritiert aus, versuchte ganze drei Mal, mit dem Daumen das Entsperrmuster für sein Handy anzugeben – und doch funktionierte es nicht.
Und dann sah man auf seinen Zügen etwas wie Eingebung. Ein blitzartiger Moment, der zeigte, dass er etwas begriffen hatte. Dass er hinter etwas gekommen war.
„Ich muss kurz weg", verabschiedete er sich halbherzig und rannte hinaus, ohne nach seiner Jacke zu greifen.
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Remember me ♛ VKook「50% Texting」
FanfictionKim Taehyung Ich vertraue dir nicht. Kim Taehyung Aber deswegen bist du noch lange kein schlechter Mensch. Unbekannter Bist du dir da wirklich so sicher? Kim Taehyung ? Wenn zwischen Mord und Totschlag Freundschaften entstehen, die eigentlich als Fe...