1. Kapitel

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"Packst du bitte noch deine Sachen aus dem Badezimmer zusammen?"

Meine Mutter stand mit verschränkten Armen in der Tür und sah mich fordernd an. Ich verdrehte bei ihren Worten nur die Augen. Ich lag auf meinem behelfsmäßigem Bett und starrte wortlos an die Decke. Das war das einzige, was ich in den letzten Tagen tun konnte. Der Rest meines Zimmers war bereits verschwunden. Sicher verpackt in mehreren Umzugskartons. Der Umzug. Das war das einzige Thema, das mich in den letzten Wochen nicht mehr losließ. Meine Mutter war irgendwie auf die Idee gekommen, dass uns ein Tapetenwechsel sicher gut tun würde. Mit 'uns' damit meinte sie eigentlich nur sich selbst. Ich konnte ja verstehen, dass sie sich in dem großen Haus nicht mehr wohl fühlte. Nicht nachdem Dad sie für ein sicher 20 Jahre jüngeres Modepüppchen sitzen gelassen hatte. Ich war deswegen auch mehr als wütend auf ihn und hatte nur das nötigste mit ihm geredet, denn irgendwie hatte er so auch mich verlassen und zurück gelassen. Aber mindestens genauso wütend war ich auf meine Mom, die mich nun in diese Situation brachte. Ein Umzug nach Seoul! Wer kam denn auf so eine Idee? Nur meine verrückte Mutter konnte auf so eine Idee kommen.

Für sie war ein Umzug nach Südkorea sicher ein willkommener Tapetenwechsel, immerhin war sie in Seoul aufgewachsen und sie erzählte oft genug von ihrer Heimat, aber was sprang für mich dabei heraus? Ich kannte von dieser Kultur nichts. Ich hatte mein gesamtes Leben in Deutschland verbracht. In einem ruhigen Ort im ländlichen Stil, nur etwa eine Stunde von Berlin entfernt und ich war ziemlich glücklich damit. Ich würde nicht in eine mir bekannte Umgebung zurückkehren. Für mich würde das alles neu sein. Ich ließ meine Freunde zurück. Ich ließ einfach alles zurück. Aber darauf wurde natürlich mal wieder keine Rücksicht genommen.

"Du wirst neue Freunde finden." hatte meine Mutter geantwortet, als ich ihr gegenüber meine Bedenken geäußert hatte. Sie hatte mir noch nicht einmal richtig zugehört. Es war als würde ich gegen eine Wand reden. Alle meine Einwände hatte sie schlichtweg mit einer einfachen Handbewegung abgetan. Ich hasste es, wenn sie so etwas tat. Da fühlte ich mich einmal mehr wie ein unbedeutender Teil in dieser Familie. Ich kam einfach nicht zu Wort und wenn ich einmal das Wort ergriff, hörte mir sowieso niemand zu. Ich seufzte laut, was meiner Mutter auch nicht verborgen blieb. Ich machte trotzdem keine Anstalten in das Badezimmer  zu gehen und meine letzten Sachen zusammenzupacken.

"Mihee, hast du mir eigentlich zugehört?" Das einzige, was ich mit der koreanischen Kultur gemeinsam hatte war mit Abstand mein Name. Der hatte schon für viel Verwirrung gesorgt. Yu Mihee. Meine alten Grundschullehrer hatten damals alle denselben Fehler gemacht und mich mit meinem Nachnamen Yu angesprochen, anstatt mit meinem richtigen Vornamen. Damals war ich noch zu schüchtern gewesen, dass ich nicht einmal ansatzweise gewagt hatte meine Lehrer zu korrigieren und seitdem war ich für alle Yu gewesen. Bis meine Mutter das Missverständnis auf einem Elternabend auflöste und alle herzlich darüber lachten. Alle außer mir wohlgemerkt. Für meine engsten Freunde blieb ich trotzdem Yu.

Meine Mutter schnalzte missbilligend mit der Zunge. Eine weitere Sache, die ich hasste, wenn sie sie tat. Genervt schob ich die Kopfhörer von meinem Kopf, entfernte mich so aus meiner geschützten Welt und sah sie herausfordernd an.

"Was ist?", fragte ich schnippisch und Mom sah mich einige Sekunden lang wortlos an. Ich konnte sehen, wie sie innerlich versuchte abzuwägen, ob ein weiterer Streit sich lohnen würde. Gerade wo der Flug schon am nächsten Tag bevorstehen würde. Ich hoffte beinahe sie würde darauf eingehen. Dann hätte ich wenigstens eine Ausrede um zu meiner besten Freundin zu flüchten. Zu meinem Leidwesen ging sie nicht darauf ein.

"Pack bitte deine Sachen zusammen.", sagte sie schließlich und zeigte auf die Badezimmertür am anderen Ende des Flurs. Hinter ihrem Rücken tauchte nun auch mein kleiner Bruder Jitae auf, der provozierend die Zunge herausstreckte. Ich ignorierte ihn geflissentlich, wie eigentlich immer, was mich ziemlich viel Selbstbeherrschung kostete, gerade in den letzten Tagen. In letzter Zeit waren meine Nerven quasi jede freie Sekunde bis zum Reißen gespannt. Der bevorstehende Umzug war dabei noch eins meiner kleinsten Probleme.

Seesaw (BTS Fan-Fiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt