86. Kapitel

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Ich hatte mir in dem Jahr, das wir uns nicht gesehen hatten, oft vorgestellt, wie es wohl sein würde, ihn wieder zu treffen. Wie würden wir uns entgegen treten? Wie Bekannte? Wie Freunde? Oder gar wie Fremde? Der Gedanke allein gefiel mir nicht besonders. Dass die Zeit, die wir miteinander, sowohl als Freunde als auch als Paar zusammen verbracht hatten, umsonst gewesen sein könnte.

Ich wollte und konnte ihn als Mensch nicht aus meinem Leben streichen. Das war eine Erkenntnis, die ich in den letzten zwölf Monaten gemacht hatte. Es war die erste auf einer langen Liste. Die zweite wichtige Erkenntnis war, dass ich immer Gefühle für ihn haben würde. Egal, ob wir uns das nächste Mal als Freunde oder Fremde begegnen würden.

Diese zweite Erkenntnis war es, die mir mein Leben ungemein erschwerte. Ich schlief immer schlechter und ich fragte mich immer öfter, wann und wie ich ihn wohl wiedersehen würde. Würde er sich noch einmal mit mir treffen wollen, wenn ich ihn kontaktieren würde? Und wie konnte ich ihn überhaupt kontaktieren? Sämtliche Telefonnummern von Suji, Yoongi und den Jungs hatte ich nicht mehr, seit mein Handy kaputt gegangen war. Ich hatte sie auch nie irgendwo notiert. Ich war so naiv gewesen zu denken, dass, wenn ich ihn traf, dann würde ich nie mehr den Kontakt zu ihm verlieren. Nicht so wie in unserer Schulzeit. Die Entscheidung alles dem Schicksal zu überlassen, war hirnverbrannt gewesen. Ich hätte die Nummer irgendwo notieren sollen, auch wenn ich keinen Blick mehr darauf geworfen hätte. Selbst wenn nur eine ein prozentige Chance bestand, dass ich es irgendwann doch tun würde.

Trotzdem war ich mir nicht sicher, ob ich, wenn ich seine Telefonnummer hatte, überhaupt den Mut zusammenbringen konnte, ihn erneut zu kontaktieren. Ich würde nicht wissen, was ich sagen sollte. 

"Ist das in Ordnung?"

Die Frage meiner Chefin kam unerwartet. 

"Oder haben Sie etwas dagegen?", erkundigte sie sich und obwohl ich liebend gern genickt hätte, schüttelte ich den Kopf. Ich konnte ihr nicht so vor den Kopf stoßen. Nicht nach allem, was sie für mich getan hatte. Nach den Zeitungsartikeln wäre es ein leichtes für sie gewesen, mich einfach fristlos zu kündigen, aber sie hatte nicht viel auf die Berichte der Presse gegeben. Sie hatte mich angeschaut, einen Augenblick lang überlegt, der sich für mich damals wie eine Ewigkeit anfühlte, und hatte mich angelächelt. 

"Machen Sie sich keine Sorgen.", hatte sie gesagt und sich um alles weitere gekümmert. Ich war nicht eine Sekunde lang im Café bedrängt worden, selbst als einige Reporter meine Arbeitsstelle herausgefunden hatten. Keiner von ihnen näherte sich mir auf mehr als zehn Schritte. Meine Chefin erkannte die Unruhestifter, sobald sie in das Café betraten und sorgte dafür, dass sie mir keine Probleme bereiten würden.

Auch ein Jahr später machte sie sich noch Sorgen um mich. Selbst als ich nun mit dem Kopf schüttelte, beobachtete sie mich abschätzend. Ich versuchte mein Lächeln zu vertiefen.

"Ich hab wirklich kein Problem damit. Es läuft sowieso nur im Hintergrund. Ich werde kaum Zeit haben mir die Konferenz anzuschauen." 

Mit einem Blick in den Gastraum nickte sie bedächtig. Heute war wirklich mehr los als normalerweise, deswegen glaubte sie meiner Aussage zögernd. 

"Es ist nur so, dass viele Leute danach gefragt haben. Gestern war ihr letztes Konzert und heute blicken sie auf ihre Welttournee zurück. Deswegen sind so viele Menschen daran interessiert.", versuchte sie sich zu erklären, aber es gab nichts wofür sie sich vor mir hätte rechtfertigen müssen. Es war ihre Entscheidung und daran konnte ich nichts ändern. Ich war an ihre Entscheidungen gebunden, nicht andersherum. Allein der Fakt, dass sie sich bei mir erkundigte, ob es in Ordnung sei, die Veranstaltung live auf unseren Fernsehbildschirmen auszustrahlen, war mehr als genug in meinen Augen. 

Seesaw (BTS Fan-Fiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt