60. Kapitel

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"Wie lange müssen wir eigentlich noch arbeiten?" Sana seufzte.

"Mihee, wir haben erst vor zwei Stunden angefangen.", sagte sie einerseits belustigt, andererseits auch ein wenig genervt. Ich hatte sie dieselbe Frage schon mindestens viermal, jetzt fünfmal, gefragt. Ich vergrub mein Gesicht in den Händen.

Es war einer dieser Tage, an denen die Zeit einfach nicht umgehen wollte. Man schaute auf die Uhr und einige Minuten später, die sich wie Stunden angefühlt hatten, musste man feststellen, dass nur eine Minute vergangen war, seitdem man das letzte Mal mit müden Augen die Zeiger der Uhr verfolgt hatte.

Heute war definitv nicht mein Tag. Nach nur zwei Stunden Arbeit verschüttete ich gleich dreimal Kaffee auf meiner Schürze und brachte einem Pärchen die falsche Bestellung. Glücklicherweise sahen sie es nicht so schlimm und lächelten mich liebenswürdig an, als ich ihnen die richtige Bestellung gefolgt von unzähligen Entschuldigungen brachte.

"Ich hab auch mal in einem Café gearbeitet.", erinnerte sich die Frau und ihre Augen schweiften tatsächlich in die Ferne, als würde sie sich an eine schöne Zeit zurückerinnern. Sie lächelte mich aufmunternd an.

"Heute ist einer solcher Tage, was?"

Sie wusste genau wovon sie sprach. Ich nickte bloß und sie lächelte mich breit an.

"Das geht vorüber. Glaub mir.", sprach sie mir gut zu und ich schleppte mich wieder zum Tresen um neue Bestellungen aufzunehmen.

"Können wir nicht einfach fünf Stunden in die Zukunft springen und nach Hause gehen?", fragte ich verzweifelt.

Sana atmete tief ein.

"So funktioniert das leider nicht. Wir müssen es noch ein paar Stunden aushalten." Sie lachte und ich schmollte ein wenig. Ich wollte nicht hier sein. Ich wollte mich am liebsten in mein Bett kuscheln und die nächsten zehn Stunden nicht mehr aufstehen. Vor einer Woche hatte die Klausurenphase begonnen, doch während meine Kommilitonen fast tagtäglich bis mitten in die Nacht und darüber hinaus lernten, musste ich nebenbei noch Geld verdienen. Damit aber nicht genug, denn wenn meine Schicht im Café endete, begann meine Zeit zum Lernen erst richtig.

Das Architekturstudium hatte den Vorteil, dass man im Vergleich zu anderen Studiengängen wesentlich weniger schrifliche Klausuren schreiben musste. Stattdessen gab es unzählige Projekte, die über die Wochen bearbeitet werden mussten und den Studierenden den Schlaf raubte. Ich hatte mich bereits damit abgefunden, dass ich am Tag vielleicht vier Stunden schlafen durfte bis für mich ein neuer Tag begann. Als Ersti ahnte man davon nichts. Man glaubte sogar, dass alle Studenten aus den älteren Semestern maßlos übertrieben. Nach sechs Semestern musste ich schließlich feststellen, dass sie doch die Wahrheit gesagt hatten.

Irgendwann verschüttete ich erneut Kaffee und gähnte hinter vorgehaltener Hand. Sana sah endlich ein, dass ich vor der Theke zu nichts zu gebrauchen war und schickte mich in die Küche. Dort rief sie mir ihre Bestellungen zu und ich bereitete alles vor. Ich stellte die Kuchen und Getränke fein säuberlich auf die Tabletts und rief Sana zu, wann immer eine Bestellung fertig war. Ich wagte es nicht einmal mehr die Bestellungen nach vorne zu bringen, aus Angst wieder etwas zu verschütten. So arbeiteten wir eine gute Stunde schweigend nebeneinander her. 

In einem Moment der Ruhe ließ ich mich erschöpft auf einen Stuhl fallen und seufzte tief. Einen Augenblick lang schloss ich die Augen, öffnete sie aber gleich wieder. Glücklicherweise war unsere Chefin heute außer Haus, denn andernfalls hätte ich fürs Ausruhen sicher Ärger bekommen. Ärger, den ich sicherlich nicht gebrauchen konnte.

"Es gibt immer etwas zu tun." war wohl der Lieblingssatz unserer Chefin. Und sei es nur den Boden zu wischen oder die Kaffeemaschine zu entkalken. Irgendetwas gab es immer zu tun. 

Seesaw (BTS Fan-Fiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt