Meiner anfänglichen Verwunderung folgte schnell Freude darüber, dass Yoongi sich dazu entschieden hatte, mit mir die Zeit totzuschlagen. Ich war wirklich überrascht. Immerhin hatte er nicht viele Worte mit mir gewechselt. Wenn man mal davon absah, dass er fand, dass ich kein Leben besaß natürlich.
Ich lächelte ihn aufrichtig an. "Danke." Er lächelte ebenfalls schwach.
"Du musst aber nicht mit mir warten. Ich höre in der Zeit einfach Musik, das ist auch in Ordnung.", versuchte ich ihm einen Ausweg zu bieten, aber er schüttelte bestimmt den Kopf.
"Ist schon gut. Ich warte gerne." Irgendwie glaubte ich ihm das nicht, aber ich zuckte stumm mit den Schultern. Wenn er unbedingt wollte. War es unhöflich jetzt seine Kopfhörer herauszunehmen und Musik anzumachen? Ich warf einen verstohlenen Blick zu Yoongi, der nur geradeaus blickte und seufzte innerlich. Besser, wenn ich meine Kopfhörer bei mir behielt. Sonst wäre Yoongi im Nachhinein wirklich sauer auf mich. Richtig auf die Musik konzentrieren konnte ich mich in dieser Situation sowieso nicht, wenn Yoongi so stumm neben mir stand.
Er stand lässig an der Mauer gelehnt da und tippte mit dem Fuß auf dem Boden. An was er wohl gerade dachte? Ich konnte es mir wirklich nicht einmal ansatzweise vorstellen.
"Woran denkst du gerade?", fragte ich geradeheraus und er zuckte kurz zusammen. Anscheinend hatte ich ihn in seinen Gedanken unterbrochen. Ich sah ihn entschuldigend an.
"Ich hab an nichts gedacht." Das musste ja ziemlich interessant aussehen in seinem Kopf. Ich lachte leise in mich hinein. Auch wenn er am Anfang etwas merkwürdig auf mich gewirkt hatte, jetzt wo er so neben mir stand und mit mir wartete, war er ja doch ganz nett eigentlich.
"Warum bist du in Daegu?", fragte er unvermittelt und ich runzelte die Stirn. Hatten wir das nicht schon einmal gehabt?
"Das weißt du doch. Ich bin hier wegen meiner Mutter. Sie wurde hier hin versetzt oder besser gesagt, sie hat sich hierhin versetzten lassen."
Yoongi sah mich bei dem letzten Satz verständnislos an, sagte aber nichts. Ich fuhr fort.
"Gestern hat sie mir und meinem Bruder ihren neuen Freund Minseok- nur Minseok- vorgestellt." Ich schüttelte den Kopf. Wut überkam mich allein bei dem Gedanken.
"Scheiße." Das war alles, was der Junge neben mir dazu hervorbrachte, aber in seiner Stimme hörte ich, dass er mich verstand. Und mehr gab es ja auch nicht wirklich zu sagen. Es war scheiße.
"Das muss schwierig für dich sein.", sagte er nach ein paar Sekunden in vollkommener Stille, in der wir nur die entfernten Autos hupen hören konnten. Ich nickte stumm. Ich konnte nicht einmal in Worte fassen, wie verraten ich mich fühlte. In letzter Zeit schien in meiner Familie wirklich gar nichts mehr zu funktionieren. Erst suchte sich mein Vater eine neue Freundin, dann der Umzug und nun hatte auch Mom einen neuen Typen, und mit ihr auch mein Bruder und ich.
So schnell würden wir ihn bestimmt nicht los werden.
"Ich kann dich verstehen." Auf Yoongis Gesicht trat ein schwaches Lächeln und ich hob die Augenbrauen in die Höhe.
"Sind deine Eltern auch getrennt?", fragte ich zögernd und er schüttelte zu meiner Überraschung den Kopf.
"Manchmal wünschte ich es mir." Es war kaum mehr ein Flüstern, das Yoongis Mund verließ und trotzdem konnte ich es mehr als deutlich hören. Ich seufzte. Dieses Gefühl kannte ich. Schon vor ein paar Jahren hatte ich das Gefühl gehabt, dass sich meine Eltern nicht mehr so gut verstanden wie sie es einmal taten und ich hoffte inständig, dass sie sich trennen würden. Zu unserer aller Wohl. Als sie meinem Bruder und mir dann die Wahrheit gesagt hatten, war es trotzdem unglaublich schwierig für mich gewesen, das alles zu verarbeiten. Auch wenn ich es mir zuvor gewünscht hatte.
"Ich kenne das.", murmelte ich leise und Yoongi nickte leicht. Den Rest der Zeit verbrachten wir wieder schweigend. Es war kein unangenehmes Schweigen, es war sogar recht angenehm. Immer mehr Schüler bahnten sich ihren Weg nach draußen an uns vorbei. Ich hatte das Gefühl, dass allein Yoongi und ich zurück blieben.
Ein schwarzer Wagen fuhr schließlich vor und hielt direkt vor uns an. Wir waren die einzigen, die noch vor dem Gebäude standen. Als das Auto vor uns zum Stehen kam, hob ich den Blick. Meine Mutter schaute uns entgegen und lächelte breit. Neben ihr kam Minseok zum Vorschein. Ich schluckte schwer. Ich hatte absolut keine Lust auf ihn. Yoongi sah meinen Gesichtsausdruck und sah mich mitleidig an.
"Ist das der Freund?", fragte er leise und ich nickte. "Jap.", antwortete ich tonlos. Ich war alles andere als begeistert und das sah man mir auch deutlich an. Ich wollte gerade die Hintertür öffnen, als Yoongi unvermittelt an die Fensterscheibe klopfte.
Meine Mutter schob dass Fenster nach unten und schaute den Jungen fragend an. Ebenso wie ich. Was tat er da? Er verbeugte sich kurz.
"Guten Tag Mrs. Yu. Ich bin Min Yoongi, ein Klassenkamerad von Mihee.", sagte er höflich und die Augen meiner Mutter fingen an zu strahlen.
"Das freut mich, aber das Mihee so schnell neue Freunde gefunden hat.", sagte sie und ich verdrehte die Augen, was meiner Mutter allerdings verborgen blieb. Ihre Augen waren voll und ganz auf Yoongi gerichtet. Dieser sprach nun weiter.
"Die Sache ist die, dass ich und ein paar andere Mitschüler Mihee ein wenig herumführen wollten." Der Esel nannte sich selbst zuerst. Bei seinen Worten zuckte ich allerdings kurz zusammen. Meine Mutter hingegen war sofort Feuer und Flamme.
"Das ist ja nett von euch." Sie klatsche erfreut in die Hände.
"Mihee wäre spätestens um acht zuhause." Yoongis Augen lag durchdringend auf meiner Mutter, die ich in diesem Augenblick kaum wiedererkannte. Ihre Augen funkelten erwartungsvoll.
"Ach, was! Es kann auch ruhig zehn Uhr sein.", sagte sie und bei diesen Worten schaute ich sie nur noch verblüfft an. War das wirklich meine Mutter? Unter Yoongis lächelndem Blick schien sie zu einer vollkommen anderen Person zu werden.
"Das ist sehr freundlich von Ihnen Mrs. Yu." Yoongi verbeugte sich erneut und ich meinte meine Mutter vor Freude sogar kurz aufquietschen zu hören. Nachdem sie ihre Aufmerksamkeit nun die ganze Zeit Yoongi zugewandt hatte, wendete sie sich nun das erste Mal mir zu.
"Du kennst ja unsere Adresse. Wenn es später werden sollte, sag mir nur kurz Bescheid, ja?" Sie lächelte und ihr Blick glitt von mir zu Yoongi und wieder zurück. Neben ihr konnte ich Minseok sehen. Er lächelte ebenfalls.
Ich warf einen Seitenblick auf Yoongi. Er sah entschlossen aus.
Ich seufzte und nickte. Das Lächeln auf dem Gesicht meiner Mutter wurde breiter.
"Dann habt viel Spaß, Kinder.", sagte sie noch und schob das Fenster wieder nach oben. Ein paar Sekunden später verschwand das Auto schon um die nächste Ecke. Ich blinzelte verwirrt und starrte auf die Stelle, wo das Auto noch vor Kurzem gestanden hatte. Dann hörte ich Yoongi neben mir plötzlich lachen.
"Wenn du jetzt dein Gesicht sehen könntest." er lachte nur noch lauter und ich schob die Unterlippe nach vorne. In dem Moment war es mir egal, dass ich den Jungen eigentlich gar nicht kannte. Ich schlug ihn fest auf den Oberarm. Er sah mich geschockt an. Dann breitete sich wieder ein Grinsen auf seinem Gesicht aus.
"Du bist ja doch nicht so unschuldig.", sagte er und ich warf ihm einen ungläubigen Blick zu.
"Seh ich so aus?", fragte ich und lachte kurz.
"Ich dachte du wärst das typische schüchterne Mädchen von nebenan." Yoongi hatte sich in Bewegung gesetzt und ich war ihm gefolgt. Seine Worte brachten mich nur noch mehr zum Lachen. Wenn man mich nicht kannte, sah es vielleicht genauso aus, aber wenn ich erst einmal aus mir heraus kam konnte ich auch ganz anders. Das wussten meine Freunde in Deutschland nur allzu gut.
"Gut, dass das nicht so ist.", sagte Yoongi nun und ich schaute ihn verwirrt an. Er sprach jedoch nicht weiter. Ich atmete tief ein. Und dann erinnerte ich mich an das, was er gesagt hatte. Ich grinste.
"Und du willst mir jetzt Daegu zeigen?" Ich sah mich in der langweiligen Straße um, durch die wir gerade liefen. Das kann ja spaßig werden. Yoongi lachte leise in sich hinein, als er meinen skeptischen Blick bemerkte. Seine Augen funkelten herausfordernd.
"Falsch. Ich zeige dir das wahre Daegu."
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Seesaw (BTS Fan-Fiction)
Fiksi PenggemarLESEN AUF EIGENE GEFAHR. Mihee ist hoffnungslos verloren. Erst hat ihr Vater ihre Familie verlassen und nun muss sie auch noch mit ihrer Mutter und ihrem kleinen Bruder in ihr Heimatland zurückkehren. Nach Südkorea. Nichts ahnend stolpert sie ihn di...