67. Kapitel

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Als mein Wecker am nächsten Tag klingelte konnte ich mich nur schwer aus dem Bett schälen. Aber es war an der Zeit wieder nach Hause zu fahren. Es war komisch, wenn ich daran zurück dachte, dass ich mich zuerst gewehrt hatte nach Südkorea zu ziehen. Ich hatte gedacht, dass ich niemals einen anderen Ort mein Zuhause nennen konnte als meine vier Wände in Deutschland in denen ich die ersten fünfzehn Jahre meines Lebens verbracht hatte. Zehn Jahre konnten das Leben wirklich grundlegend verändern. Eine kleine Entscheidung, die erst als nichtig abgetan wurde, konnte in zehn Jahren das ganze Leben ausmachen.

Nun ging es wirklich zurück nach Hause. Zurück nach Daegu. Jetzt da ich einmal fünf Tage frei hatte war es nur logisch, dass ich diese paar Tage nutzte und mit meiner Familie verbrachte. Ich freute mich sie alle nach so langer Zeit wiederzusehen. Jitae hatte ich seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen, seitdem ich das letzte Mal zu Besuch gewesen war. Er war zwar mein kleiner Bruder, überragte mich aber schon seit Langem um einige Zentimeter. Mein kleiner Bruder, der mir früher immer auf die Nerven gegangen war und es ab und zu immer noch tat, würde er trotzdem bleiben. Meine Mutter und Minseok hatten mich vor knapp fünf Monaten in Seoul besucht, aber ich war so sehr im Stress gewesen, dass ich nur wenig Zeit mit ihnen verbringen konnte. Diese gemeinsame Zeit hatte ich dann damit verbracht meine Mutter davon zu überzeugen, dass es mir gut ginge und dass das Studium eine gute Entscheidung gewesen war. Auch wenn es manchmal stressig wurde.

Ich packte die letzten Kleidungsstücke in meinen eigentlich schon zu großen Koffer und machte mich dann auf den Weg zur U-Bahn. Ich hatte nie den Führerschein gemacht, weswegen ich immer auf die öffentlichen Verkehrsmittel zurückgreifen musste. Es war mir allerdings schon lieber so. In einer Stadt wie Seoul wollte ich ohnehin kein Auto fahren. Das Fahren dort war einfach mit viel zu viel Stress verbunden. Den konnte man sich auch einfach sparen. Auch wenn das Fahren mit den öffentlichen Verkehrsmitteln wie Zug, U-Bahn oder Bus auch nicht immer ein Zuckerschlecken war. Heute allerdings war es auszuhalten. Vielleicht lag es daran, dass die meisten arbeiteten oder immer noch in der Uni waren. Ich musste dreimal umsteigen bis ich in meinen letzten Zug direkt nach Daegu einsteigen konnte.

Man sollte meinen, dass ich mich in der Zeit entspannen könnte. In den fast vier Stunden Fahrt konnte ich allerdings kein einziges Mal richtig abschalten. Immer wieder glitten meine Gedanken zu dem einen Jungen, den ich in Daegu kennengelernt hatte und dem ich in Seoul endlich wiederbegegnet war. Mein Herz schlug wie wild, wenn ich an das Gespräch dachte, was noch kommen sollte. Wie würde das wohl ausgehen? Vier Stunden Fahrt waren viel zu wenig, um über solche Sachen nachzudenken. Und das perfekte Wetter draußen machte es mir nicht gerade einfacher nicht in meine kleine Traumwelt zu versinken. Wie mein Leben in der Zukunft wohl aussehen würde? Ob es darin Platz für Yoongi geben würde? Ob ich auch einen Platz in seinem Leben haben würde?

Meine Mutter, Minseok und Jitae, der sicher nicht ganz freiwillig hier war, erwarteten mich bereits am Bahnsteig, als ich aus dem Zug stieg. Ich holte tief Luft. Es war kalt, aber es roch nach Daegu. Es roch nach Essen und Winter und nach Bäumen, die hier fast überall am Straßenrand standen. Es roch nach zuhause.

"Mihee! Hier sind wir! Hier drüben!" Die Stimme meiner Mutter war an dem fast leeren Bahnsteig kaum zu überhören. Und dass sie mich auf deutsch rief zog nicht weniger Blicke auf sich. Das interessierte uns allerdings wenig. Ich lief meiner Familie grinsend entgegen. Meine Mutter umarmte mich überschwänglich und auch Minseok umarmte mich herzlich. Der einzige, der sich erst einmal zurückzog war Jitae. Er betrachtete mich eingehend von oben bis unten bis er verschmitzt grinste.

"Bist du in Seoul geschrumpft?", fragte er mit tiefer Stimme und ich lachte. Früher hätte mich seine Überheblichkeit ziemlich geärgert. Heute konnte ich getrost darüber hinwegsehen, weil ich wusste, dass er mich nur ärgern wollte. 

Seesaw (BTS Fan-Fiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt