Weiche Nacht

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Das Essen schmeckte gut. Einfach, aber dennoch gut. Als Patrick aufgegessen hatte, wischte er sich den Mund ab. "Kann ich dich was fragen?" Er sah mich an. Ich zuckte mit den Schultern. Vielleicht war er wirklich einer von ihnen. Niemals würde ich ihm irgendwas Privates erzählen. "Lebst du schon lange auf der Straße? Du siehst so Jung aus, so ganz ohne Bart." Er schmunzelte verlegen. Ich zuckte mit den Schultern. "Zwei Jahre." Dann trank ich den letzten Schluck Wasser aus meinem Glas. "Das muss doch unglaublich hart sein." Er schwenkte sein Glas. "Schon." Ich wollte nicht darüber reden. Ich vertraute ihm nicht. Obwohl er mir so sehr vertraute. Er gab mir hier so viel. Doch es war falsch. "Wie lange braucht meine Wäsche?", fragte ich ihn. Er sah mich verwundert an. "Vielleicht ein Tag. Du kannst gerne eine Nacht auf meinem Sofa schlafen." Patrick lächelte mich an. Ich fand die Idee jedoch nicht so berauschend. Schließlich konnten jeder Zeit die Men in Black vor der Tür stehen. Ich erschrack und tastete meine Hosentaschen ab. Keine Fernbedienung. So schnell ich konnte, stand ich auf, warf dabei meinen Stuhl um und rannte ins Badezimmer. Meine Jacke, sie lag auf dem Boden, auf meinen Schuhen. Schnell suchte ich die Fernbedienung und atmete erleichtert, als ich sie spürte und aus der Jackentasche herausholte. 

"Ist alles gut?" Patrick stand mit panischem Blick in der Tür und sah auf mich herab. Schnell steckte ich die Fernbedienung in meine Hosentasche. "Geht dich nichts an." Ich wollte ihn kein Stück an mich ran lassen. Er gab mir eine Nacht Unterkunft. Danach war ich weg. Für immer. Weg von ihm, weg aus Hamburg, weg aus Deutschland. Vielleicht kam ich dieses mal nach Afrika. Mitten zwischen zwei Kämpfende Löwen. Oder nach Australien, direkt neben eine riesige Tarantula. "Okay." Patrick hob entschuldigend seine Hände. Ich seufzte. "Ich dachte nur, ich hätte was verloren, was mir sehr wichtig ist." Ich richtete mich auf und ging an Patrick vorbei, wobei er sich gegen den Türrahmen drückte, damit ich problemlos durch die Tür gehen konnte. "Obdachlose haben Wertsachen?" Er kam hinter mir her. Ich schnaufte belustigt auf. "Natürlich. Zwar nicht sowas wie ihr, aber dennoch." Ich setzte mich zurück auf meinen Stuhl, den er aufgerichtet hatte. "Was denn so?" Er setzte sich auf seinen. Kurz überlegte ich, ob ich überhaupt mit ihm über sowas reden sollte. Doch eigentlich war es nicht schlimm. Er würde mich eh nie wieder sehen. "Die Meisten haben irgendwas, was sie an ihre Familie erinnert. Ein Foto, eine Kette, Armband oder Ring. Vielleicht auch ein Kleidungsstück. Ich kannte mal einen, der hatte eine Mütze dabei. Die Mütze seines Kindes. Sein Kind ist gestorben, da war es gerade mal ein Jahr alt. Daraufhin ist er auf der Straße gelandet."  Ich lächelte auf die Tischplatte, als ich meinen ehemaligen guten Freund vor mir sah, der nun schon seit dem letzten Winter verstorben war. Er hatte es nicht geschafft. "Und, lebt er noch immer dort?" Patrick war neugieriger, als jedes Dreckskind, was ich je gekannt hatte. "Ja." Die Wahrheit verschwieg ich.

Ich lag unter einer dicken Decke auf einem großen grauen Sofa. Es war weich. Weicher als jeder Boden, auf dem ich je gelegen hatte. Weicher als jede Matratze, die ich in einer Ecke gefunden hatte. Ich zog die Decke bis zum Kinn und schaute auf die Lichterkette, die ich anmachen durfte. Ganz dunkel wollte ich es nicht haben. Gleich morgen früh, würde ich testen, ob meine Kleidung schon trocken ist. Und dann würde ich mich verziehen. Weg von Patrick. 

Ich schloss meine Augen. So ruhig, warm und entspannt hatte ich es lange nicht mehr. Dennoch hatte ich meinen Rucksack neben mich, auf dem Boden, gelegt. Ich wollte alles bei mir haben. Sogar die Fernbedienung. Schließlich könnte Patrick mich ausspionieren. Oder jemand könnte einbrechen. Einer von den dummen Anzugträgern. Doch das alles geschah nicht. Der Duft von frisch aufgebrühtem Kaffee, weckte mich.

Ich schlug die Augen auf und roch. Ich hörte die Kaffeemaschine schnurren. Kostenloser Kaffee, der nicht nach Plörre schmeckte. Schmunzelnd warf ich die Decke von meinem Körper und stand auf. Mein Rücken tat mal nicht weh, nach einer langen Nacht. Nach einer Nacht, die ich durchgeschlafen hatte. Und mein Rucksack war auch noch da. Ich kontrollierte. Die Fernbedienung war auch noch an ihrem Platz. Alles war so, wie ich es hinterlassen hatte. 

Ich streckte mich, während ich in die Küche ging, wo das Schnurren herkam. Ich stand unbeholfen in der Tür und beobachtete Patrick, wie er Brötchen aus dem Ofen holte. Er bemerkte mich nicht. "Heiß, heiß, heiß." Patrick zischte bei jedem Brötchen, welches er in zwei Finger nahm und in den Brotkorb warf. Wieso nahm dieser Depp nicht etwas zu Hilfe? Eine Zange oder so? Ich schüttelte den Kopf über ihn und lehnte mich mit verschränkten Armen an den Türrahmen. Auf meine Bewegung wurde er aufmerksam. "Hast du mich erschreckt." Er griff sich an sein Herz. "Du hast Frühstück gemacht." Ich ging zum Esstisch und setzte mich dran. "Eine Stärkung für den heutigen Tag." Lächelnd stellte er den Korb mit den Brötchen auf den Tisch. Ich schmunzelte. "Mach dir keine Mühe für mich. Ich hau gleich ab." Ich sah, wie seine Schultern sich senkten. "Warum?" Frustriert setzte er sich an den Tisch, mir gegenüber. "Glaub mir, es ist besser so. Ich gehöre hier nicht her."

Das Leben von Manuel /Kürbistumor Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt