Irgendwo im nirgendwo

616 91 15
                                    

Weinend saß ich neben dem toten Körper von Patrick. "Fuck!", wimmerte ich. Meine Hände, mein Shirt und meine Hose, es war alles voller Blut. Selbst der Boden, auf dem wir eben noch mit so einer guten Laune gesessen haben, war nun Blutgetränkt. Ich hatte ein Menschenleben auf dem Gewissen und ich konnte es nie wieder gut machen. Nie wieder rückgängig machen. Doch dann hielt ich inne. Ich griff mit meiner Blutverschmierten Hand zu der Fernbedienung. 120. Zwei Minuten. Wenn ich zwei Minuten zurück drehte, konnte ich seinen tot Rückgängig machen. Und wir hatten noch genug Zeit, um woanders hin zu gehen. 

Ich sah Patrick an. Diese matten braunen Augen. Mein Kinn zitterte. Ich musste ihn zurück holen. Schließlich würde er ohne mich noch Leben. Also packte ich seine Hand und drückte auf den Knopf. 

Mein Kopf stach, es wurde kurz Hell, dann wieder dunkel. Und plötzlich fand ich mich sitzend, mit dem Blick aufs Hollywood Sign wieder. Neben Patrick, der mir gerade glücklich aus Hamburg erzählte. "Ich unterbreche dich echt ungern, aber wir müssen weg." Ich sprang auf die Beine und schulterte meinen Rucksack. "Was, wieso?" Patrick sah sichtlich verwirrt aus. "Weil ich gerade die Zeit zurück gedreht habe. Wenn wir nicht sofort woanders hingehen, wirst du nochmal erschossen. Und ich will dich nicht nochmal sterben sehen. Also." Ich streckte ihm meine Hand hin. "Was ist passiert?" Er nahm sie und stand mit meiner Hilfe auf. "Erzähle ich dir gleich. Die kommen jede Sekunde." Ich nahm die Fernbedienung aus meiner Hose. Genau in dem Moment, hörte ich schon das Auto. "Halt dich gut fest." Und ich drückte.

Wir fielen unsanft auf einem Waldboden wieder. Ich stieß mit dem Kopf gegen einen großen Ast. "Und wo sind wir jetzt?" Patrick wischte sich die Hände ab. Es war kalt. Ich vermutete, dass wir in der Nordhalbkugel waren. Irgendwo im nirgendwo. "Lass uns aus dem Wald raus gehen. Dann wissen wir vielleicht besser, wo wir sind." Ich stand auf. Hielt mir dabei den Hinterkopf fest. Es pochte. Vermutlich würde ich eine Beule bekommen. "Na gut", seufzte Patrick und richtete sich ebenso auf.

Wir liefen Stunden durch den Wald. Wir hatten Glück, dass wir nicht bei Nacht angekommen waren. Sehr viel Glück. Denn wer wusste schon, welche Tiere hier lebten. Vielleicht Tiger. Bären, wölfe. Irgendwas, was uns vielleicht töten könnte. "Ich wurde also erschossen?", sprach Patrick mich an. Wir hatten nicht geredet, während wir uns durch das Unterholz geschlagen hatten. Ich nickte wortlos. "War ich sofort tot?" Er sah mich an, das konnte ich spüren. Ich strich mit einem Stock, welchen ich mitgenommen hatte, durch ein Spinnennetz, welches uns den Weg versperrte. "Du hast um dein Leben gekämpft. Ich will da nicht drüber reden." Damit wollte ich die Bilder aus meinem Kopf verbannen. Ich wollte ihn nicht nochmal sterben sehen. "Am besten bringe ich dich auch zurück nach Hamburg. Ohne mich bist du sicherer." Patrick blieb stehen. "Jetzt sofort?" Ich blieb ebenso stehen und drehte mich zu ihm um. "Wäre am klügsten." Er ließ die Schultern hängen. Ich lächelte ihn aufmunternd an. "Ich schreibe dir mal einen Brief." Er schüttelte lachend den Kopf. Ich ging einen Schritt auf ihn zu und nahm schon die Fernbedienung in die Hand. "Oder willst du noch Stunden hier im Wald verbringen?" Ich grinste Patrick an. "Irgendwie mag ich dieses kleine Abenteuer." Mit den Worten, ging er an mir vorbei und lief vor. Ich sah ihm nach. Dieses kleine Abenteuer. Ein Abenteuer, das ihn schon einmal umgebracht hatte. Und vielleicht nicht das letzte Mal.

Das Leben von Manuel /Kürbistumor Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt