Abschied

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Ohne Erfolg gingen wir durch den Wald. Patrick war der Meinung, wir wären in Sibirien. Kalt, endlos weiter Wald. Und selbst einen Bären hatten wir gesehen. Zum Glück nur aus der Entfernung. Leise hatten wir uns verzogen. Einen Kampf mit einem Bären wollten wir wirklich nicht. 

"Also, zurück nach Hamburg", sagte ich müde. Meine Beine taten weh. Ich hatte Hunger und ich war eingefroren. Patrick ging es ebenso. Sein Magen knurrte bestimmt schon eine Stunde lang und alle zwei Minuten erwähnte er, dass er Hunger hatte. Manchmal dachte ich wirklich, er wäre achtzehn und ich dreißig. Aber das lag wohl nur daran, dass ich lange Hungerszeiten gewohnt war. Er nicht. Er hatte ja immer Essen. Immer, wann er auch wollte. Hungern musste er nie. "Zurück nach Hamburg." Er lehnte sich erschöpft an einen Baum mit dicker Rinde. Ich sah Patrick nochmal an. Er würde mir bestimmt fehlen. Ich war dann wieder allein auf mich gestellt. Ohne, dass ich mit jemanden reden könnte. Aber daran musste ich mich wohl gewöhnen. Mal wieder. 

Ich nahm die Fernbedienung und schob die Tastatur raus. Ich tippte seine Heimatstadt ein, nahm ihn an der Hand und sah in seine Augen. "Auf nach Hause." Er lächelte und ich drückte. Nur einen kurzen Augenblick, voller Schmerzen, später und wir landeten auf einem Gehweg. Direkt vor einer Frau mit einem kleinen Chihuahua an der Leine. Dieser fing an uns anzukläffen. Die Frau hielt sich erschrocken ans Herz, ging dann aber mit flotten Schritten von uns weg. Patrick stand als erster auf und reichte mir die Hand, an der ich mich hochzog. "Bringst du mich noch nach Hause?", fragte er mich. Ich schüttelte den Kopf. "Lieber nicht. Ich verschwinde gleich wieder, damit sie bloß nicht auf Hamburg kommen." Patrick nickte. "Dann ist das wohl ein Abschied für immer." Er sah mich mit rosigen Wangen an. "Wie gesagt. Ich schicke dir gerne Briefe. Oder lieber Postkarten von Orten, wo ich war." Patrick lächelte und riss mich dann in eine Umarmung. Ich war damit überfordert. "Das wäre wirklich schön, wenn du dich ab und zu meldest", murmelte er. Zögerlich legte ich meine Hände an seinen Rücken. Er drückte mich an seinen kalten Körper. "Leb wohl, Patrick", flüsterte ich. Ich wollte mich lösen, doch er hielt mich weiter an sich. Er war noch nicht so weit. Dieses Abenteuer, wie er es nannte, war für ihn wohl mehr gewesen als für mich. Er sah mich als Freund an. Er war mein erster Freund. Erster, bester und letzter. Ich würde ihn nie wieder sehen. 

Wir schauten uns das letzte Mal in die Augen. Ein letztes Mal, wo ich mir sein Gesicht einprägen konnte. Er würde mir nie schreiben können. Ich hatte keine Adresse. Er schon. "Wenn ich umziehe, werde ich es bei Facebook posten. Dort heiße ich Patrick Mayer. Du wirst mich finden. Vielleicht kannst du dir ja ein Handy klauen, mit dem Teil. Dann würdest du es mitbekommen." "Vor paar Tagen warst du noch der Meinung, das stehlen nichts ist", schmunzelte ich. "Da wusste ich auch nicht, was dieses gute Stück alles kann." Patrick deutete auf meine Hosentasche. "Leb wohl, Patrick." Ich lächelte ihn an, trat dann zwei Schritte zurück. Patricks Blick blieb auf mir. "Leb wohl mein Freund." Ich drückte und verschwand somit für immer aus seinem Leben.

Das Leben von Manuel /Kürbistumor Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt